Sicherheitskonferenz: Merkel und Sarkozy:"Wir Europäer müssen mit einer Stimme sprechen"

Europa muss sich in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik stärker anstrengen und besser mit den USA zusammenarbeiten. Die Kombination von zivilen und militärischen Mitteln ist das Markenzeichen der europäischen Sicherheitspolitik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy

Über die "beste aller Welten" haben sich Leibniz und Voltaire schon vor drei Jahrhunderten ihre Gedanken gemacht. Die Münchner Sicherheitskonferenz bietet uns, der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten, die Gelegenheit, unsere Vorstellungen über Stabilität und Sicherheit zu präsentieren. Dies tun wir auch und gerade mit Blick auf die gemeinsame Gastgeberrolle Deutschlands und Frankreichs zum 60. Jahrestag der Nato in Straßburg und Kehl.

Sicherheitskonferenz: Merkel und Sarkozy, Wir Europäer müssen mit einer Stimme sprechen, AFP

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy im November 2008 vor dem Élysée-Palast.

(Foto: Foto: AFP)

In den letzten Monaten gab es auf der Welt beunruhigende Entwicklungen: Der Krieg im Kaukasus war die erste militärische Auseinandersetzung im 21. Jahrhundert auf europäischem Boden. Anfang dieses Jahres haben uns die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas die Instabilität des Nahen Ostens vor Augen geführt. Fortschritte im brisanten Konflikt um das iranische Nuklearprogramm bleiben aus. Wir erhalten immer wieder Nachrichten von terroristischen Attentaten, von Anschlägen in Afghanistan und Pakistan, von gewaltsamen Auseinandersetzungen in Afrika, etwa im Kongo und Sudan. Hinzu kommt die internationale Krise der Finanzmärkte und eine Krise der Weltwirtschaft sowie die Herausforderung durch den Klimawandel. Eine international abgestimmte Sicherheitspolitik - im umfassenden Sinne - ist dringend geboten.

Für uns ist klar: Sicherheitspolitik muss in einem neuen erweiterten Sinn verstanden werden. Dazu gehören neben den Fragen der militärischen Sicherheit Fragen der weltweiten Finanzarchitektur ebenso wie die der Energieversorgung oder der Migration. Wir müssen unsere Instrumente entsprechend anpassen und zur Bewältigung von Krisen und Konflikten globale, flexible und vernetzte Ansätze nutzen. Dazu brauchen wir immer mehr verlässliche Partnerschaften. Kein Land kann heute mehr die Probleme der Welt alleine lösen. Umso wichtiger werden Bündnisse, die auf einer gemeinsamen Wertebasis gründen, wie etwa die EU und die Nato. Je tragfähiger das Netz an Partnerschaften und je umfassender die Vernetzung unserer gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und militärischen Fähigkeiten, umso besser sind die Perspektiven einer erfolgreichen Krisenbewältigung, umso besser ist dies für unsere Sicherheit.

Auf diesen Überzeugungen basiert unsere heutige Sicherheitspolitik. Das leitet die enge deutsch-französische Zusammenarbeit, unsere Einbindung in die Europäische Union und in die Nordatlantische Allianz. Diese drei Dimensionen verstärken sich gegenseitig. Europäische Integration und Atlantische Partnerschaft sind zwei Seiten einer Medaille.

Die EU hat in ihrer Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den vergangenen zehn Jahren beachtliche Fortschritte erreicht. Dabei haben wir bei unseren amerikanischen Partnern deutlich gemacht und finden dafür zunehmend Akzeptanz, dass dies die transatlantische Sicherheitspartnerschaft kräftigt und die Nato stärkt. Für Deutschland und Frankreich ist klar: Angesichts der Herausforderungen braucht Europa die Vereinigten Staaten von Amerika, und die USA brauchen einen starken europäischen Partner.

