Sherko Fatah über Nahen Osten:"Der IS wird stärker - einfach dadurch, dass er da ist"

Sherko Fatah über Nahen Osten: Collage: Sherko Fatah und Aufruhr in der irakischen Hauptstadt Bagdad.

Collage: Sherko Fatah und Aufruhr in der irakischen Hauptstadt Bagdad.

(Foto: dpa/ Jens Oellermann)

Die Romane von Sherko Fatah spielen in der Heimat seines Vaters. Dort, wo jetzt der Islamische Staat seinen Schrecken verbreitet. Fatah warnt: Der Westen dürfe die Menschen im Irak nicht vergessen.

Von Karin Janker

SZ: Herr Fatah, "Der letzte Ort" erzählt vom Scheitern einer Begegnung. Ausgangspunkt ist die Entführung des Deutschen Albert und seines irakischen Übersetzers Osama irgendwo im Nahen Osten. Was fasziniert Sie an der Region?

Sherko Fatah: Der Irak und eigentlich der gesamte Nahe Osten sind ein Grenzland. Das macht die Region für meine Literatur so fruchtbar. Ich erzähle von den Rändern her, meine Figuren stehen nie im Zentrum, sie haben etwas Fremdes an sich. Und ich erzähle von ihren Begegnungen. Der Nahe Osten ist eine Begegnungslandschaft zwischen Kulturen.

Aus dem Roman "Der letzte Ort":

"Vor dem Krieg bin ich lange Zeit Fahrer gewesen, oft auch für Ausländer", sprach Osama vor sich hin. "Es waren Leute von überallher, aus Europa, den USA, sogar Japaner und Chinesen waren dabei. Bei den Asiaten kann man es nicht so genau sagen, aber die aus dem Westen waren immer entweder Soldaten oder Touristen. Nicht, dass sie es wirklich waren. Sie hatten diplomatische oder wirtschaftliche Aufgaben, waren gebildete Menschen im besten Alter, meistens Männer. Trotzdem waren sie Soldaten oder Touristen. Verstehst du das?"

Der Orient ist traditionell auch eine beliebte Projektionsfläche für Stereotype und exotische Sehnsüchte.

Selbstverständlich, denken Sie an die Haremsträume des 19. Jahrhunderts, an die Romantisierungen eines Karl May. Bis heute werden Diktaturen in der Region vom Westen akzeptiert und beschönigt. Es existiert ja sogar die Vorstellung, die Mentalität der Menschen dort verlange nach Despoten. Glücklicherweise hat spätestens der Arabische Frühling gezeigt, dass dem nicht so ist.

Ihr Vater stammte aus dem Irak, Ihre Verwandten leben weiterhin in Suleimanija, einer Stadt nahe der Grenze zum Iran. Wie haben Sie die Region und die Menschen bei Ihrem letzten Besuch dort erlebt?

Ich war zuletzt im Dezember im Irak und habe die Menschen als sehr verunsichert erlebt. Sie sitzen auf gepackten Koffern. Sie wollen nicht fliehen, schließlich haben sie ihre gesamte Existenz dort. Aber die Zukunft ist ungewiss und falls der IS näher rückt, sind sie weg. Es gibt Straßensperren, viele Flüchtlinge sind bereits angekommen. Aber natürlich versuchen die Menschen auch, die Gefahr - die Front, die näher rückt - zu verdrängen.

Zur Person

- geboren: 1964 in Ost-Berlin als Sohn einer Deutschen und eines irakischen Kurden

- wichtige Romane: Im Grenzland (2001), Das dunkle Schiff (2008), Ein weißes Land (2011), Der letzte Ort (2014)

- Auszeichnungen: Shortlist für den Deutschen Buchpreis (Das dunke Schiff), Adelbert-von-Chamisso-Preis, Großer Kunstpreis Berlin

Der Begriff der Freiheit ist zentral für Ihren Roman ebenso wie für die westliche Debatte über den Nahen Osten. Was bedeutet Freiheit für die Menschen im Irak?

Freiheit ist ein abstrakter Begriff. Wenn man glaubt, es reiche, Freiheit im Internet und via Kabelfernsehen zu erleben, bleibt die Freiheit ein Versprechen. Die Fernsehbilder verheißen die Freiheit, zu konsumieren. Aber damit man die Süße der Freiheit genießen kann, müssen auch das persönliche Leben und die politischen Verhältnisse frei sein. Mit dem Versprechen von Freiheit wurde schon vieles begründet - was dann bei den Menschen ankam, waren Bilder und Bomben.

Osama sagt an einer Stelle des Romans zu Albert, die Menschen im Westen seien so frei, dass sie sich verirren. Es ist zwar nicht mehr der Haremstraum, aber Ihre Bücher führen vor, dass nach wie vor Vorurteile den Austausch zwischen Orient und Okzident prägen.

