Sexuelle Übergriffe an Silvester:Kölner Ereignisse zeigen bei Kanzlerin Wirkung

Merkel erwägt eine striktere Abschiebepolitik. Ein Polizeibericht schildert "Spießrutenlauf" für Frauen.

Von B. Dörries und J. Osel, Köln/München

Als Reaktion auf die zahlreichen sexuellen Übergriffe auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof zu Silvester erwägt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine striktere Abschiebungspolitik: Es gehe darum, "auch klare Zeichen zu setzen an diejenigen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten". Es müsse überprüft werden, ob beim Thema Ausweisungen "schon alles Notwendige getan" worden sei, sagte sie am Donnerstag. Die Vorfälle seien für sie "persönlich unerträglich". Es ergäben sich "sehr ernsthafte Fragen, die über Köln hinausgehen", sagte die Kanzlerin: "Gibt es in Teilen von Gruppen auch so etwas wie Frauenverachtung? Wir müssen dem in aller Entschiedenheit entgegentreten. Und ich glaube nicht, dass es nur Einzelfälle sind." Ein Papier für die Klausur der CDU-Spitze am Wochenende in Mainz fordert härtere Maßstäbe. Auch CSU-Chef Horst Seehofer äußerte sich in dem Sinn: "Ich hätte so etwas in unserem Land nicht für möglich gehalten." Es müsse jetzt ins Auge gefasst werden, "dass man sein Aufenthaltsrecht verwirkt". Die Frage, ob man dazu eventuell Gesetze ändern müsse, bejahte er - es müsse "dann auch wirklich gemacht werden". Die Gewerkschaft der Polizei rügte am Donnerstag, dass der Politik schon bei der Umsetzung jetziger Abschiebungsregeln "Mumm" fehle.

Bis Donnerstag wurden in Köln mehr als 120 Anzeigen erstattet. In drei Viertel der Fälle gehe es um Sexualstraftaten, hieß es. Die Täter wurden als nordafrikanischer oder arabischer Herkunft beschrieben. Die Polizei hat mittlerweile 16 Tatverdächtige ausgemacht, unter anderem anhand von Videoaufnahmen. Festnahmen gab es bisher keine. Dutzende Opfer von Übergriffen in der Silvesternacht haben auch in Stuttgart und Hamburg Anzeige erstattet.

In Köln gerät Polizeipräsident Wolfgang Albers immer stärker in die Kritik. Er hatte in den Tagen nach Silvester stets behauptet, die Polizei sei "nicht überfordert" gewesen. Berichte der beteiligten Beamten behaupten das Gegenteil. In einer Einsatz-Zusammenfassung eines Polizisten heißt es: "Aufgrund der Vielzahl der Taten beschränkten sich die Einsatzkräfte auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen. Da man nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration." Ferner schreibt der Polizist: Frauen "durchliefen einen im wahrsten Sinne Spießrutenlauf durch die stark alkoholisierten Männermassen". Angesichts der Lage hätte es laut dem Bericht sogar "zu Toten" kommen können. Albers hatte zudem behauptet, ihm lägen keine Erkenntnisse vor, ob Flüchtlinge an den Übergriffen beteiligt gewesen oder an dem Abend kontrolliert worden seien. Ein Polizeibeamter sagte dagegen der SZ, am Silvesterabend seien etwa 80 Personen kontrolliert worden - sehr viele hätten sich lediglich mit Asyldokumenten ausweisen können. "Darunter waren viele Syrer." Weder die Polizei noch das Innenministerium in Düsseldorf wollten sich dazu äußern.

In dem Einsatzbericht ist auch die Rede davon, dass Aufenthaltstitel "mit einem Grinsen im Gesicht" zerrissen worden seien. Der Polizist zitiert außerdem die Sätze eines Mannes: "Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln! Frau Merkel hat mich eingeladen."

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