Über 60 Jahre Frieden und Freiheit in Westeuropa - und heute in fast ganz Europa - das verdanken wir sowohl unserer eigenen Entschlossenheit als auch den Vereinigten Staaten von Amerika, die uns militärisch und politisch unterstützt haben und immer für ein freies und demokratisches Europa eingestanden sind. Angesichts der Risiken ist es auch im 21.Jahrhundert unverzichtbar, dass wir unsere sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg weiter vertiefen und an die neuen Herausforderungen anpassen. Dies bedeutet: gemeinsames Analysieren, Entscheiden und Umsetzen. Einseitige Schritte würden dem Geist dieser Partnerschaft widersprechen. Das heißt aber auch: Wir Europäer müssen in der Außen- und Sicherheitspolitik noch stärker mit einer Stimme sprechen, was von den Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Disziplin verlangt. Und wir müssen unsere Fähigkeiten weiter bündeln und erhöhen, sowohl bei zivilen als auch militärischen Mitteln. Die Synergie von beidem ist das Markenzeichen der europäischen Sicherheitspolitik. Unter der gerade zu Ende gegangenen französischen EU-Präsidentschaft haben wir hier auch dank des deutsch-französischen Engagements einige weitere Schritte geschafft. Damit werden wir in Zukunft ein noch stärkerer Partner für die USA sein.

"Wir Europäer müssen mit einer Stimme sprechen"

Deutschland und Frankreich werden in ihrer militärischen Zusammenarbeit einen bedeutenden Schritt vorangehen: Die deutsch-französische Brigade, die gemeinsam mit unseren Partnern auf dem Balkan und in Afghanistan im Einsatz war, wird in Zukunft in unseren beiden Ländern stationiert sein. Frankreich wird auf seinem Boden einen deutschen Verband dieser Brigade beherbergen. Wer unsere gemeinsame Geschichte kennt, weiß um die historische Bedeutung dieses neuen Schrittes in der deutsch-französischen Freundschaft.

Den Jubiläumsgipfel zum 60. Geburtstag der Atlantischen Allianz am 3. und 4. April werden mit Deutschland und Frankreich erstmals in der Geschichte der Nato zwei Länder gemeinsam ausrichten. Wir verstehen dies als besonderes deutsch-französisches Symbol für Frieden und für Sicherheit. Aber auch als Zeichen eines nunmehr gemeinsamen Europas in Ost und West, das in Freiheit leben kann. Wir treten dafür ein, dass die Allianz diesen Jubiläumsgipfel auch zu strategischen Debatten und Weichenstellungen nutzt, die weit über den Charakter eines Geburtstagsfestes hinausgehen. Dabei müssen wir die Grundlage der Nato - den Vertrag von Washington mit seinen Prinzipien Allianzsolidarität und Werteübereinstimmung - nicht neu erfinden. Aber wir müssen auf dem Gipfel eine Diskussion - ohne Scheuklappen - zur sinnvollen Transformation und Neuausrichtung der Allianz führen. Genau das hat die Nato mit ihren Strategischen Konzepten von 1991 und 1999 geleistet. Und so ist es auch heute wieder wichtig, neu festzulegen, wie sich das Bündnis in Zukunft gegen veränderte Bedrohungen aufstellt. Wir erwarten, dass der Gipfel in Straßburg und Kehl den Startschuss für die Überarbeitung des Strategischen Konzepts gibt. Dabei sehen wir für die künftigen strategischen Anforderungen an das Bündnis folgende Kernbereiche:

Nato-EU-Zusammenarbeit: Zu unserem Bedauern ist die "strategische Partnerschaft" zwischen Nato und EU aufgrund fortbestehender Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Mitgliedstaaten hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Dies darf nicht so bleiben. Wir müssen auf der Basis notwendiger Komplementarität zu einer echten Zusammenarbeit finden.

Die Operationen der Allianz: Heute ist die Nato in mehreren Operationen außerhalb ihres Bündnisgebietes für unsere gemeinsame Sicherheit engagiert, insbesondere auf dem Balkan und in Afghanistan. Auch 60 Jahre nach der Gründung der Nato ist die Beistandsverpflichtung aus Artikel 5 des Washingtoner Vertrages der Wesenskern des Bündnisses. In Folge der Terrorangriffe des 11. September hat dieser eine zusätzliche Bedeutung erhalten. Der Kampf gegen den Terrorismus hat den Nato-Einsatz in Afghanistan notwendig gemacht. Dies zeigt eine der neuen Formen der Bedrohung im 21. Jahrhundert auf.

Unsere Soldaten sind heute in Einsätzen wie insbesondere in Afghanistan größten Gefahren ausgesetzt. Auch die Frauen und Männer, die sich auf andere Weise dem Wiederaufbau dort verpflichten, sind bereits Opfer eines menschenverachtenden Terrorismus geworden. Gleichwohl: Von Straßburg und Kehl sollte das Signal ausgehen, dass die Allianz nicht zögert, wenn es gilt, Verantwortung für unsere Sicherheit zu übernehmen und für unsere Werte einzustehen. Unser Ziel bleibt: selbsttragende Sicherheit und Wiederaufbau des Landes mit afghanischem Gesicht, damit der transnationale Terrorismus dort keine Basis mehr findet. Wir wissen, dass die Stärkung demokratischer Strukturen unser militärisches Engagement begleiten muss. Dabei müssen wir mit unseren Partnern in der Nato auch über erweiterte politische Ansätze sprechen.

