Siemens:Ruhe gibt es nicht

Seit seiner Gründung im Jahr 1847 war Siemens eine Stromfirma - kein Wunder also, dass die Energiewende den Konzern radikal verändert. Sie ist der Grund dafür, dass Vorstandschef Kaeser wieder Tausende Stellen abbauen muss.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Joe Kaeser hat, seit er vor zwei Jahren die Führung von Siemens übernommen hat, immer wieder gesagt, er wolle den Konzern "beruhigen". Doch Siemens kommt nicht zur Ruhe, auch unter dem neuen Chef nicht, obwohl der doch alles besser machen wollte als sein Vorgänger Peter Löscher, der unentwegt neue Firmen gekauft und alte verkauft hat. Siemens kann auch gar nicht zur Ruhe kommen - so wie auch die anderen Unternehmen der Republik, die Konzerne ebenso wie die Mittelständler, in den nächsten Jahren nicht zur Ruhe kommen können.

Die Unruhe kommt zum Teil von innen, manchmal ist sie der Ausfluss von internen Machtkämpfen - siehe VW. Manchmal ist sie Folge von unternehmerischen Fehlentscheidungen; manchmal sind es auch einfach unfähige oder überforderte Manager, die nicht in der Lage sind, ein Unternehmen verantwortungsvoll zu führen.

Die Unruhe kommt zum weitaus größeren Teil allerdings von außen. Denn die Unternehmen werden gerade von zwei Entwicklungen durcheinandergewirbelt, die auf Jahrzehnte hin die Wirtschaft prägen werden. Das eine ist die digitale Revolution, die mit Wucht eine Branche nach der anderen erfasst - und längst nicht mehr bloß die Internetwirtschaft betrifft, wo sie ihren Ursprung hat. Das andere ist die Revolution in der Energieversorgung; und auch sie betrifft längst nicht mehr nur die Energieversorger selbst - sondern alle Unternehmen.

Energiewende verändert Siemens radikal

Siemens ist dafür vielleicht das beste Beispiel: Denn der Münchner Konzern ist, wie Kaeser immer betont, seit seiner Gründung im Jahr 1847 vor allem ein "Elektrifizierungsunternehmen" gewesen, Siemens war und ist beschäftigt mit allem, was mit Strom zu tun hat: mit Gasturbinen, Straßenbahnen, Zügen, früher auch mit Telefonen und Atomkraftwerken. Weil aber Atomkraftwerke in Deutschland nicht mehr gefragt sind, hat Siemens diesen Bereich nach Fukushima, notgedrungen, aufgegeben. Und weil sich das Geschäft mit der Energieversorgung seither immer schneller verändert, weg von riesigen Kraftwerken, hin zu einer dezentralen Versorgung, baut Kaeser nun erneut Tausende Stellen ab.

Was am Mittwoch bei Siemens in München verkündet wurde, ist dabei die Kehrseite dessen, was am selben Tag in Essen verhandelt wurde: Dort berieten die Aktionäre von Eon über die Aufspaltung des größten Energieversorgers der Republik in einen schwarzen und grünen Teil: in eine Art Resterampe für Kohle, Gas und Atomkraft - und einen Anbieter von erneuerbaren Energien, denen die Zukunft gilt. Auch Eon setzt also künftig eher auf eine dezentrale Energieversorgung. Ein anderes Beispiel sind die Autokonzerne: Audi, Daimler und BMW bieten in diesen Tagen gerade für den digitalen Kartendienst Here, der noch zum Nokia-Konzern gehört. Die Autobauer brauchen diesen Dienst, wenn sie tatsächlich vollkommen vernetzte (und irgendwann auch selbstfahrende) Autos bauen wollen. Zugleich müssen die Autobauer aber auch Fahrzeuge mit neuen Motoren entwickeln, idealerweise mit Elektro- oder Hybridantrieb. Diese sind nicht bloß umweltfreundlicher, sondern können als rollende Stromspeicher auch Teil eines intelligenten, dezentral organisierten Energienetzes sein.

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, denn auch in vielen anderen Branchen gilt, dass Energieeffizienz und Digitalisierung eng, sehr eng miteinander zusammenhängen: beim Maschinenbau ebenso wie etwa bei der Konzeption von energiesparenden, vernetzten Häusern. Weil aber diese doppelte Revolution im Digitalen und in der Energieversorgung erst am Anfang steht, wird in den deutschen Unternehmen eines in den nächsten Jahren ganz gewiss nicht einkehren: Ruhe.

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