Sichere Herkunftsländer:Kritisieren, zögern, zustimmen

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Warum Winfried Kretschmann trotz grüner Kritiker wohl einwilligt.

Von Susanne Höll und Josef Kelnberger

Seit Jahresbeginn durchlaufen Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten in Baden-Württemberg ein spezielles Verfahren. "Prioritär", nennt das die grün-rote Landesregierung. Binnen 48 Stunden sollen sie registriert, untersucht und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) befragt werden. Sie werden nicht auf Kommunen verteilt, sondern bleiben in den Erstaufnahmestellen des Landes, getrennt von Asylbewerbern anderer Nationalität. So habe man die "teilweise problematische Klientel besser im Blick", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Eine "teilweise problematische Klientel" - der grüne Regierungschef wird deutlich, wenn es um Maghreb-Flüchtlinge geht. Auch aus Stuttgart wurden nach Silvester sexuelle Übergriffe gemeldet, mutmaßlich durch Nordafrikaner. Vergangene Woche fuhr die Polizei mit ganz großem Aufgebot in der Erstaufnahmestelle Ellwangen vor. Von Drogenhandel, Raub, organisiertem Diebstahl ist die Rede, begangen von jungen Männern, die sich einer Registrierung entzögen. Wäre es da nicht angemessen, wenn Kretschmann klar die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als "sichere Herkunftsländer" befürworten würde?

In Hessen und Rheinland-Pfalz hält man sich sehr zurück mit eindeutigen Aussagen

Seit Mittwochabend liegen die Unterlagen der Bundesregierung im Stuttgarter Staatsministerium vor: der Gesetzentwurf und eine Einschätzung, ob die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen auf die drei Länder anwendbar sind. Der Ministerpräsident verschließe sich einer Zustimmung im Bundesrat "grundsätzlich" nicht, sagt Kretschmanns Sprecher Rudi Hoogvliet. Man werde nun "sorgfältig prüfen" und dann entscheiden.

Mindestens zwei Landesregierungen mit grüner Beteiligung müssen im Bundesrat Ja sagen, damit das Gesetz in Kraft treten kann. Eine Prognose ist nicht schwer: Kretschmann wird wohl zustimmen. Aber er zögert aus mehreren Gründen. Er hält "sichere Herkunftländer" generell für überschätzt als Mittel, um die Flüchtlingskrise zu lösen. Er lobt stattdessen die beschleunigten Verfahren, die seine Regierung in Zusammenarbeit mit dem Bamf entwickelt hat und die nun auch für Maghreb-Flüchtlinge angewendet werden. Zum anderen will Kretschmann Respekt zeigen vor diesem Eingriff ins Asylrecht, den die Grünen im Grundsatz für falsch halten. Er will seine Partei so weit wie möglich mitnehmen.

Kretschmann hat den Grünen bereits so einiges zugemutet in der Frage "sicherer Herkunftsländer". Beim ersten Asylkompromiss im Herbst 2014 - es ging um die ersten drei Westbalkan-Staaten - stand er allein. In der Bundespartei warfen ihm manche vor, er habe grüne Ideale verraten. Die Attacken von Volker Beck und Claudia Roth fand Kretschmann empörend. Beim zweiten Asylkompromiss - es ging um die restlichen Westbalkan-Staaten - stimmten zwar nicht alle Landesregierungen mit grüner Beteiligung zu, aber Kretschmann als Verhandlungsführer gelang es zumindest, offenen Streit zu vermeiden.

Nun also der dritte Akt. Kretschmann weiß, dass es schwer wird, eine gemeinsame Linie zu finden. Bei den Westbalkan-Staaten handle es sich immerhin um "junge Demokratien", sagte er diese Woche. Im Maghreb sei die Lage heikler. In Berlin meldeten im Namen der Grünen Volker Beck und Omid Nouripour bereits schwere Bedenken an. Vor allem in Marokko und Algerien würden Menschenrechte missachtet und kritische Bürger verfolgt.

Die hessischen Grünen, die als Juniorpartner der CDU bei der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten des Balkans an Kretschmanns Seite standen, halten sich diesmal zurück. Das sei ein sensibles Thema, man werde es "umfassend und verantwortungsbewusst erörtern und prüfen", heißt es in einem Antrag der Landtagsfraktion. Die Grünen in Wiesbaden wissen um den Sinn von Symbolpolitik, aber sie bezweifeln, dass das Instrument hilft bei der Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Sie müssen zudem am 6. März Kommunalwahlen bestreiten und sich entscheiden: Wollen sie pragmatisch erscheinen oder Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zu einer Enthaltung im Bundesrat zwingen, mit Rücksicht auf treue Stammwähler?

Vor dieser Frage steht die Partei auch als Juniorpartner der SPD in Rheinland-Pfalz. Dort wollten die Grünen im Herbst die Balkan-Staaten zunächst partout nicht für sicher erklären lassen und schwenkten erst sehr spät um. Diesmal halten sie sich die Sache so lang wie möglich offen. "Wir finden kein einziges tragfähiges Argument, welches uns oder eines Tages das Bundesverfassungsgericht überzeugen könnte, dass einer dieser Staaten sicher ist", argumentiert die Partei bislang. In Rheinland-Pfalz wird am 13. März der Landtag neu gewählt. Die Grünen müssen um den Einzug ins Parlament bangen. Sie fürchten, dass ihre Klientel eine Zustimmung sehr übel nimmt.

Auch in Baden-Württemberg wird am 13. März gewählt. Ausgerechnet jetzt dürfte die Debatte noch hitziger verlaufen, nachdem ein algerischer Flüchtling verdächtigt wird, Chef einer IS-Terrorzelle zu sein. Ob Kretschmann allein dasteht in der Frage? Grünen-Parteichef Cem Özdemir sagt, er habe keine Bedenken. Alle in der Partei wüssten, dass Kretschmann verantwortlich handle. "Die letzten Parteitage haben gezeigt, welch großen Rückhalt er hat." Eins könnte den Grünen dabei helfen: Die Abstimmung im Bundesrat soll nach der Wahl stattfinden, am 18. März.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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