Sicherheit in Europa:"Nicht immer nur beschließen, sondern auch mal machen"

Zu wenig Geld, Technik und politischer Wille: Rainer Wendt, Chef der DPolG, kritisiert die Zusammenarbeit in der EU im Kampf gegen das Verbrechen.

Elmar Jung

Seit einem Jahr ist Rainer Wendt Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Der gebürtige Duisburger ist bekannt dafür, keinem Konflikt mit der Politik aus dem Weg zu gehen. Der 52-Jährige gilt als Befürworter von Schäubles BKA-Gesetz.

Sicherheit in Europa: Rainer Wendt ist Bundesvorsitzender der  Deutschen Polizeigewerkschaft.

Rainer Wendt ist Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.

(Foto: Foto: DPolG)

sueddeutsche.de: Herr Wendt, eine von Ihrer Organisation mitorganisierte Veranstaltung trägt den Titel "Offene Grenzen in Europa. Polizeiliche Fahndung zwischen Anspruch und Wirklichkeit", die an diesem Dienstag stattfindet. Können Sie diese Diskrepanz näher erläutern?

Rainer Wendt: Die Menschen in Europa erwarten, dass beim Wegfallen von Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union die Sicherheitssysteme verschiedener Länder aufeinander abgestimmt sind. Soll heißen: Ein Ganove, nach dem in Deutschland gefahndet wird, wird selbstverständlich auch in anderen Ländern mit der gleichen Intensität gesucht. Dem ist aber nicht so.

sueddeutsche.de: Sondern?

Wendt: Es gibt viele Ganoven, die stehen zwar im Informationssystem der deutschen Polizeien, aber nicht im Schengener Informationssystem. Und wir reden hier nicht über Eierdiebe, sondern über durchaus respektable Straftäter, Schwerkriminelle. Die zwischenstaatlichen Verfahren sind oft noch zu bürokratisch. Da haben wir noch nicht die Voraussetzungen geschaffen, die nötig wären.

sueddeutsche.de: Als da wären?

Wendt: Es fehlen technische Voraussetzungen. Zur Zeit ist man in Brüssel dabei, ein neues, erweitertes Schengener Informationssystem zu schaffen. Das ist aber noch mit erheblichen technischen Schwierigkeiten verbunden. Ursprünglich sollte das System Oktober 2009 anlaufen. Im Moment sieht es aber so aus, als sei der Termin nicht zu halten.

sueddeutsche.de: Hilft denn der europäische Haftbefehl nichts?

Wendt: Theoretisch schon. Das Verfahren ist aber so kompliziert, dass viele Kriminalbeamte sagen: "Ach komm, wir schreiben den im Informationssystem der deutschen Polizeien aus, und gut is." Die rechtlichen und politischen Defizite sind doch enorm. Es gibt keine Automatismen. Es müsste doch selbstverständlich sein, dass beispielsweise ein verurteilter Mörder automatisch ins Schengener Informationssystem gestellt wird. Wird er aber nicht. Nach unseren Informationen sind von mehr als 7000 Verbrechern, die wir als Schwerstkriminelle einstufen, weniger als 2000 tatsächlich im Schengener Informationssystem eingetragen.

sueddeutsche.de: Was fordern Sie genau?

Wendt: Wir brauchen politische Initiativen, die eine einheitliche Plattform auf europäischer Ebene einrichten. Da muss man auch Geld in die Hand nehmen und die Industrie dazu auffordern, so etwas zu entwickeln.

sueddeutsche.de: Über wie viel Geld reden wir hier?

Wendt: Das sind schon einige Milliarden. Alleine die Einführung des Digitalfunks in Deutschland verschlingt schon diese Summe. Wenn wir aber in Europa einheitlich nach Verbrechern fahnden wollen, müssen wir einfach mehr investieren.

sueddeutsche.de: Vor einem Jahr bei der großen Erweiterung der Schengenzone, haben Sie den Vorgang als gefährliches Experiment bezeichnet. Fühlen Sie sich bestätigt, ist das Experiment in Ihren Augen misslungen?

Wendt: Fehlgeschlagen nicht. Aber die Deutschen haben einfach nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Polen oder Tschechien beispielsweise sind uns bei der Ausstattung um Meilen voraus. Wenn ein deutscher Polizist ein modernes Funkgerät oder eine mobile Abfragestation sehen will, muss er nach Polen oder Tschechien fahren. Die haben so etwas.

sueddeutsche.de: Mit Mitteln der Europäischen Union bezahlt.

Wendt: Das mag sein. Trotzdem hätte Deutschland hier mehr investieren müssen. Wir haben nie gesagt, dass wir beim Schengener Abkommen skeptisch sind, weil wir die Polen für krimineller halten als die Deutschen.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Wendt mit den Ursprungsländern von Flüchtlingen zusammenarbeiten will.

"Nicht immer nur beschließen, sondern auch mal machen"

sueddeutsche.de: Soll heißen: Der Beitritt der Schweiz in knapp zwei Wochen ist nicht willkommener als der Polens oder Tschechiens?

Wendt: Nein, natürlich nicht. Die Erweiterung der Schengenzone war politisch der richtige Schritt. Was wir kritisieren ist, dass Deutschland und andere Länder auf diese Entwicklung nicht ausreichend reagiert haben.

sueddeutsche.de: Können Sie ein Beispiel nennen?

Wendt: Der Prümer Vertrag etwa sieht vor, dass zehn EU-Staaten DNA-Daten austauschen können. Das ist auch vernünftig. Allein zwischen Österreich und Deutschland hat diese Möglichkeit viele Tötungsdelikte aufgeklärt. In vielen anderen Fällen sind aber für einen solchen Datenaustausch lediglich die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Von einer technischen Realisierung sind wir noch meilenweit entfernt. Man kann halt nicht immer nur beschließen, man muss auch mal machen.

sueddeutsche.de: Nun betrifft die polizeiliche Fahndung auch die Außengrenzen Europas. Sind die denn überhaupt komplett überwachbar?

Wendt: Ja. Und da sind wir auch schon sehr weit gekommen. Natürlich gibt es Schwachstellen wie zum Beispiel das Mittelmeer. Und auch an der einzigen europäischen Außengrenze Deutschlands, in der Nord- und Ostsee, gibt es noch erhebliche Defizite. Da sind insgesamt zehn Bundes- und Landesministerien zuständig. Wir arbeiten dort mit sechs Polizeien. Das ist hanebüchen. Gerade Deutschland müsste endlich rangehen und sagen: Wir machen da eine vernünftige Küstenwache unter polizeilicher Führung. Nur muss man die Küstenwache dann halt auch anständig ausrüsten und bewaffnen. Und dann können die das auch.

sueddeutsche.de: Seit 2005 kämpft die EU-Grenzschutzagentur Frontex gegen Flüchtlingsströme an Europas Küsten. Wie beurteilen Sie die Einsätze, an denen auch Beamte der Bundespolizei beteiligt sind?

Wendt: Durchweg positiv. Die Einsätze müssen unbedingt intensiviert werden. Die Stärkung von Frontex ist eine ganz wichtige Aufgabe.

sueddeutsche.de: Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Praxis bei einzelnen Frontex-Einsätzen scharf. Flüchtlinge würden unter anderem auf hoher See zur Umkehr gezwungen, ohne dass ihr rechtlicher Status überprüft wird.

Wendt: Das ist doch die Standardkritik der Menschenrechtsorganisationen. Ich halte von dieser Kritik überhaupt nichts. Wir müssen die europäischen Außengrenzen wirklich vernünftig sichern und Migration vernünftig regeln und steuern. Da können wir nicht sagen: So, da lassen wir jetzt erst mal alles reinkommen, und dann schauen wir mal. Nein, wir müssen an den Grenzen konsequent handeln und zurückweisen. Im Übrigen handelt es sich bei der größten Menschenrechtsorganisation in Deutschland ohnehin um uns, die Polizei.

sueddeutsche.de: Im Sommer kam es auf den Inseln Sizilien und Lampedusa fast zur humanitären Katastrophe. Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Flüchtlinge wurden angespült, die Auffanglager waren hoffnungslos überfüllt - trotz Frontex. Wie lässt sich in Zukunft so etwas vermeiden?

Wendt: Ganz vermeiden lässt es sich wahrscheinlich nicht - aber eindämmen. Dazu müssen wir wie gesagt Frontex weiter stärken und der Einrichtung die nötigen finanziellen Ressourcen und das Personal zur Verfügung stellen. Und wir brauchen eine stärkere Zusammenarbeit mit jenen Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen. Das beinhaltet auch Entwicklungsarbeit vor Ort. Einfach Europa zur Festung zu erklären, reicht sicher nicht aus.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: