Sicherheitskonferenz in München:Botschaften aus einer neuen Welt

Vieles ist so wie immer bei der Sicherheitskonferenz in München - der Iraner provoziert, der Franzose ist gefühlsgetrieben. Nur einer schlägt einen verbindlicheren Ton an: US-Vizepräsident Joe Biden.

Stefan Kornelius

Es gibt da so ein Joe-Biden-Gefühl, eine festgefügte Vorstellung von dem Mann. Das Bild etwa, wie er in einem Palazzo in Venedig mit einem Prosecco in der Menge steht, kein Jahr ist es her; wie er dröhnt, unterhält, lacht, Anekdoten reißt. Wie er in München ans Podium tritt, vor zwei Jahren wird es gewesen sein, dröhnt, schwadroniert, dominiert. In Amerika ist ein swagger ein Typ, der breitschultrig und sehr selbstbewusst daherschlendert; einer, bei dem der Gürtel tief hängt. Joe Biden, der Senator, war ein swagger.

Sicherheitskonferenz München Merkel Biden AP

Kanzlerin Merkel im Gespräch mit US-Vizepräsident Biden.

(Foto: Foto: AP)

Für Joe Biden, den Vizepräsidenten, gibt es noch kein Gefühl. Er ist noch nicht angekommen in der neuen Haut. Das merkt man schon, wenn er das Hotel Bayerischer Hof betritt. Wobei: Ein Vizepräsident betritt nicht, er kommt daher wie eine Staublawine. Die Meute vor, hinter und seitlich von ihm wälzt sich in die Lobby, durchzieht das Foyer, drängt die Treppe hinauf, der Vizepräsident eingezwängt in einem Cordon von 25 Sicherheitsbeamten.

Das sind politische Naturereignisse, die selbst die Delegation des japanischen Vizeaußenministers verstummen lassen, die da gerade an die Wand gedrängt wird und aufgeregt schnattert.

Joe Biden, der Senator, wäre hier ebenfalls mit großem Tamtam empfangen worden, hätte alte Freunde umarmt und ein wenig schwadroniert und dominiert. Aber das ist nun vorbei, obwohl das Gefühl nicht weichen will, dass dem Vizepräsidenten ein wenig wehmütig zumute ist über den Verlust. Das merkt man immer dann, wenn er sich gar nicht vizepräsidentiell verhält.

Muss ein Vizepräsident mitschreiben?

Wenn er entgegen aller protokollarischen Usancen nach dem Abendessen im pompösen Kaisersaal der Residenz zum Podium schreitet, hinter dem Pult mit der bayrischen Landesfahne Aufstellung nimmt (nicht hinter dem eigens nach München eingeflogenen Vizepräsidenten-Pult mit dem Vizepräsidenten-Wappen) und eine Dankesrede hält, so wie das die Senatoren McCain, Lieberman oder eben Biden getan hatten. Oder wenn er im Konferenzsaal in der ersten Reihe Platz nimmt, brav einen Schreibblock auf den Knien balanciert und Notizen macht wie ein College-Schüler, etwa wenn die deutsche Bundeskanzlerin redet oder der französische Präsident.

Muss ein Vizepräsident mitschreiben? Nein, muss er nicht, aber die neue amerikanische Regierung hat sich entschlossen, dass sie eine Botschaft in die Welt tragen will. Die Welt, die ist an diesem Tag in nicht unbedeutender Zusammensetzung im Ballsaal des Bayerischen Hofs versammelt, und da macht es sich prima, den Block rauszuholen.

Zuhören will sie, diese amerikanische Regierung, Rat einholen, diskutieren. Also schreibt der Vizepräsident, und der Nationale Sicherheitsberater verfolgt höflich jede Beschimpfung und Unterstellung, die der iranische Parlamentspräsident am Rednerpult keine zwei Meter von ihm entfernt vorzubringen hat.

Vor zwei Jahren noch leerte sich der Saal, als Ali Laridschani sprach. Heute füllt er sich. Das nennt man Außenpolitik, und selbst Henry Kissinger bleibt in seinem Sessel auf dem Podium sitzen, auch wenn er - offenbar erschöpft von all den Ehrungen und Huldigungen - demonstrativ ein wenig schläft.

