Sicherheitskonferenz:Clinton sagt njet - und umwirbt die Russen

Die Sicherheitsinstitutionen in Europa sind nicht mehr zeitgemäß. Nötig sind Reformen - aber kein neues System.

US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton

Das Bündnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten hat mehr als 60 Jahre lang Frieden und Fortschritt gebracht. Nun aber müssen die sicherheitspolitischen Schlüsselinstitutionen Europas, die unser Bündnis geformt haben, erneuert - und zu einem gewissen Grad sogar überarbeitet werden. Sie taugten dazu, die Probleme des 20. Jahrhunderts zu lösen. Heute aber stehen wir vor neuen Bedrohungen wie Cyberkrieg, globalem Terrorismus, Energie-Unterbrechungen, Klimawandel und weltumspannenden kriminellen Netzwerken, die mit Drogen, Waffen und Menschen handeln. Die Welt hat sich verändert. Die Einrichtungen, die Europas Sicherheit und Wohlstand gewährleisten, müssen sich ebenfalls ändern.

Sicherheitskonferenz: US-Außenministerin Hillary Clinton: Europas Sicherheit ist unteilbar.

US-Außenministerin Hillary Clinton: Europas Sicherheit ist unteilbar.

(Foto: Foto: dpa)

Neue Denkweisen bahnen sich beiderseits des Atlantiks an. Die Nato überarbeitet ihre Strategie. Russland hat einen neuen Europäischen Sicherheitsvertrag wie auch ein neues Nato-Russland-Bündnis vorgeschlagen. Auch die USA überlegen, wie sich Europas Sicherheit stärken und erweitern lässt. Wir suchen mit allen Nationen das Gespräch über Ideen, wie sich Europas Sicherheit in dieser neuen Ära gewährleisten lässt. Dabei werden wir unseren Grundsätzen treu bleiben, die unser Bekenntnis zu europäischer Sicherheit widerspiegeln, wie auch unsere Rolle, diese zu formen, zu stärken und zu erhalten.

Respekt vor der Souveränität

Der erste dieser Grundsätze: Respekt vor der Souveränität und territorialen Integrität aller Staaten. Ein Großteil des Leids, das Europa im vergangenen Jahrhundert heimsuchte, hatte seine Ursache darin, dass Grenzen verletzt wurden und Nationen gehindert wurden, ihre eigene Außenpolitik zu verfolgen. Wir lehnen jegliche Einflusszonen ab, in denen ein Land versucht, ein anderes zu kontrollieren.

Insbesondere unterstützen wir Länder in ihrem Recht, Bündnisse frei zu wählen - ein Prinzip, das Russland und alle OSZE-Mitglieder beim Gipfel von Istanbul 1999 gebilligt haben. Wir glauben daran, dass die Erweiterung von Nato und Europäischer Union Stabilität und Fortschritt auf dem gesamten Kontinent befördert haben - auch in Russland. Dessen westliche Grenzen sind heute stabiler und sicherer als jemals in der Geschichte.

Es gibt nur ein Europa

Unser zweiter Grundsatz: Europas Sicherheit ist unteilbar. Viel zu oft drehen sich Diskussionen über Europas Sicherheit um geographische und politische Gräben - um Ost und West, um Nato und außerhalb der Nato, um EU-Mitglieder und solche, die es nicht sind. In Wirklichkeit aber gibt es nicht viele, sondern nur ein Europa. Und in diesem Europa ist Sicherheit kein Nullsummenspiel.

Die Unteilbarkeit von Sicherheit ist ein Kernelement der Reformvorschläge, die Russland kürzlich gemacht hat. Wir unterstützen das Ziel - nicht aber den russischen Ansatz. Wir sehen die beste Lösung darin, bestehende Institutionen wie die OSZE und den Nato-Russland-Rat zu stärken, statt neue Verträge zu schließen, wie Moskau es vorgeschlagen hat.

An der Seite Europas

Drittens bekennen wir uns ohne Wenn und Aber zum Versprechen, das in Artikel fünf des Nato-Vertrags formuliert ist: Ein Angriff auf ein Mitglied der Allianz ist ein Angriff auf alle. Wir werden weiterhin Truppen in Europa stationieren, um Angreifer abzuschrecken und um auf Angriffe, wenn es sie dennoch gibt, schnell zu reagieren. Wir arbeiten mit unseren Verbündeten an Plänen, um auf Eventualitäten und neue Bedrohungen zu reagieren, wozu auch die Gefährdung der Energiesicherheit Europas und ein möglicher Angriff mit ballistischen Waffen durch Iran gehören. Und wir meinen unser Angebot ernst, zusammen mit Russland eine Raketenabwehr zu entwickeln, welche die Sicherheit ganz Europas verbessert.

