Sexuelle Gewalt:Die Illusion vom weiblichen Krieg

Frauen sind nicht die besseren Männer: Sexuelle Gewalt und die Ereignisse im Gefängnis von Abu Ghraib.

Von Sonja Zekri

Unter all den Ungeheuerlichkeiten, die sich im Gefängnis von Abu Ghraib zugetragen haben, war die eine unverzeihliche, die Demütigung, die die arabische Welt niemals verzeihen kann:

Gewalt

Lynndie England posiert mit gefangenen Irakern.

(Foto: Foto: dpa)

Die Tatsache, dass Frauen sie begingen. Frauen wie die blonde, straff frisierte Generalin Janis Karpinski, die seit ihrem fünften Lebensjahr von der Army träumt und nicht mitbekommen haben will, wie sich unter ihrem Befehl Saddam Husseins Kerker erneut in einen Folterkeller verwandelte, wie Männer vergewaltigt und zu sexuellen Handlungen gezwungen wurden, wie sie mit Frauenunterwäsche über dem Kopf ans Bett gekettet wurden.

Oder Frauen wie die Soldatin Lynndie England von der 372. Military Police Company. Sie posiert vor einer Reihe entblößter Gefangener - grinsend, eine Zigarette im Mundwinkel - und zielt mit den Fingern auf den Unterleib eines Irakers, der vor ihren Augen masturbieren muss. Strahlt Arm in Arm mit einem Kameraden in die Kamera vor einer Pyramide nackter Gefangener.

Lynndie England, die einen nackten Iraker an einer Hundeleine durch den Flur zerrt. Wenn die Ereignisse im Gefängnis von Abu Ghraib die grausame Übertragung von Pasolini-Fantasien in der Wirklichkeit darstellen, dann ist Lynndie England ihre Hauptdarstellerin.

Fahrlässige Provokation

Dass die Folterer von Abu Ghraib Männer zu öffentlichen sexuellen Handlungen mit Männern zwangen, wird kein Kniefall des amerikanischen Präsidenten vergessen machen können.

Dass dies unter den Augen und auf den Befehl von Frauen geschah, ist eine so gezielte Verhöhnung des arabischen Ehrbegriffs, dass man sie nach politischen Maßstäben nur als fahrlässige Provokation betrachten kann. Diese Schmach, so heißt es in der arabischen Welt, kann nur Blut abwaschen.

Die Illusion vom weiblichen Krieg

Frauen als Opfer und Täter

In den Zellen von Abu Ghraib, so scheint es auf den ersten Blick, hat sich eine Symmetrie in ihr Gegenteil verkehrt, die seit dem Anfang aller Kriege das Kampfgeschehen prägt.

Seit jeher gehören Frauen zu den Opfern sexueller Gewalt. Auf den nun aufgetauchten skandalösen pornografischen Schnappschüssen aber präsentieren sie sich so selbstverständlich in der Pose des Voyeurs und Täters, dass man die offenbar bruchlose Aneignung von Praktiken sexueller Herabsetzung verblüfft zur Kenntnis nimmt.

Und in der Tat fallen die Bilder in eine Zeit, in der die Rolle der Frau im Kriegsgeschehen erneut in den Blick rückt.

Am 1. Juli 2002 trat das Statut des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes in Kraft, mit dem sexuelle Gewalt erstmals in der Geschichte des Völkerrechts als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen geahndet werden kann.

Der Schritt klingt zwingend, aber er war, wie Regina Mühlhäuser in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Mittelweg beschreibt, der Erfolg jahrzehntelangen Ringens.

Zwar wurde Vergewaltigung in der Haager Landkriegsordnung indirekt schon seit knapp 100 Jahren und explizit in den Genfer Konventionen seit 1950 geächtet, doch verhandelten beide Abkommen sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht als Verbrechen an einer Person gleichen Rechts, sondern als "Schändung" von Ehemann, Vater oder Sohn und gegen das Vaterland.

Die Folgen der Vergewaltigung

Solange aber weibliche Ehre und weibliche Tugend als nationaler Besitz galten und ihr Schutz nationale Verpflichtung war, fiel ihre Verletzung doppelt ins Gewicht: "Für viele Frauen", so Mühlhäuser, "war nicht der physische Akt der Vergewaltigung lebenslang prägend, sondern der psychische und physische Umgang, den sie infolgedessen von seiten ihres eigenen sozialen Zusammenhangs erfuhren."

Die Leidensgenossinnen der "Anonyma" in Berlin oder Königsberg, die koreanischen "Trostfrauen" in japanischen Bordellen, die etwa eine Million Kinder aus den Verbindungen von Wehrmachtsangehörigen und sowjetischen Frauen, die es niemals hätte geben dürfen - sie alle litten unter einem Verbrechen, dass nicht mit der Tat endete, sondern erst mit einem veränderten Blick der Gesellschaft darauf.

Die Illusion vom weiblichen Krieg

Es dauerte noch einige Kriege, es dauerte bis zu den Schlachten in Jugoslawien und in Ruanda, bis Vergewaltigungen nicht mehr als Einzelphänomen oder beklagenswerter Kollateralschaden diskutiert wurde, sondern als militärische Strategie.

Nun endlich erkannte man den Körper der Frau als erweiterte Kampfzone in einem Krieg, der auf ethnische Auslöschung abzielte. Von da war der Weg zum Juli 2002 nicht mehr weit.

Und noch eines hatte die Hoffnung geweckt, dass sexuelle Gewalt sich als Mittel der Kriegsführung würde kontrollieren lassen: Der Eintritt von Frauen in die Streitkräfte. Die Bundeswehr, so Mühlhäuser, schule ihre Soldatinnen und Soldaten inzwischen in "Gender-Trainingskursen" für den sensiblen Umgang mit Frauen in umkämpften Gebieten.

Der Männerbund Armee erweist sich als resistent

Die Sozialwissenschaftlerin Sibylle Tönnies versprach sich im Jahr 2000 eine "pazifierende" Wirkung von den Soldatinnen. Der schwedische Generalsekretär vermutete, dass Soldatinnen bei UN-Friedenseinsätzen die Zahl sexistischer Übergriffe würden mindern können.

Inzwischen weiß man, dass dies nicht der Fall ist. Der Männerbund Armee erweist sich als resistent, schlimmstenfalls richtet sich die sexuelle Gewalt nach innen: In einer Umfrage gab jede dritte dänische Militärangestellte gab an, sexuell belästigt worden zu sein.

Und nun Abu Ghraib. Wer je an die Vision einer friedlichen, humanen, einer "weiblichen" Kriegführung glaubte, der muss spätestens jetzt einsehen, dass das Illusion war.

Grausame KZ-Aufseherinnen, brutale Partisaninnen

Alexander Solschenizyn beschreibt schon im "Archipel Gulag" eine Sadistin des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, deren Spezialität darin bestand, Männern die Genitalien zu zerquetschen.

Wir wissen von grausamen KZ-Aufseherinnen und brutalen Partisaninnen. Und nun eben von Specialist Lynndie England. Man muss sich über die Verbrechen von Bagdad empören.

Die Entrüstung, dass auch Frauen solcher Taten fähig sind, folgt jedoch einem Frauenbild, das davon ausgeht, Frauen seien als mögliche Mütter sozusagen biologisch unfähig, Leid und Tod zu verursachen.

Das ist eine überholte Position, auch wenn sie vielleicht manche Feministinnen noch immer nicht abgelegt haben. Frauen sind keine schlechteren Menschen. Aber auch keine besseren.

Specialist England wird übrigens nicht angeklagt. Sie durfte nach Fort Bragg, North Carolaina, zurückkehren. Denn Lynndie England ist schwanger.

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