Sigmar Gabriel über Energie:"Atomkraft garantiert keine sinkenden Strompreise"

Der Bundesumweltminister will die Debatte über den Ausstieg beenden - sichere Versorgung, höhere Effizienz und mehr Wettbewerb seien wichtigere Themen.

Michael Bauchmüller und Christoph Schwennicke

SZ: Herr Gabriel, nächste Woche trifft sich die SPD zu ihrem Energiegipfel, einen Monat später steigt der Gipfel der Bundesregierung - und immer geht es um ein Thema: die Kernkraft. Wie geschlossen steht die SPD?

Sigmar Gabriel

"Eine Frage des Mutes. Eine große Frage für diese Koalition". Sigmar Gabriel hält am Nein zur Atomkraft fest.

(Foto: Foto: AP)

Gabriel: Geschlossen. Frau Merkel wäre nicht Bundeskanzlerin, wenn die SPD diese Position hätte aufgeben müssen.

SZ: Streit hat die Koalition bei dem Thema ja offenbar genug. Kann denn der Gipfel überhaupt Erfolg haben?

Gabriel: Zweck des Energiegipfels ist nicht die Revision der Koalitionsvereinbarung, sondern deren Umsetzung. Von daher wird Atomenergie dort allenfalls ein Nebenthema sein. Das Treffen soll den Startschuss für die Entwicklung eines langfristigen Energiekonzepts der Bundesregierung bilden.

SZ: Und zu welchem Ziel?

Gabriel: Grundlage wird eine Bestandsaufnahme der energiepolitischen Lage sein, die von meinem Kollegen Michael Glos und mir gemeinsam erarbeitet wird. Es gibt jede Menge Felder, auf denen wir handeln müssen: Versorgungssicherheit - in Europa und darüber hinaus-, Wettbewerb, Energieeffizienz, CO2- freie Kraftwerke, erneuerbare Energien, Forschung.

SZ: Und Kernkraft.

Gabriel: Es bleibt wie vereinbart beim Atomausstieg. Es wäre phantasielos, Energiepolitik auf dieses eine Thema zu reduzieren. Sonst schauen wir wie das Kaninchen auf die Schlange und erstarren. Ich bin dafür, dass wir uns bewegen, und zwar in den Feldern, die weit mehr Perspektive und Möglichkeit bieten als eine rückwärts gewandte Technologie wie die Kernenergie.

SZ: Nämlich wo?

Gabriel: Wir müssen mit Ingenieuren, Betriebsräten, Handwerkern darüber reden, wo sie eigentlich Energie sparen können. Wir müssen bei erneuerbaren Energien mehr in der Forschung tun, um sie stärker speicher- und grundlastfähig zu machen. Wir brauchen CO2-freie Kohlekraftwerke, mehr Wettbewerb im Netz. Was wir europäisch oder sogar weltweit brauchen, ist eine Art Energie-KSZE, wo wir Energiesicherheit zwischen den Staaten organisieren wollen.

SZ: Viele Bürger denken zuerst an die Strompreise - und daran, dass die Kernkraft als günstig gilt.

Gabriel: Die Preise steigen, obwohl wir die Atomenergie nutzen. Offensichtlich ist Atomkraft keine Garantie für sinkende Preise. Preistreibend ist, dass wir nicht nur zu wenig Wettbewerb im Netz, sondern auch zu wenig Strom am europäischen Markt haben. Deshalb brauchen wir dringend die Investitionen, die die Unternehmen seit Jahren versprechen. Der Emissionshandel wird in der nächsten Handelsperiode starke Anreize für den Neubau und die Modernisierung von Kraftwerken bieten. Wir schätzen, dass bis 2010 mindestens 10.000 Megawatt neu ans Netz gehen, möglicherweise mehr. Und wir müssen insgesamt mit dem Stromverbrauch runter. Das geht ohne Einbußen an Komfort.

SZ: Stromkonzerne warnen, ohne Kernkraft sei die Versorgung nicht mehr sicher.

Gabriel: Ich glaube, die Debatte hat nur einen einzigen realen Hintergrund.

"Atomkraft garantiert keine sinkenden Strompreise"

Die Energieversorger wollen durch eine längere Laufzeit der bestehenden Kraftwerke mehr Geld verdienen. Das ist legitim. Aber dann soll man das auch so sagen und nicht versuchen, dieses Interesse hinter ständig neuen Argumenten zu verstecken. Mal ist es der Strompreis, mal ist es die Versorgungssicherheit, mal ist es der Klimaschutz.

Wenn die Energieunternehmen mehr Atomkraft wollen, dann sollen sie sagen, dass es ihnen ums Geld geht und dass sie nicht ernst gemeint haben, was sie vor sechs Jahren unterschrieben haben: den Ausstieg aus der Atomkraft. Nun wollen einige durch einen kreativen Umgang mit diesem Vertrag die eine oder andere Anlage über die nächste Bundestagswahl retten. In der Hoffnung, dass dann andere regieren. Das verstößt gegen Wort und Geist dieses Vertrages, und so betreibt man keine Energiepolitik.

