Sicherheit in Europa:Technik gegen den Terror

Sicherheit in Europa: Vor den französischen Botschaften in Berlin (rechts) und London (links) ehren die Menschen die Opfer von Paris mit einer Schweigeminute.

Vor den französischen Botschaften in Berlin (rechts) und London (links) ehren die Menschen die Opfer von Paris mit einer Schweigeminute.

(Foto: Hannibal Hanschke/Reuters, Peter Nicholls/Reuters)

Um sich besser gegen Attentate zu wappnen, hat die EU-Kommission bereits im April eine Sicherheitsagenda beschlossen.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Brüssel

Es war eine weitere schlimme Nachricht aus Paris, weil sie alles noch komplizierter macht: Ahmed al-Muhammad, einer der Attentäter, der sich in der Nähe des Stade de France in die Luft sprengte, kam vermutlich als angeblicher Flüchtling aus Syrien über die Balkan-Route nach Frankreich.

Noch ist nicht ganz klar, wie die Information zu deuten ist. Nach Ansicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière könnte es sich um eine absichtlich gelegte Fährte handeln. Dennoch besteht nun eine Verbindung zwischen den Anschlägen und der Flüchtlingskrise, die politisch so brisant ist, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ihr schon am Sonntag entgegentrat. "Jene, die dieses Attentat organisiert und durchgeführt haben, sind genau jene, vor denen die Flüchtlinge Schutz suchen", sagte er im türkischen Antalya. Es gebe deshalb keinen Anlass, die europäische Flüchtlingspolitik als solche zu überdenken.

Nach griechischen Angaben ist der geborene Syrer al-Muhammad 25 Jahre alt. Er sei über die Türkei auf die Insel Leros gereist, die er am 3. Oktober per Boot erreichte. Auf der Insel habe man ihn "nach der üblichen Methode" registriert und Fingerabdrücke genommen, sagte der stellvertretende Migrationsminister Yannis Mouzalas. Er sei nach Rhodos gebracht worden, wo er eine Flüchtlingsbestätigung sowie ein Ticket nach Piräus bekommen habe. Er sei nach Serbien und Kroatien weitergereist. Die Zeitung Proto Thema veröffentlichte Kopien seiner Reisedokumente.

Zu keinem Zeitpunkt hätten die griechischen Behörden Hinweise auf eine Gefährdung durch al-Muhammad erhalten, so Mouzalas. Das kann gut sein, vermutlich ist der Mann irgendwie durchgerutscht, denn noch bestehen in dieser Hinsicht Lücken, vor allem in Griechenland. Das Aufnahmezentrum (Hotspot) auf Leros soll erst Ende November stehen, bisher gibt es nur eins auf Lesbos. Die nationalen Behörden würden von 114 Frontex-Beamten unterstützt, sagt eine Sprecherin der Grenzschutzagentur in Warschau. 269 müssten die EU-Mitgliedstaaten noch schicken, damit das System an der griechischen EU-Außengrenze funktionieren könne.

In Aufnahmezentren versuchen "Screener", falsche Flüchtlinge zu identifizieren

Das sähe so aus: Im Aufnahmezentrum werden die Fingerabdrücke in das polizeiliche Erkennungssystem Eurodac eingegeben, das geschaffen wurde, um mehrfach gestellte Asylanträge zu verhindern. Dann könnten sie mit dem Schengener Informationssystem (SIS) abgeglichen werden, wie eine Sprecherin der EU-Kommission bestätigte. SIS enthält Millionen Fahndungsdaten, auf die die Behörden online zugreifen dürfen. Von Frontex entsandte "De-Briefer" füttern SIS in den Aufnahmezentren, während "Screener" versuchen, "falsche" Flüchtlinge zu ermitteln, die sich als Syrer ausgeben. Dazu stellen sie Fragen nach dem Herkunftsort, der Familie, der Schule. Auch "kulturelle Mediatoren" sind im Einsatz, die aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge stammen und im Wesentlichen übersetzen.

Eine echte gemeinsame Terrorstrategie hat die EU noch nicht, sie steht in dieser Hinsicht noch am Anfang. Im April hatte die EU-Kommission eine "Sicherheitsagenda" vorgelegt. Einiges sei schon umgesetzt, so die Sprecherin, zum Beispiel technische Verbesserungen am SIS sowie ein Handbuch für die Mitgliedstaaten, anderes soll "extrem beschleunigt" werden. Am 1. Januar 2016 wird bei Europol ein europäisches "Antiterror-Zentrum" entstehen. Damit bezwecke man nur eine bessere Koordination zwischen den Mitgliedstaaten, hieß es. Eine "europäische CIA" oder ähnliches sei nicht geplant. Am Freitag kommen die EU-Innenminister auf Bitten Frankreichs zu einem Sondertreffen zusammen. Vor allem müssten Geheimdienste, Polizei und Justiz besser zusammenarbeiten, sagte Frankreichs Europaminister Harlem Désir beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel. Wichtig sei auch die Einführung eines Fluggastdatenregisters. Außerdem will Paris schärfere Waffengesetze und ein verstärktes Vorgehen gegen Finanzierungsmöglichkeiten für Extremisten. All dies war schon nach den Anschlägen auf Charlie Hebd o im Januar vereinbart worden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte, es gehe darum, dass "wir gerade in dieser Situation uns auch sehr selbst kontrollieren, dass wir aus dem Druck der Situation heraus nicht falsche Entscheidungen treffen". Die Politik befinde sich in einem Dilemma: "Alle wissen, wir werden den Kampf gegen Isis fortsetzen müssen, aber alle wissen auch, dass der Kampf gegen Terrorismus nicht militärisch gewonnen werden kann." In diesem Zusammenhang verwies er auf die Syrien-Gespräche in Wien. "Alle sind jetzt am Tisch", sagte Steinmeier. Der UN-Beauftragte Staffan Domingo de Mistura informierte über seine Friedensbemühungen in Syrien. Keinerlei Hinweise gab es, dass Frankreich eine Beteiligung der Nato am Kampf gegen die Terrormiliz IS wünscht oder gar die Ausrufung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages wünscht. Die Debatte finde daher im "luftleeren Raum" statt, sagte Steinmeier.

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