Russland - eine Partnerschaft wiederherstellen: Der Krieg in Georgien im vergangenen Sommer war eine Zäsur. Die EU konnte die Spirale der Gewalt zum Stillstand bringen und die Bedingungen für einen Prozess der Beilegung des Konfliktes schaffen. Aber der Rückgriff auf militärische Gewalt und die einseitige und völkerrechtswidrige Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland haben in Europa und in der Welt das Vertrauen belastet.

Russland ist als Nachbar und Partner unverändert von großer Bedeutung. Wir sind nicht auf einen neuen Kalten Krieg zurückgeworfen. Wer das behauptet, irrt. Die Sowjetunion existiert nicht mehr. Wir sind bereit, mit Moskau vertrauensvolle Beziehungen weiterzuentwickeln und wiederherzustellen. Unsere Allianz ist eine Verteidigungsallianz, deren einziges Ziel die gemeinsame Sicherheit auch angesichts neuer Herausforderungen ist.

Für uns wie für Russland gelten dieselben Regeln, die gemeinsam erarbeitet wurden: die Schlussakte von Helsinki 1975, die Charta von Paris 1990, Prinzipien wie territoriale Integrität, Unverletzlichkeit von Grenzen, gegenseitiger Respekt im euroatlantischen Raum.

Auf dieser Grundlage hatte die große Mehrheit der europäischen Länder den Wunsch, der Nato und der EU beizutreten. Die Erweiterung stellt ein zentrales Element der Sicherheit und der Stabilität des Kontinents dar. Russland hat diesen Prozess lange Zeit konstruktiv begleitet, wenn auch sicher ohne Euphorie.

"Wir Europäer müssen mit einer Stimme sprechen"

Beim Nato-Gipfel in Straßburg/Kehl werden wir von Neuem die Gelegenheit haben, über dieses Thema zu sprechen. Es entspricht dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts, dass es für alle europäischen Demokratien möglich ist, der Nato beizutreten. Wir verstehen die Beitrittswünsche als Ausdruck des Vertrauens in die Allianz, das wir nicht enttäuschen dürfen. Gleichzeitig erinnern wir daran, dass die Mitgliedschaft in der Nato an Kriterien gebunden ist und mit der Übernahme von großer Verantwortung einhergeht. Sie muss einen Beitrag dazu leisten, die Sicherheit des Bündnisses tatsächlich zu wahren. Die Nato-Erweiterung trägt zu einem Gewinn an Stabilität und Sicherheit auf unserem Kontinent bei, wovon auch Russland profitiert. Dabei spielt die Zusammenarbeit im Nato-Russland Rat eine zentrale Rolle.

Präsident Medwedjew hat im vergangenen Sommer Vorschläge für eine Neugestaltung der europäischen Sicherheit vorgelegt. Wir sind bereit, gemeinsam mit unseren Verbündeten und europäischen Partnern darüber zu sprechen und die Sichtweisen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Dabei gelten für uns die Grundlagen der Zusammenarbeit in der EU, der Nato, der OSZE und die von Rüstungskontroll- und Abrüstungsregimes geprägten Standards der Sicherheitspolitik in Europa sowie der Grundsatz der transatlantischen Zusammenarbeit. Zugleich plädieren wir dafür, die Zusammenarbeit im Nato-Russland Rat und zwischen Russland und der Europäischen Union wo immer möglich zu intensivieren. Wir wünschen einen im partnerschaftlichen Geist geführten sicherheitspolitischen Dialog der EU mit Russland, mit dem Moskau stärker in den euro-atlantischen sicherheitspolitischen Raum einbezogen werden kann. Dazu wird auch die von uns begrüßte Wiederaufnahme des strategischen Dialogs zwischen Amerika und Russland beitragen.

Militärische Fähigkeiten, Abrüstung, Rüstungskontrolle: Eine militärisch geprägte Allianz muss darauf achten, dass ihre militärischen Fähigkeiten den Bedürfnissen ihrer Sicherheit und ihrer Operationen entsprechen. Der Gipfel von Straßburg und Kehl wird sich auch mit diesem Thema befassen. Wir benötigen in Europa mehr moderne und effiziente militärische Fähigkeiten, die ein vernetztes Zusammenwirken zwischen den Partnern erlauben.