Hillary Clinton, AP

US-Außenministerin Hillary Clinton will die europäischen Sicherheitsinstitutionen reformieren - ein neues System, wie es Russland wünscht, lehnt sie ab.

(Foto: Foto: AP)

Offene Kommunikation

Viertens sind wir entschlossen, bei unseren Bemühungen in Europa Transparenz walten zu lassen - und fordern andere Nationen auf, es uns gleich zu tun. Wir leben in einem vernetzten Zeitalter, und eine Bedrohung in einem Land kann sich schnell zu einer regionalen oder globalen Krise ausweiten. Europas Sicherheit hängt von offener Kommunikation ab. Die Vereinigten Staaten unterstützen den Austausch von Informationen über militärische Aktivitäten, was auch Besuche militärischer Einrichtungen und die Beobachtung militärischer Übungen einschließt.

Welt ohne Atomwaffen

Deswegen braucht der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) unsere Aufmerksamkeit. Mehr als 20 Jahre lang war der KSE-Vertrag ein Eckpfeiler der Kontrolle konventioneller Waffen, der Transparenz sowie der Vertrauensbildung. Doch nun droht er zu bröckeln. Während die USA und ihre Verbündete weiter Informationen über ihre Truppen preisgeben, hat Russland die Zusammenarbeit vor zwei Jahren ausgesetzt. Die Tragödie des Krieges zwischen Russland und Georgien war ein weiteres Hindernis. Wir müssen die Gespräche mit unseren Verbündeten, mit Russland und anderen Unterzeichnern wiederbeleben.

Eine Welt ohne Atomwaffen

Fünftens haben Menschen überall das Recht, ohne Furcht vor atomarer Zerstörung zu leben. Vergangenes Jahr in Prag hat Präsident Obama sich zu dem langfristigen Ziel einer Welt ohne Atomwaffen bekannt. Solange aber diese Waffen existieren, werden die Vereinigten Staaten ein sicheres und effizientes Arsenal unterhalten, um jegliche Gegner abzuschrecken, und wir werden diese Sicherheit auch für unsere Verbündeten gewährleisten. Zugleich wollen wir unser nukleares Arsenal verringern. Wir werden keine Mühe scheuen, um die Verbreitung von Kernwaffen zu verhindern und die vorhandenen Bestände sicher zu verwahren. Und wir werden gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten unsere intensiven Versuche fortsetzen, um Iran davon abzuhalten, die Bombe zu erlangen.

Chancen für die Bürger

Der sechste Grundsatz: Wahre Sicherheit umfasst nicht nur friedliche Beziehungen zwischen Staaten, sondern auch Grundrechte und Chancen für ihre Bürger. Sichere Länder verteidigen die Menschenrechte, ermöglichen ihren Bürgern, ihre Führer frei zu wählen, ihre Meinung frei zu äußern und sich an der Zivilgesellschaft zu beteiligen. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, dass ihre Bürger in einer gesunden Umwelt leben, Bildung erhalten, einen Beruf ausüben, eine Familie gründen können, wenn sie es wünschen, frei reisen und das Beste aus ihrer von Gott gegebenen Begabung herausholen. Entwicklung, Demokratie und Menschenrechte bilden einen sich selbst verstärkenden Kreislauf. Ist dieser unterbrochen, dann ist eine Nation nicht mehr sicher.

Europas Völker verstehen, dass Sicherheit sowohl auf militärischer wie auch menschlicher Stärke fußt. Europas Sicherheit wird von einer Reihe von Institutionen gewährleistet - darunter die Nato, die Europäische Union und die OSZE, die alle Werkzeuge bereitstellen: militärische, politische, wirtschaftliche, soziale und rechtliche. Jetzt müssen wir unser Bekenntnis zu diesen Institutionen erneuern und sicherstellen, dass sie den heutigen Herausforderungen gewachsen sind.

Die Stabilität und Sicherheit Europas zu verbessern, ist ein entscheidender Baustein amerikanischer Außenpolitik und drückt zugleich unsere grundlegenden Werte aus. Wir stehen an der Seite Europas, so wie wir es seit Jahrzehnten tun, weil anhaltende Beziehungen unsere Nationen und unsere Völker verbinden.

Von unseren Prinzipien und unserer gemeinsamen Geschichte geleitet, sind Europa und die USA entschlossen, unsere Allianz für das kommende Zeitalter zu erneuern sowie Frieden und Sicherheit in Europa jetzt und in den kommenden Jahren zu erhalten.

US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton verfasste den Gastbeitrag anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz. Weitere Beiträge - unter anderem vom Außenminister Guido Westerwelle sowie von seinem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski - finden Sie in der Freitagsausgabe der Süddeutschen Zeitung.

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