SZ: Ficht es Sie denn gar nicht an, dass manche Länder in die Atomkraft einsteigen, während Sie aussteigen wollen?

Gabriel: Die Mehrzahl der europäischen Länder verzichtet auf Kernenergie. Sie haben keine eigenen Kernkraftwerke oder einen Ausstiegsbeschluss. Wieso muss man sich eigentlich rechtfertigen, wenn man auf der Mehrheitsseite ist in Europa? Wir reden über eine Energieversorgung, die uns unabhängiger von Öl und Gas machen soll. Wieso der Wechsel von einem zu einem anderen begrenzten Rohstoff eine besonders intelligente Lösung sein soll, verstehe ich nicht. Wenn alle, die vom massenhaften Neubau reden, Recht behielten, wäre der Brennstoff Uran schnell erschöpft.

SZ: Wie schnell denn?

Gabriel: Die OECD sagt in ihrem Rotbuch 65 Jahre, Kernkraftfreunde sagen, es sei das Doppelte. Diejenigen, die die Rückkehr zur Atomenergie fordern, wollen eigentlich etwas, das sich in Deutschland niemand traut zu sagen: den Wiedereinstieg in die Plutoniumwirtschaft. Damit hat Deutschland Erfahrung: Mit dem Versenken von unendlich viel Geld in die Schnelle-Brüter-Technologie, mit dem Aufgeben der Wiederaufbereitungsanlage, weil das politisch nicht durchsetzbar ist.

Aber damit haben wir auch schnell waffenfähiges Plutonium überall auf der Erde.

"Atomkraft garantiert keine sinkenden Strompreise"

Denn mit welchem Argument können Sie Ländern in Asien oder Afrika die Nutzung der Plutoniumwirtschaft verwehren, wenn Sie selber nicht darauf verzichten? Das kann doch nicht wirklich ein Konzept zu mehr Energiesicherheit sein.

SZ: Dennoch, Hessens Ministerpräsident Roland Koch fordert von den Versorgern sogar neue Kernkraftwerke.

Gabriel: Damit fordert er die Unternehmen zum Rechtsbruch auf. Er weiß, dass das Atomgesetz einen solchen Neubau nicht zulässt. Außerdem soll Herr Koch doch mal sagen, an welchen Standorten er die neuen Atomkraftwerke denn haben will. Und vor allem, wo in Hessen ein Endlager hin könnte.

SZ: Wieso, das soll doch nach Gorleben?

Gabriel: Über den bestgeeigneten Standort kann nur ein Vergleich zwischen verschiedenen Alternativen Aufschluss geben. Denen, die sagen, wir haben einmal in Gorleben angefangen, also machen wir auch weiter, denen rate ich: Fahren Sie ins Salzbergwerk Asse und lassen sich erklären, warum es dort vor 20 Jahren die feste Überzeugung gab, es werde nie einen Wassereinbruch geben - und heute haben sie ein Riesenproblem damit.

Dann wird man etwas vorsichtiger. Diejenigen, die ohne Alternative an Gorleben festhalten wollen, werden der Öffentlichkeit erklären müssen, warum sie eigentlich Angst davor haben, nach dem besten Standort für ein Endlager zu suchen.

SZ: Die Union hat auch da ganz andere Vorstellungen. Wird der Atomkomplex noch zum Sargnagel der Koalition?

Gabriel: Wir haben uns alle taktisch verhalten in den vergangenen Jahren. Das muss vorbei sein. Wir haben jetzt eine Verantwortung, dieses Problem zu lösen. Das wird am Ende keine Frage der Technik sein, sondern eine des Mutes. Eine große Frage für diese Koalition.

SZ: In der scheint sich die SPD aber derzeit unwohl zu fühlen: Die Union hat offenbar einen besseren Start erwischt.

Gabriel: Nach einem Regierungswechsel ist es doch ganz normal, dass die Partei, die den Bundeskanzler stellt, erstmal einen guten Lauf hat. Im Übrigen hat die Bundeskanzlerin diesen Hype auch verdient, sie macht ihren Job gut.

SZ: Damit beschreiben Sie ja gerade das Problem der SPD.

Gabriel: Wenn wir nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz weiter den Ministerpräsidenten stellen, in Sachsen-Anhalt an der Regierung beteiligt sind und wir in Baden-Württemberg ein gutes Ergebnis haben, dann werden sich alle fragen, warum die Bundeskanzlerin ihren Bonus angeblich nicht besser eingesetzt hat. Uns auf die Debatte einzulassen, wer denn nun größere Vorteile aus der Koalition zieht, ist der einzige Fehler, den wir jetzt machen können.

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