Wir werden in Straßburg/Kehl auch die mit der Abwehr der Bedrohung durch ballistische Raketen aus dem Mittleren Osten zusammenhängenden Fragen diskutieren. Gleichzeitig plädieren wir dafür, Russland in diesen Bemühungen einen angemessenen Platz einzuräumen und befürworten die Bemühungen zu einem Höchstmaß an Transparenz und Zusammenarbeit, wie sie die USA vorgeschlagen haben. Hierzu soll unter anderem auch weiterhin der Nato-Russland Rat dienen.

Deutschland und Frankreich sind Befürworter der Rüstungskontrolle. Als Mitglieder des Nichtverbreitungsvertrages unterstützen wir die weltweiten Bemühungen um Nichtverbreitung und Abrüstung. Im vergangenen Jahr hat die Europäische Union auf unsere Initiative hin ehrgeizige Pläne zur Bekämpfung der Verbreitung von Atomwaffen und zur Förderung der weltweiten nuklearen Abrüstung angenommen.

Wir bleiben davon überzeugt, dass wir im Rahmen einer verantwortungsbewussten Sicherheitspolitik, bei der die Risiken der Zukunft sorgfältig abwogen werden, auf absehbare Zeit am Grundsatz der nuklearen Abschreckung festhalten müssen. Dabei bedarf es allerdings nicht mehr der heutigen riesigen Arsenale an Nuklearwaffen, sondern nur des absolut Notwendigen, dessen grundlegender Zweck rein defensiv und die Verhinderung von Krieg ist.

Wir unterstützen die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den USA und Russland über die Verringerung ihrer strategischen Nuklearpotentiale (START) und hoffen auf möglichst baldige, greifbare Ergebnisse. Wir begrüßen auch das amerikanische Engagement zur Ratifikation des Teststoppvertrages und für den Beginn von Verhandlungen über das Produktionsverbot für spaltbares Material für Atomwaffen. Und wir begrüßen die Bemühungen um die Rettung des Systems zur Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa. Der KSE-Vertrag bleibt Eckpfeiler der europäischen Sicherheit. Wir wünschen, dass durch einen Dialog mit Russland die Bedingungen für die Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrags geschaffen werden. Bei gutem Willen kann durch eine rasch erreichbare Lösung des Transnistrien-Problems eine Verbesserung der Verhandlungsatmosphäre geschaffen werden. Dann sind wir in kürzester Zeit einem von der Allianz vertraglich verbürgten und geltenden System konventioneller Rüstungsbegrenzung in Europa einen bedeutenden Schritt nähergekommen - und damit einem System, das auch für Russland ein Mehr an Sicherheit garantiert.

Die größte Herausforderung für das Nichtverbreitungsregime droht durch das iranische Nuklearprogramm. Teheran spekuliert offen darauf, dass die Welt seinem Treiben letztlich untätig zusieht. Wir werden eine iranische Nuklearbombe nicht zulassen, weil dies eine Bedrohung des Weltfriedens darstellen würde. Wir setzen auf eine diplomatische Lösung. Und wir sind in Übereinstimmung mit dem erwarteten Engagement der neuen amerikanischen Regierung bereit, der iranischen Bedrohung mit einem Mehr an Dialog, aber auch - wenn erforderlich - neuen sehr entschlossenen Sanktionen Einhalt zu gebieten.

Vor zwei Wochen wurde Präsident Barack Obama in sein Amt als 44. Präsident der Vereinigten Staaten eingeführt. Die Präsidentschaft Barack Obamas wird neue Akzente in der Außen- und Sicherheitspolitik setzen. Viele Europäer knüpfen daran eine Fülle von Erwartungen. Und Barack Obama erwartet gewiss auch vieles von uns. Wir sehen der Zusammenarbeit mit ihm mit großer Freude entgegen. Wir sind der Überzeugung, dass wir in der euro-atlantischen Sicherheitspartnerschaft gute Chancen haben, den Risiken und Gefahren, denen wir gleichermaßen ausgesetzt sind, erfolgreich zu begegnen. Wenn wir dies vertrauensvoll, engagiert und gemeinsam angehen, werden wir zwar nicht die "beste aller Welten" schaffen, aber eine Welt, in der die Menschen friedlicher und sicherer leben können.

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