Sicherungsverwahrung:Unionsländer rebellieren

Streit um den richtigen Weg: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will die nachträgliche Sicherungsverwahrung für gefährliche Täter abschaffen. Doch so einfach geht das nicht.

S. Höll u. J. Käppner

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist Zwist in der Koalition gewohnt - aber die zwischen Union und FDP umstrittene Neuregelung der Sicherungsverwahrung möchte sie so geräuschlos wie möglich erledigt wissen. Denn es geht um ein Thema, das heftige Emotionen provoziert: die Frage, wie man mit Gewalt- und Sexualstraftätern umgeht, die ihre Strafe zwar verbüßt haben, aber als rückfallgefährdet gelten.

Justizminister beraten über Sicherungsverwahrung

Oft kommen gefährliche Gewalttäter auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe nicht frei: Einzelzelle in der Justizvollzugsanstalt Offenburg.

(Foto: dpa)

Die Sicherungsverwahrung erlaubt es zum Schutz der Bevölkerung, solche Täter weiter hinter Gittern zu behalten. Justizministerin Sabine Leutheusser -Schnarrenberger (FDP) will diese ultima ratio des Strafrechts nun neu regeln. Das heißt: Sie muss es tun. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2009 die deutsche Praxis für nichtig erklärt.

Dabei ging es um Männer, die nach ihrer Haftstrafe eine zehnjährige Sicherungsverwahrung absitzen mussten - aber auch danach nicht freikamen, weil der Gesetzgeber inzwischen die Befristung auf zehn Jahre einfach aufgehoben hatte. Der Gerichtshof betrachtete dies als verbotene rückwirkende Sanktion und ließ die deutschen Einwände nicht gelten, die Sicherungsverwahrung sei doch gar keine Strafe sondern eine Maßregel, für die das Rückwirkungsverbot nicht gelte. Die Unterbringung der Betroffenen sei aber meistens kaum vom Strafvollzug zu unterscheiden, hielten die europäischen Richter dagegen.

Die Unionsländer schlagen vor, rückfallgefährdete Täter nach Verbüßung der Haft in gesonderten Einrichtungen unterzubringen, die sich von Gefängnissen unterscheiden - und wollen damit die Europäische Menschenrechtskonvention respektieren, gegen die Deutschland bislang verstieß. Zunächst aber müssen die Länder Mittel und Wege finden, wie sie mit den als gefährlich geltenden Menschen umgehen, die nun auf freien Fuß zu setzen sind oder schon gesetzt wurden.

So wird derzeit in Hamburg ein 53-jähriger Mann von der Polizei auf Schritt und Tritt bewacht, der nach 22 Jahren Sicherungsverwahrung entlassen worden war. Bürger protestieren, weil sie um ihre Sicherheit fürchten. Zuletzt ließ sich der Mann nach einem Gerangel mit einem Reporter vorübergehend im Polizeipräsidium aufnehmen. Ähnliche Fälle gibt es in mehreren Bundesländern, insgesamt könnten bis zu 70 Menschen freikommen, die als gefährlich gelten.

Ein selten angewendetes Instrument

Leutheusser-Schnarrenberger befürchtet noch eine weitere Niederlage Deutschlands vor dem Gerichtshof. Dabei geht es um die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Sie kann verhängt werden, wenn sich erst während der Haft erweist, dass ein Täter dauerhaft gefährlich ist. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist diese Praxis ebenfalls anhängig. Die Union und insbesondere deren Innenminister möchten verhindern, dass auch dieses Instrument fällt.

Es wird es aber sehr selten angewendet, nach Meinung vieler Experten ist es überflüssig, weil kaum praktikabel. Einzelne Fälle aber gibt es: So saß in Bayern ein Mann ein, der seine fünfjährige Stieftochter viele Male vergewaltigt hatte. Beim ersten Haftausgang stellte er dann fremden Kindern nach. Das Gericht ließ ihn nun seine Reststrafe verbüßen und ordnete nachträgliche Sicherungsverwahrung an, weil sich erst jetzt erwiesen habe, dass der Mann nicht nur eine Gefahr für seine Familie, sondern auch für die Allgemeinheit sei.

Die Justizministerin will, damit die Sicherungsverwahrung nicht weiter mit der europäischen Rechtsprechung kollidiert, die nachträgliche Sicherungsverwahrung abschaffen.

Elektronische Fußfessel verhindert keine Verbrechen

Auch ihr Vorschlag, freigelassene Sexualstraftäter über eine "elektronische Fußfessel" zu kontrollieren, findet wenig Anklang in der Union: Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), sagte am Freitag, bei Kinderschändern und Sexualverbrechern könnten die Fesseln keine Lösung sein, da sich damit kein Verbrechen verhindern lasse.

Viele Länderinnenminister hoffen vorerst, wenigstens einige derjenigen im Gefängnis behalten zu können, die laut Urteil des Gerichtshofs auf freien Fuß kommen müssten. Leutheusser-Schnarrenberger hält dies für unrealistisch: "So kann man mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht umgehen", verlautet aus ihrem Umfeld.

Nun wollen weder Union noch FDP den Konflikt auf die Spitze treiben. In den nächsten Wochen soll es Gespräche zwischen den Staatssekretären von Bund und Ländern geben. "Wenn die Experten aus dem Bundesjustiz- und Innenministerium sagen, das funktioniert nicht, dann müssen wir die nachträgliche Sicherungsverwahrung tatsächlich aufgeben", sagt ein maßgeblicher Unionspolitiker. Aus der FDP-Fraktion hieß es: "Wir sind uns bewusst, wie heikel die Lage ist."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: