Sicherheitskonferenz:"Wir haben eine fast historische Chance"

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, über Ziele des Treffens - und den weltpolitischen Wandel.

Stefan Kornelius und Paul-Anton Krüger

Die Nato habe in den vergangenen Jahren, sagt Wolfgang Ischinger, nur teilweise die richtige Gangart eingelegt. Der 62-Jährige, der deutscher Botschafter in Washington und London war, kritisiert, das transatlantische Bündnis habe die Erweiterung einseitig vorangetrieben. Ischinger, der vergangenes Jahr die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz übernommen hat, spricht über die Ziele des Treffens sowie über Lösungen der derzeitigen globalen Krise.

Sicherheitskonferenz

Wolfgang Ischinger übernahm im vergangenen Jahr die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Welche Prägung wollen Sie der Münchner Sicherheitskonferenz als neuer Vorsitzender geben?

Wolfgang Ischinger: Wir haben es mit einer neuen US-Regierung zu tun. Die Konferenz wird sich also mit den Folgen der künftigen amerikanischen Politik auf die europäische Sicherheitsarchitektur, auf die internationale Rüstungskontrolle und Abrüstungspolitik sowie den Nahost-Konflikt genauso wie auf das Iran-Problem befassen. Das erwarten auch die Teilnehmer. Zudem stehen wir zwei Monate vor dem Nato-Gipfel, von dem vieles abhängt: die Qualität des künftigen Verhältnisses zwischen dem Westen und Russland, die Zukunft der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Es muss das Ziel der Konferenz sein, die Themen vorzuzeichnen.

SZ: Was werden Sie verändern?

Ischinger: Ich habe versucht, Kontinuität mit neuen Akzenten zu verbinden. Ich verdanke meinen Vorgängern, Horst Teltschik und Ewald-Heinrich von Kleist, dass die sicherheitspolitische Elite aus Europa und der ganzen Welt nach München strömt. In ihrem Sinn will ich die Konferenz weiter öffnen durch eine Verbreiterung der Themen, also etwa Energiesicherheit oder den Klimawandel einbeziehen. Ich strebe zudem eine Verjüngung an. Deshalb haben wir ein Young Leaders Program der Münchner Sicherheitskonferenz gegründet. Schließlich: Politik und Wirtschaft leben nicht auf unterschiedlichen Erdteilen - siehe Finanz- und Wirtschaftskrise. Daher möchte ich Führungskräfte der Wirtschaft für die Konferenz interessieren.

SZ: Kritiker haben die Tagung oft als geschlossene Veranstaltung einer abgehobenen Elite charakterisiert.

Ischinger: Das kann ich entkräften. Die gesamte Veranstaltung wird übertragen, diese Konferenz ist öffentlich. Was die kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit angeht, denen biete ich persönlich den Dialog an. Ich habe mich mehrfach mit Kritikern getroffen. Als vertrauensbildende Geste lade ich einen Vertreter der Konferenzgegner zur Beobachtung in den Saal ein, damit er authentisch berichten kann. Ich wünsche mir, dass sich daraus ein sinnvollerer Dialog entwickelt mit den kritischen Teilen der Zivilgesellschaft. Ich sage nicht, dass die Konferenzgegner nicht wichtige Punkte aufwerfen. Es ist legitim, nach der Raison d'Être der Nato oder den Zielen der Sicherheitspolitik Deutschlands zu fragen. Ich wehre mich allerdings gegen den Verdacht, die Konferenz sei eine verkappte Jahresversammlung der Rüstungslobby.

SZ: Was kann dann die Botschaft nach außen sein, was bringt die Konferenz dem interessierten Bürger?

Ischinger: Wenn der interessierte Bürger eine außenpolitische Bundestagsdiskussion zum Thema Afghanistan verfolgt, dann bekommt er die Sicht der Opposition, die Sicht der Regierung. Hier in München werden wir die Sicht der neuen US-Regierung, die Sicht der pakistanischen und der russischen Regierung und natürlich die Sicht der Afghanen selbst einholen und darüber diskutieren.

SZ: Sie sind ja nicht nur Organisator, sondern auch inhaltlicher Akteur. Erwarten Sie eine Zäsur durch die momentane Krise?

Ischinger: In jeder Krise kann auch Gutes stecken, deswegen haben wir eine fast historische Chance. Wir spüren doch in diesen ersten Jahren des 21.Jahrhunderts, dass es keinen Weg gibt, der über Modelle der Vergangenheit führt. Die europäische Sicherheitsarchitektur kann sich weder an den Mustern des Kalten Kriegs noch an den Versuchen der neunziger Jahre orientieren. Wir brauchen den Weg nach vorne, nicht den Weg zurück. Man wird ihn nur beschreiten können, wenn die besten Köpfe die Möglichkeit haben sich auseinanderzusetzen. Die Konferenz bietet ein Forum dazu.

SZ: Welches sind die drängendsten Fragen?

Ischinger: Wir brauchen eine neue Basis, auch für die Legitimität für ein internationales System. Warum sitzt Japan nicht im UN-Sicherheitsrat, von Deutschland nicht zu sprechen, und von Indien erst recht nicht? Wie können wir Ordnung und Legitimität und Recht für eine zunehmende Zahl von Staaten sicherstellen angesichts großer Zweifel an der Funktionsfähigkeit der internationalen Finanzinstitutionen genauso wie an der Legitimität der internationalen politischen Institutionen? Wie sieht es aus mit der Zukunft der Nato? Ihre Existenzberechtigung wird von unseren russischen Partnern zum Teil sehr heftig in Frage gestellt.

SZ: Was legitimiert die Nato heute, 20 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs?

Ischinger: Es wird gern vergessen, dass das nordatlantische Bündnis einer der großen Proliferationsverhinderer des 20. Jahrhunderts war. Wie groß wäre die Versuchung gewesen, übrigens auch in Deutschland, angesichts der Bedrohungen des Kalten Kriegs sich eigene Atomwaffen zuzulegen? Heute geht es um einen neuen Beitrag zur europäischen Sicherheit. Da hat die Nato in den vergangen Jahren nur teilweise die richtige Gangart eingelegt. Wir haben die Nato-Erweiterung einseitig vorangetrieben und eine Zerrüttung des Verhältnisses zu Moskau hingenommen. Wir sollten zumindest das Angebot machen, dass wir Russland als Partner begreifen und Probleme gemeinsam anpacken, wie etwa die Raketenabwehr.

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"Wir haben eine fast historische Chance"

SZ: Dazu braucht es aber zwei - das Angebot, bei der Raketenabwehr zusammenzuarbeiten, hat Moskau ausgeschlagen.

Sicherheitskonferenz "Probleme gemeinsam anpacken" dpa

Ronald Reagan (links) und Michail Gorbatschow (rechts) bei einem Gespräch am 21. November 1985 während des Gipfeltreffens in Genf.

(Foto: Foto: dpa)

Ischinger: Warten wir es ab. Das wird ja in erster Linie von der neuen amerikanischen Regierung abhängen, wie man in den Wald hineinruft. Warten wir es ab, ob dieser Ruf künftig etwas anders klingt und wie Moskau darauf reagiert. Wichtig ist aus meiner Sicht nur, dass die Nato nach Moskau signalisiert, dass wir eine Fortsetzung der unerfreulichen Auseinandersetzung der vergangenen Jahre nicht wünschen, sodass es an Russland liegt, auf ein Angebot des Westens zu reagieren. Das muss ein solides, und das kann auch ein historisch weitreichendes Angebot sein.

SZ: Haben die Bush-Jahre einen heilsamen Schock ausgelöst?

Ischinger: Ja, deswegen bietet sich nach diesen acht Jahren einer gewissen Verhärtung und Erstarrung in Prinzipien, die sich als nicht gangbar erwiesen haben, wie der amerikanische Unilateralismus, wirklich die Chance für einen Neuanfang. Zugleich will ich aber warnen. Wir dürfen die Erwartungen an die Regierung von Barack Obama nicht überfrachten. Wir werden uns auch der Frage stellen müssen, was können wir denn beitragen, wir Deutschen, wir Europäer, damit es zu einer legitimen und funktionsfähigen neuen internationalen Ordnung kommt.

SZ: Sie skizzieren einen Weg, der freiwillige Kooperation voraussetzt. Zuletzt haben wir aber häufig die Betonung nationaler Interessen gesehen. Wie lässt sich dieser Gegensatz überbrücken?

Ischinger: Die Großmächte, vor allem die USA, müssen zunächst das Kissinger'sche Prinzip des konsensorientierten Führens wieder anerkennen, also Führung nicht per ordre de Mufti, sondern durch Überzeugung des anderen. Das ist in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen. Zweitens bin ich nicht der Meinung, dass die gegenwärtige Lage diejenigen begünstigt, die das Heil in klassischen nationalstaatlichen Rezepten sehen. Die Zeit ist gekommen, das im vergangenen Herbst aus der Not heraus gegründete G-20-Gremium zu einem dauerhaften Instrument weltpolitischer und finanzpolitischer Führung zu machen. Wir müssen unsere gegenseitigen Abhängigkeiten anerkennen und brauchen starke internationale Institutionen.

SZ: Sicherheitspolitik ist schwer vermittelbar in der Öffentlichkeit, vor allem in Deutschland. Woran liegt das?

Ischinger: Als Nation haben wir wegen unserer Geschichte ein zwiespältiges Verhältnis zur militärischen Macht. Doch wenn man die Diskussion über das Militärische und den Einsatz deutscher Soldaten heute mit der Lage von vor zehn Jahren vergleicht, dann haben wir geradezu Lichtjahre zurückgelegt. Allmählich wird die deutsche sicherheitspolitische Debatte auch erwachsen.

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