Sexuelle Übergriffe von UN-Soldaten:Vom Schutzengel missbraucht

Kürzlich wurde ein 700 Mann starkes UN-Kontigent vom Dienst suspendiert. Die Soldaten sollen Frauen und Mädchen vergewaltigt haben. Die offenbar notorisch verübten Vergewaltigungen zerstören den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen.

Nicolas Richter

Die Null war die Zahl der Woche im Hauptquartier der Vereinten Nationen. "Null Toleranz", wiederholten die Verantwortlichen immerzu. Besonders resolut trat Jane Holl Lute auf, eine Amerikanerin, die seit kurzem die Friedenseinsätze mitverantwortet. "Null Toleranz heißt null Selbstzufriedenheit und null Straflosigkeit", erläuterte Lute in New York, wobei sie wie eine Staatsanwältin beim Schlussplädoyer klang.

UN Vereinte Nationen

Blauhelmsoldat aus Uruguay im Kongo: Schwere Vorwürfe gegen Kollegen aus Marokko

(Foto: Foto: dpa)

Die Verdächtigen saßen zu diesem Zeitpunkt weit weg in ihrem Stützpunkt in der Elfenbeinküste, es sind UN-Blauhelmsoldaten, die junge Frauen und Mädchen sexuell missbraucht oder ausgebeutet haben sollen - jene also, die sie eigentlich beschützen sollten. Die internen Ermittlungen der UN sind noch nicht abgeschlossen, aber die Vorwürfe wiegen bereits so schwer, dass das gesamte Kontingent marokkanischer Soldaten in der Elfenbeinküste - immerhin also mehr als 700 Mann - vor einer Woche vom Dienst suspendiert worden ist.

Sexuelle Exzesse von UN-Soldaten, darunter Vergewaltigung und Pädophilie, sind ein notorisches Problem des Peacekeeping. Für den Ruf der UN sind diese Taten desaströs, weil sie das Vertrauen der ohnehin kaputten Gesellschaften in den Einsatzländern brechen. Belegt sind Fälle von Bosnien in den 1990er Jahren über Kambodscha und Ost-Timor bis Westafrika im Jahr 2002, dann kam 2004 das Treiben im Kongo ans Licht.

Je intensiver die Vereinten Nationen die Missetaten ihrer Schutztruppen überprüfen, desto mehr Fälle werden bekannt, und auch das sind noch längst nicht alle. In der Elfenbeinküste soll nach UN-Angaben jetzt schon feststehen, dass der Missbrauch "weit verbreitet" gewesen ist, was abermals einen großen Skandal erwarten lässt.

Den Beschützern ausgeliefert

Der Völkerclub hat erkennen müssen, dass er das Problem viel zu lange vernachlässigt hat: Erst im Jahr 2003 erließ der damalige Generalsekretär Kofi Annan eine Richtlinie, wonach den Soldaten ausdrücklich Sex mit Minderjährigen und die Inanspruchnahme von Prostitution verboten wurde.

In dem Verhaltensleitfaden für die Soldaten namens "Zehn Regeln für Blauhelme" ist aber bis heute nur allgemein davon die Rede, dass "immorale Handlungen sexuellen Missbrauchs" verboten seien. Offenbar wissen nicht alle Uniformierten, wo die Grenzen liegen. Selbst nachdem im Jahr 2004 Dutzende Fälle im Kongo dokumentiert worden waren, hatten Beobachter den Eindruck, dass der Missbrauch andauerte und sowohl von Soldaten als auch von zivilen Helfern ausging.

"Die bisherigen Maßnahmen sind unzureichend", stellte der jordanische Diplomat Zeid al-Hussein fest, als er das Problem im Auftrag Annans an den Tatorten untersuchte. Dem Personal habe es in der gesamten Geschichte dieser Einsätze am Gefühl gefehlt für die Krisenländer, in die es entsandt worden sei, kritisierte Hussein.

Die Wurzel des Problems liege "in der Unfähigkeit vieler Peacekeeper zu erkennen, wie traumatisiert und verwundbar die jeweiligen Gesellschaften sind". Die vermeintlichen Schutzengel der Weltgemeinschaft treffen dann auf Opfer, die ihnen ausgeliefert sind. Sie sind oft minderjährig, extrem arm und haben im Krieg ihre Familie verloren. Angesichts der Gewaltverbrechen, die den UN-Einsätzen vorausgegangen sind, nehmen viele Opfer die Gewalt gegen sich als etwas hin, dem sie ohnehin nicht entgehen können.

Im Kongo wurden viele Fälle von Sex mit Kindern als Prostitution deklariert, Annans Emissär al-Hussein stellte allerdings fest, dass es sich eher um "Vergewaltigungen handelte, die als Prostitution getarnt waren". Die Opfer erhielten dann hinterher einen Dollar, damit es einvernehmlich aussah.

Al-Hussein forderte 2005 eine stärkere Kontrolle der Blauhelme und ihrer Kollegen in zivil. So gibt es mittlerweile bei den großen Einsätzen eigens abgestellte Disziplinarbeamte. Sie waren es, die zum Beispiel den neuesten Fall in der Elfenbeinküste aufgedeckt haben. Doch die UN haben noch immer nicht genügend Einfluss darauf, was mit den Tätern passiert. Sie können korrupte Blauhelm-Soldaten in ihre Heimatländer zurückschicken, was bislang etwa 180 Mal geschehen ist, die Organisation kann aber die Täter nicht verurteilen.

Dies obliegt allein den Staaten, die die Soldaten geschickt haben. Sie berichten den UN vertraulich, wie das Verhalten ihrer Soldaten geahndet wurde, die Weltöffentlichkeit aber kann bislang nicht überprüfen, ob wirklich Strafen verhängt werden und welche. Lange schreckten die UN auch davor zurück, allzu forsch auf Disziplinarmaßnahmen oder Strafen zu dringen, sie befürchteten, dass einige Länder dann gar keine Soldaten mehr für Friedenseinsätze bereitstellen würden. Gleichzeitig ist es oft schwer, die Täter zu überführen, weil die Opfer Angst haben oder nicht in der Lage sind, ihre Peiniger zu identifizieren.

Schwierige Tätersuche

Für die Glaubwürdigkeit der Blauhelm-Missionen sind die notorischen sexuellen Übergriffe verheerend. Die UN könnten den Regierungen in Krisenstaaten weder die Achtung der Menschenrechte noch rechtsstaatliche Reformen nahelegen, wenn das eigene Personal die Ohnmächtigsten vergewaltige, befand al-Hussein. Die Truppen machten sich zudem erpressbar oder müssten Vergeltung fürchten, ganz zu schweigen vom Schicksal der Opfer und der peacekeeper babies, die sie zur Welt bringen.

Immerhin greifen die UN jetzt in der Elfenbeinküste durch. Die 700 Soldaten aus Marokko dürfen ihr Quartier nur noch bei Tageslicht verlassen, um Treibstoff und Proviant zu besorgen. In diesen Tagen wird der interne UN-Ermittlungsbericht erwartet. Es ist unwahrscheinlich, dass er alle Täter überführt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: