Sigmar Gabriel:Gabriel: "Das geht immer so einen Kilometer über die normalen Leute hinweg"

Der SPD-Chef stellt sich Fragen normaler Bürger. Ob Flüchtlingspolitik, TTIP oder Waffenexporte: Er setzt auf Pointen. Auch wenn er keine Ahnung hat.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Eigentlich dürfte Sigmar Gabriel sich auf diese Pressekonferenz gefreut haben. Warum? Weil ihm an diesem Sonntagmittag ausnahmsweise mal nicht die aus seiner Sicht recht anstrengenden Hauptstadtjournalisten gegenübersitzen, sondern, wie man so sagt, ganz normale Bürger.

Die Bundesregierung hat zum Tag der offenen Tür geladen, die Bundespressekonferenz macht mit, weshalb jetzt jeder hier im voll besetzten Saal den SPD-Vorsitzenden, Vizekanzler und Wirtschaftsminister mal fragen darf, was er will. Aber schon der erste Fragesteller, ein Herr aus Berlin, leitet seine Frage so ein, wie Gabriel das von der Hauptstadtpresse gewohnt ist.

Die SPD "juckelt seit Jahren bei 22 Prozent", so beginnt der Herr, um dann von Hartz IV bis zur Steuerpolitik Gründe für die Misere der Sozialdemokratie aufzuzählen. So etwas kann bei Gabriel ziemlich schiefgehen - wenn er einen schlechten Tag hat, neigt er dazu, solche Fragesteller verbal zu filetieren. Doch an diesem Sonntag hat er offensichtlich einen guten Tag. All das sei "ein bisschen zu kurz gegriffen", sagt er, um dann zu einer ausgewogenen Antwort anzusetzen, in deren Verlauf er dem Fragesteller sogar "in Teilen" recht gibt. Der nickt am Ende immerhin kurz.

An guten Tagen ist dies hier eine von Gabriels Paradedisziplinen: das direkte Gespräch mit den Bürgern, ohne auf die Vermittlung durch jene Medienvertreter angewiesen zu sein, von denen er sich so gern missverstanden fühlt. Gabriel überzeugt in solchen Gesprächen zuweilen auch Menschen, die ihm bis dato skeptisch gegenüberstanden. Zu seinen Methoden gehört es dabei allerdings, sich regelmäßig ein Stück vom Politikbetrieb abzusetzen und so zu tun, als hätte er damit nichts zu schaffen. Das ist auch diesmal nicht anders.

Die Pressekonferenz läuft gerade seit einer knappen halben Stunde, es geht um die Flüchtlingspolitik - vor allem um Gabriels Kritik daran, dass man nicht genug für die Integration von Flüchtlingen tue und die Sorgen der Bevölkerung nicht ernst genug nehme. Da sagt er: "Berlin hat so 'n Radar, das geht immer so einen Kilometer über die normalen Leute hinweg." Kurzes Auflachen im Publikum.

"Ich finde, man darf es sich nicht einfach machen"

Andererseits ist es beileibe nicht so, dass Gabriel hier nur die billigen Punkte machen würde. Ein junger Mann etwa spricht ihn auf das Thema Waffenexporte an, für das Gabriel als Wirtschaftsminister zuständig ist - und fragt bewusst provozierend, ob auch Gabriel der Meinung sei, dass solche Exporte den Weltfrieden sicherten. Gabriel könnte jetzt sagen, dass er für manche Genehmigungen gar nicht verantwortlich sei, weil die Vorgängerregierung hier bereits die entscheidenden Pflöcke eingeschlagen habe.

Stattdessen senkt er die Stimme und reflektiert beinahe leise über Sinn und Zulässigkeit von Waffenlieferungen. "Sie können sich schuldig machen, indem Sie Waffen liefern. Und Sie können sich schuldig machen, auch wenn Sie keine Waffen liefern."

Was sei denn etwa mit Ägypten - solle man dem Regime jegliche Rüstungsgüter verweigern, oder solle man es dabei unterstützen, die Sinai-Halbinsel gegen Terroristen zu sichern? Den jungen Fragesteller überzeugt er damit offenbar nicht. Gabriel sagt: "Ich finde, man darf es sich nicht einfach machen."

Aber es gibt auch angenehmere Themen - etwa den Freihandel, für den er ebenfalls zuständig ist und der ihm gerade in seiner Partei so viel Ärger macht. Zum weithin unbeliebten europäisch-amerikanischen Abkommen TTIP aber hat Gabriel mittlerweile eine klare Aussage parat, die ihm auch hier im Saal viele Sympathien einbringen dürfte: "Nach meinem Verständnis sind die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten praktisch gescheitert", sagt er. Das ebenfalls unbeliebte europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta hingegen nennt er einen "Quantensprung", verglichen mit all den "schlechten Abkommen", die es bislang gegeben habe.

Für Gabriel, der sich über mangelnden Gegenwind nie beklagen kann, ist das hier ein Durchmarsch. Das steht spätestens fest, als sich eine Frau, die nach eigener Aussage seit 22 Jahren bei Kaiser's Tengelmann arbeitet, bei ihm bedankt - für seine Erlaubnis zur Fusion der Supermarktkette mit Edeka. Was anderswo juristisch umstritten ist, dafür wird er hier gefeiert.

Die stärkste Pointe setzt er allerdings, als ihm ein Herr eine äußerst komplizierte Frage zur Bundesnetzagentur und zu Flughafengebühren stellt. Da sagt Gabriel: "Keine Ahnung." Und: "Den Politiker, der Ihnen auf jede Frage 'ne Antwort geben kann, den würd' ich schon mal nicht wählen." Applaus, Gelächter. So mag er das.

Ceta-Kritiker erhalten Unterstützung

Die sozialdemokratischen Kritiker des Freihandelsabkommens Ceta bekommen prominente Unterstützung. In einem Brief an den Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, schreibt der Umweltexperte und Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, die wirtschaftlichen Vorteile des europäisch-kanadischen Abkommens seien "anzuzweifeln". In dem Brief dankt er Miersch für dessen kürzlich veröffentlichte Bewertung des Abkommens, in dem er die Inhalte des Vertragsentwurfs mit den von der SPD definierten Bedingungen für eine Zustimmung zum Freihandel abgeglichen hatte. Miersch war in seiner Analyse zu dem Schluss gekommen, das Abkommen sei in seiner derzeitigen Form abzulehnen.

"Mit Recht stehen die geplanten Investitionsschutzregeln, die vertragliche Einführung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe sowie der vertragliche Angriff auf unser Vorsorgeprinzip im Zentrum Deines Papiers", lobt Weizsäcker in seinem Brief. Miersch fordere mit Recht, "das Ceta-Kapitel zum Investitionsschutz gänzlich zu streichen", schreibt der Wissenschaftler, der von 1998 bis 2005 für die SPD im Bundestag saß. Nach bisherigen Erfahrungen sei zu befürchten, dass "diese Sorte von Freihandel den meisten kleinen und mittleren Unternehmen und der Landwirtschaft" schade. "Gewinner könnten vielleicht Großkonzerne, speziell der Automobil- und Chemiebranche, sein." Die SPD stimmt bei einem Parteikonvent am 19. September über Ceta ab. Parteichef Sigmar Gabriel wirbt für das Abkommen, nachdem er in seiner Funktion als Wirtschaftsminister aus seiner Sicht entscheidende Verbesserungen erreicht hatte. HICK

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