Als die neue US-Regierung ins Amt kam, wurde ihr schnell bewusst, wie einmalig die Gelegenheit sein würde, auf diese Konferenz in München eine große Botschaft über Wirken und Streben der Obamaisten loszuwerden. Die Welt lechzt nach der neuen Führung, der frisch gewählte Präsident erfreut sich einer unverschuldeten Zuneigung, die sonst nur Popstars zuteil wird. Also musste eine Botschaft her, und ein Botschafter - der Vizepräsident.

Nur mit der Botschaft hapert es, weil zwei Wochen im Amt einfach nicht ausreichen, um eine geschlossene Politik zu formulieren. Geschlossen heißt in Washington wie überall auf der Welt: Das Heer der Politiker, Unterstützer, Regierungsbeamten und natürlich eine Mehrheit der Öffentlichkeit muss sich hinter dem Präsidenten versammeln, und zwar nicht nur hinter seinen Wahlkampfreden. Allein: Diese geschlossene Politik gibt es nicht, noch nicht, weil nach zwei Wochen nur ein paar Dutzend politischer Beamter die Schreibtische gewechselt haben.

Kennenlern-Runde im holzgetäfelten Garten-Salon

Was die Damen und Herren in Afghanistan zu tun gedenken, wie sie die Nato reformieren wollen, was sie von Russland halten - all das wissen sie selbst noch nicht.

In München ist Bushs alter Europa-Staatssekretär Dan Fried mit von der Partie, der dem Georgier Saakaschwili vergangenen Sommer vergeblich den Krieg auszureden versucht hatte. Er sitzt in der Kennenlern-Runde mit Biden und der Bundeskanzlerin im holzgetäfelten Garten-Salon auf dem Sofa, ein Bushist. Gleich neben ihm nimmt Jim Steinberg Platz, Hillary Clintons künftiger Stellvertreter. Außerdem dabei: der Obamaist Jim Jones, der Sicherheitsberater des Präsidenten.

Überhaupt sind da viele Clintonisten zu beobachten, wie sie die Gänge bevölkern und die Schwatz-Maschinerie in Gang halten, während sich die wenigen Obamaisten in vornehmer Zurückhaltung üben. Man kennt sie allemal kaum - Denis McDonough oder Mark Lippert, der jetzt Stabschef im Sicherheitsrat ist. Bidens linke und rechte Hand, Tony Blinken, ist da, eine wichtige Größe, und entsprechend balgen sie um seine Aufmerksamkeit - vom Außenminister eines europäischen Zwergstaates bis zum US-Botschafter-Kandidaten für Berlin. Die nutzen München allemal für ihre Kampagne.

Botschaften aus einer neuen Welt

Zugang ist alles in diesen Tagen, wo noch keine Papiere geschrieben, sondern immer noch Posten verteilt werden. Biden bleibt die Botschaft, die Obama schon während der Kampagne verbreitet hatte und die nun immer wieder dem ungläubigen Publikum vorgetragen wird. "Wir repräsentieren eine neue Regierung und hoffentlich einen neuen Tag." Oder: "Wir sind entschlossen, einen neuen Ton anzuschlagen - nicht nur in Washington, sondern in der ganzen Welt." Vokabeln fallen: Respekt, Ideal, Vorbild, Hoffnung. Vokabeln, die einem erfahrenen Nato-Beamten im Publikum fast schon Rührung und einen großzügigen Beifall abverlangen, weil man sich gar nicht vorstellen könne, "was das für ein Gefühl ist nach acht Jahren".

Ein undisziplinierter und gefühlsgetriebener Sarkozy

Das mit dem Gefühl ist tatsächlich schwer einzuordnen, wenn man nicht in der Welt der Außenpolitik lebt, die sich ja gerade ihrer Rationalität preist und deswegen so erleichtert darüber ist, dass nach acht Jahren plötzlich wieder miteinander geredet wird.

Deswegen ist das Publikum auch so dankbar, dass nach der rationalen Bundeskanzlerin der undisziplinierte und gefühlsgetriebene Nicolas Sarkozy das Podium bemannt und den Gefühlen auf seine Art Ausdruck verleiht. Zunächst einmal tadelnd gegenüber dem polnischen Ministerpräsidenten Tusk ("Werte - das hast Du nicht besonders oft angesprochen, Donald"), anschließend fordernd gegenüber den Amerikanern, von denen er nun "mehr als eine Sonntagsrede" erwarte.