Und zwar auf beiden Seiten. Aber Stereotype können auch eine Hilfe sein. Das Erkennen der gegenseitigen Fremdheit ist ja bereits ein Moment der Begegnung. Alle Missverständnisse auszuräumen, kann ohnehin nicht gelingen. Wichtig ist vor allem, im Dialog zu bleiben. Erst Ideologien wie jene des sogenannten Islamischen Staates (IS) machen Verständigung unmöglich.

Wie gelingt eine Begegnung zwischen Westen und Nahem Osten, bei der die Ausländer nicht entweder als Soldaten oder als Touristen kommen, wie es Osama an einer Stelle beschreibt?

Es gibt im Irak noch immer eine kleine Schicht aus Intellektuellen, die sich nicht abschotten. Mit ihnen müssen wir im Dialog bleiben. Und mit den jungen Leuten dort, vielen von denen machen sich - trotz des Krieges in ihrem Land - beispielsweise auch Gedanken über das fehlende ökologische Bewusstsein in der Region.

"Die Kriegsmüdigkeit im Westen ist auf einem Höhepunkt"

Die zerklüfteten Landschaften, die Sie beschreiben, verraten viel über das Seelenleben Ihrer Figuren. Auch die IS-Kämpfer nutzen die Region als Projektionsfläche und versuchen, sie im Sinne ihrer Ideologie umzudeuten. Kann die Literatur diese Auseinandersetzung gewinnen?

Im Kampf der Narrative liegt meine Literatur tatsächlich im Konflikt mit dem IS. Literatur kann es gelingen, die Pappkameraden-Bilder, die Ideologien entwerfen, zu unterlaufen. Allerdings habe ich nie beansprucht, den Irak von innen zu kennen, es ist wiederum ein Blick von außen. Meine Figuren sind Ausgelieferte an die Weltläufte. Die Entführung in "Der letzte Ort" ist eine Metapher, ein inszenierter Realitätsschock.

Zum Roman: Der letzte Ort

Fatahs jüngster Roman "Der letzte Ort" (Luchterhand-Verlag) erzählt von der Entführung des deutschen Aussteigers Albert und seines irakischen Übersetzers Osama. Er beschreibt die existenzielle Angst, aber auch die Auseinandersetzung zwischen den Kulturen, die hier aufeinanderprallen. SZ-Rezensent Florian Kessler lobt die "beklemmende Klarheit" sowie den reizvollen Kontrast zwischen Fatahs sensiblem Erzählstil und der puren Panik der Entführten.

Die beiden Entführten sind nicht nur ihren Schergen ausgeliefert, sondern auch dem Erzähler, der sie immer weiter in die Wüste hinausbefördert. Gleichzeitig erscheint das Erzählen in "Der letzte Ort" als einziger Weg zur Rettung: Wie Scheherazade redet Albert immer weiter, um am Leben zu bleiben.

Der Roman spielt hintergründig mit diesem Mythos von "Tausendundeiner Nacht". Aber ich sehe das Erzählen durchaus ambivalent: Es erzeugt Mythen und es zerstört sie. Erzählen ist kein Allheilmittel. Auch der IS versucht, einen Mythos zu errichten. Die Bilderstürmer folgen einer archaischen Logik, aber sie nutzen dafür die modernen Medien und das Internet. Ihr Ziel ist und bleibt es, Schrecken zu verbreiten - durch ausgestellte Grausamkeit.

Der Feldzug des IS scheint unaufhaltsam: Seit einem Jahr fliegt die von den USA angeführte Allianz Luftangriffe auf IS-Stellungen. Bisher offenbar ohne Erfolg.

Ich glaube, der IS wird sich noch sehr lange halten können. Sie haben sich einen günstigen Moment ausgesucht: Die Kriegsmüdigkeit im Westen ist auf einem Höhepunkt, wir glauben nicht mehr daran, dass es Werte gibt, die man mit der Waffe verteidigen könnte. In diesem Vakuum setzt sich der IS fest. Alles, was er tun muss, ist seine eigene Infrastruktur aufrechtzuhalten. Er wird stärker - einfach dadurch, dass er da ist. Denn gerade jene, die keine Perspektive mehr haben, sind anfällig für Radikalisierung.

Weiß der Westen noch, wofür es sich zu kämpfen lohnt?

Wenn ich auf Syrien blicke, den jahrelangen Bürgerkrieg dort, der nie konsequent angegangen wurde, fürchte ich, der Westen hat sich arrangiert. Man versucht, mit diesen Dauerbränden zu leben und die Folgeschäden möglichst zu begrenzen. Auch wenn das heißt, dass hier Zeltstädte für Flüchtlinge errichtet werden müssen.

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