Sicherheitskonferenz:Abschied oder Bewerbung? Wie sich Gabriel in München schlägt

Munich Security Conference 2018

Außenminister Sigmar Gabriel spricht über internationale Zusammenarbeit, obwohl unklar ist, ob er in Zukunft weiter mit am Verhandlungstisch sitzt.

(Foto: Getty Images)

Es könnte sein letzter Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz gewesen sein. Der Noch-Außenminister hält eine bemerkenswerte Rede.

Von Matthias Kolb

Als er um kurz nach neun Uhr auf die Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz tritt, weiß Sigmar Gabriel, dass seine Rede mit großer Spannung beobachtet wird. Einen Tag zuvor konnte Deniz Yücel das Gefängnis in der Türkei nach 367 Tagen verlassen, und der SPD-Politiker hatte sich wochenlang für die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten eingesetzt. Doch zugleich ist vielen bewusst, dass dies der letzte große Auftritt für Gabriel als Außenminister sein könnte. Oder ist das hier sogar eine Chance für Gabriel, eine Chance im Kampf um sein Amt?

Den Posten als Außenminister scheint er im SPD-internen Kampf um Macht und Posten verloren zu haben. Doch noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Und so ist Gabriels Rede auch ein wenig als Zeichen an seine Partei zu verstehen: Seht her, Außenminister kann ich. Und wenn ihr mich lasst, auch noch die kommenden vier Jahre.

In seiner Rede zitiert der 58-Jährige aus einem Artikel des deutschen Stanford-Professors Hans-Ulrich Gumbrecht, der in der Neuen Zürcher Zeitung kürzlich folgenden Satz schrieb: "Statt sich als gestaltbar zu zeigen, scheint die Zukunft heute vor allem Schicksal zu sein." Gabriel weist diese Haltung zurück und fordert die Spitzenpolitiker der Welt auf, aktiv zu werden und "unsere Zukunft zu gestalten und nicht zu erdulden". Dass der geschäftsführende Außenminister selbst sehr große Lust aufs Gestalten hat, daran lässt auch dieser halbstündige Auftritt keinen Zweifel.

Eindringlich wirbt er angesichts der jüngsten weltpolitischen Umwälzungen für ein starkes Europa. Die Welt stehe weiter vor einem "Abgrund" und leider seien Berechenbarkeit und Verlässlichkeit derzeit auf globaler Ebene "die knappsten Güter". Umso mehr müssten die EU-Mitglieder in die Zukunft der Gemeinschaft investieren, um nicht in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Deutschland sei daher entschlossen, massiv in die Zukunft der EU zu investieren. "Europa ist nicht alles, aber ohne Europa ist alles nichts", hob der Außenminister hervor. Niemand solle versuchen, die EU zu spalten - "nicht Russland, nicht China, aber auch nicht die Vereinigten Staaten".

Der Noch-Außenminister zeichnet ein düsteres Bild der Welt und beklagt, dass es gerade den Europäern am passenden Weitblick fehle. Wenn die freiheitliche Ordnung im Westen bröckele, würden andere "ihre Pfeiler" einziehen, warnt Gabriel mit Blick auf Länder wie China. Die Volksrepublik sei derzeit das einzige Land der Welt mit einer wirklich globalen Strategie.

Zweifel an "unserem Amerika"

Um die "Architektur der Freiheit" in der Welt zu erhalten, liege es auch im eigenen Interesse der USA, ihre Zusammenarbeit mit Europa "auf Augenhöhe" zu festigen. Als Beispiel einer gelungen Zusammenarbeit nennt Gabriel das internationale Atomabkommen mit Iran und das gemeinsame Engagement zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine. Gleichzeitig zeigt sich Gabriel besorgt über die fehlende Verlässlichkeit der US-Regierung unter Präsident Donald Trump. "Wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererkennen. Sind es Taten, sind es Worte, sind es Tweets, an denen wir Amerika messen müssen?" fragt er.

Geht es nach Gabriel, dann muss die EU ihrerseits eine aktivere Rolle in der Weltpolitik einnehmen. Sie stehe vor der Aufgabe, ihren "inneren Zusammenhalt" wiederherzustellen, indem sie die im vergangenen Jahrzehnt zutage getretenen inneren Gegensätze überwinde. Die Mitgliedstaaten müssten ihre Interessen in den Außenbeziehungen zu anderen Staaten definieren und Strategien und Instrumente entwickeln, um diese auch durchzusetzen: "Jeder nach seinen Möglichkeiten, aber alle mit der gleichen Agenda". "Als einziger Vegetarier werden wir es in einer Welt der Fleischfresser schwer haben", sagt der deutsche Außenminister.

Eigenlob für Yücel-Freilassung? Fehlanzeige

In der anschließenden kurzen Fragerunde versucht Sigmar Gabriel, nicht überheblich oder fordernd aufzutreten. Er nimmt die Gratulation von Moderator Wolfgang Ischinger wegen der Freilassung von Deniz Yücel entgegen, aber er spricht nicht über seine eigene Rolle. Anstatt sich selbst zu loben, betont er, dass fünf weitere Deutsche noch immer in türkischer Haft sitzen würden.

Weil die Türkei aber ein einflussreicher Nachbar sei, müssten weiterhin alle Gesprächsformate mit dem Land genutzt werden. "Eine andere Methode gibt es nicht. Man muss gute Momente nutzen, um bessere anzusteuern", betont der SPD-Politiker. Eines sei aber unerlässlich im Dialog mit Ankara: Schwierige Themen wie die Menschenrechtslage in der Türkei und die dortigen Gefahren für die Unabhängigkeit der Justiz müssten immer thematisiert werden. Vor seiner Rede hatte sich Gabriel bereits für den schrittweisen Abbau der Russland-Sanktionen ausgesprochen. "Ich weiß, dass die offizielle Position eine andere ist", sagte Gabriel bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Gabriel unterstützte dabei ausdrücklich den Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin, einen Waffenstillstand über einen UN-Blauhelmeinsatz zu sichern. "Wenn uns das gelingt, dann müssen wir beginnen, schrittweise Sanktionen abzubauen", sagte Gabriel. Offiziell heiße es, dass die Sanktionen erst aufgehoben würden, wenn 100 Prozent des Minsker Friedensabkommens für die Ostukraine umgesetzt seien. "Ich halte das für keine sehr realistische Position. Wenn man Fortschritte macht, dann muss man Fortschritte auf beiden Seiten spüren und merken. Die Bundesregierung habe die Absicht, die Beziehungen zu Russland wieder zu verbessern.

Ob Sigmar Gabriel als Chefdiplomat der Bundesregierung weiter machen darf, wenn die mehr als 460.000 SPD-Mitglieder das Okay für eine neue große Koalition geben, bleibt offen. Die Vorbehalte gegen den heutigen Vizekanzler und ehemaligen Parteichef sind unter den Sozialdemokraten weiter groß. Doch dieser Auftritt macht klar, dass an Gabriels Kompetenz nur wenig Zweifel bestehen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen

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