Der zappelige Sarkozy, der am liebsten auf sein Handy oder seine Uhr schaut, zahlt allerdings einen Preis für seine Gefühligkeit, zumal er sich noch einen bösen Scherz auf Kosten des Vizepräsidenten erlaubt. Er habe ja die Rede Bidens vorab bekommen, sagt Sarkozy, aber viel Neues würde er ja nicht erfahren.

Biden, der durchaus das eine oder andere mitzuteilen hatte ("Guantanamo - wir brauchen Ihre Hilfe"), ließ den Franzosen kühl lächelnd wissen, man habe ihm die Rede gegeben, "damit Sie nettere Dinge über mich sagen". Es ist anzunehmen, dass sich diese Praxis bei nächster Gelegenheit ändert.

Die Sicherheitskonferenz ist ein Welten-Barometer. Auf 6000 Quadratmetern im Hotel treffen sich die Globalisten, tauschen Klatsch aus, ziehen sich in Salons zurück, flanieren zum Dinner. "Ein Zoo", wie ein sehr altgedienter Teilnehmer sagt, "eigentlich eine Modeschau, ein Schaulaufen von Eitlen und Wichtigen".

Manchmal sind sie so eitel und wichtig, dass sie sich an den Vizepräsidenten ranschleichen, wie zufällig seinen Blick erhaschen, vier Worte wechseln - man kenne sich von früher. Dann wandert eine Visitenkarten zu den Fotografen, den Abzug würde man durchaus bezahlen - noch eine Trophäe. Den alten Joe Biden scheint es zu amüsieren, der neue ist befremdet.

Es gibt ein paar, die lässt das Spektakel kalt, oder sie sind so abgeklärt, ja weise, dass ihr mit stiller Festigkeit vorgetragener Rat die Wirkung eines Keulenschlags entwickelt. Ewald von Kleist, den Stauffenberg einst in seinen Kreis holte, verleiht im kerzenbeschienenen Kaisersaal der Münchner Residenz einen Preis. Er ist nach ihm selbst benannt, und Henry Kissinger, den sie wechselweise Ikone oder Orakel nennen, soll ihn erhalten.

Von Kleist, der Göbbels in die kalten Augen schaute und der 1962 die "Wehrkundekonferenz" gründete, ist heute 86 Jahre alt, verfügt über eine beneidenswerte analytische Schärfe und hinreichend diplomatische Formen, um seine Botschaft dem Publikum mitzuteilen. "Die Idee war", sagt er über die Konferenz, "dass man in einer kleinen Gruppe Probleme diskutiert, in absoluter Unabhängigkeit, mit der Freiheit zu reden, und dem Wunsch, Qualität vor Quantität zu setzen."

"Ein schönes Gefühl, hier mit ihnen zusammen zu sein"

Dann schweift sein Blick über den Festsaal mit den vielen Hundert Teilnehmern, und er wendet sich Kissinger zu, der damals, 1962, der erste Redner der ersten Konferenz gewesen ist. "Herr Kissinger", sagt von Kleist mit nobler Distanz in der Stimme, "es ist ein schönes Gefühl, hier mit ihnen zusammen zu sein." Kissinger, ein Jährchen jünger als der Laudator und möglicherweise deshalb den Emotionen auch nicht mehr ganz abgeneigt, erzählt von Kindheit und Elternhaus.

Er hebt zum Schlusswort an, spricht von gemeinsamer Bestimmung, gar dem Beginn einer "neuen Phase der Schöpfung". Dann gibt das Orakel seine Prophezeiung ab, und sie ist hoffnungsfroh: "Ich bin, in der Tat, ziemlich optimistisch für die Welt, auf der wir leben." Applaus, stehend. Oben an der Decke spannt sich der Bilderzyklus von Peter Candid, die Vernunft und andere Tugenden des Fürstenherrschers preisend. Zu sehen sind auch ein schillerndes Pfauenrad und ein Schwan mit seinem gespreizten Gefieder.

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