Sexualtäter: Dateien ins Netz?:Wie im Mittelalter - die Idee vom Pranger

Polizeigewerkschaft und manche CDU-Politiker wollen die Daten von Sexualstraftätern ins Internet stellen. Juristen finden den elektronischen Pranger rechtswidrig, die Opposition "mittelalterlich".

Michael König

Der Pranger des Mittelalters war ein mit Ketten bestückter Pfahl auf dem Marktplatz. In einigen Fällen wurde ein Käfig benutzt, in einigen Städten auch ein Stuhl, auf dem der Sünder zu sitzen hatte. Er war der öffentlichen Schande ausgesetzt, wurde von Passanten beschimpft, bespuckt und zum Teil auch verprügelt.

Familie des Sexualstraftaeters will gegen Dauerueberwachung klagen

Bürger demonstrieren im Januar im nordrhein-westfälischen Randerath bei Heinsberg gegen den Aufenthalt von Ex-Häftling Karl D. in ihrem Dorf. Geht es nach Polizeigewerkschafts-Chef Rainer Wendt, sollen die Adressen entlassener Schwerverbrecher veröffentlicht werden.

(Foto: ddp)

Im Vergleich zu heute war der Pranger eine umständliche Sache.

In den USA muss heutzutage niemand mehr auf den Marktplatz gehen, um Sünder zu ächten. Es reicht ein Computer oder ein modernes Telefon. Für iPhone-Besitzer gibt es beispielsweise den Offender Locator, ein kleines Programm für umgerechnet 1,59 Euro, das registrierte Sexualstraftäter in allen 50 Bundesstaaten der USA ausfindig macht: mit Namen, Fotos und Anschrift. Dank GPS und der integrierten Karte kann die Nachbarschaft gezielt abgesucht werden - die Wohnorte der Straftäter werden als kleine rote Männchen dargestellt.

Ein solcher Internetpranger soll nun auch in Deutschland eingeführt werden - wenn es nach dem Willen der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) geht. "Ich will wissen, wenn ein Vergewaltiger in der Nachbarschaft meiner Enkelin wohnt", sagte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der Bild am Sonntag. Unterstützung bekam er vom CDU-Innenexperten Reinhard Grindel, der den Vorschlag als diskussionswürdig einstufte: "Ich wäre dafür, zu prüfen, ob das rechtlich machbar ist", sagte Grindel dem Kölner Stadt-Anzeiger.

"Kein gangbarer Weg"

Auch der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten: "Das ist nicht zu Ende gedacht", ließ der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar durch eine Sprecherin ausrichten. Vertreter von gleich zwei Bundesministerien (Justiz, Innen) teilten mit, Wendts Idee sei "kein gangbarer Weg".

Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, sagt im Gespräch mit sueddeutsche.de: "Eine so pauschale Veröffentlichung wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil sie die Menschenwürde verletzen würde." Der Vorschlag eines Internet-Prangers sei "nicht zielführend", kritisiert er. Es bestehe die Gefahr der Selbstjustiz: "Die Nachbarn werden sich sicher nicht rational verhalten, wenn sie davon erfahren, dass ein Täter in ihrer Nähe wohnt."

Auch in Wendts eigenem Lager regt sich Widerstand: "Man sollte nicht mit populistischen Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen", sagt der Vorsitzende der konkurrierenden Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, der mehr als doppelt so viele Mitglieder vertritt wie Wendt mit seiner Polizeigewerkschaft.

Selbst der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht in der Veröffentlichung der Daten keinen wirksamen Schutz vor Verbrechen: "Wir können ein kleines Mädchen nicht vor dem Missbrauch durch einen brutalen Gewalttäter dadurch schützen, dass im Internet steht, wo der gerade unterwegs ist. Es ist ja keineswegs garantiert, dass solche Leute immer nur in der eigenen Wohngegend tätig werden", sagte der Minister.

Im Maximalfall lebenslänglich

Wendts Pranger-Vorstoß ist nur auf den ersten Blick ein Versuch, das Sommerloch zu stopfen. Tatsächlich geht seine Vision einer Datenbank für Sexualstraftäter auf die Debatte um die Sicherungsverwahrung zurück, welche die Berliner Innen- und Justizexperten im Urlaub beschäftigt.

Bislang ist dieses Instrument der Sicherungsverwahrung eingesetzt worden, um die Gesellschaft vor gefährlichen Mitbürgern zu schützen - auch dann, wenn diese ihre Haftstrafe schon abgesessen haben. Ein Gefängnisaufenthalt kann damit nachträglich verlängert werden - im Maximalfall lebenslänglich.

Daran stört sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der zwischen "Strafe" und "Sicherung" keinen Unterschied erkennen kann und im Dezember geurteilt hat, dass 70 von 500 Sicherungsverwahrten frei kommen müssen. Das politische Berlin steht damit vor einem Problem: Wie kann dem Urteil Rechnung getragen und dennoch die Gesellschaft vor den Straftätern geschützt werden?

In der schwarz-gelben Regierungskoalition gibt es deswegen Streit. Und es kursieren mehrere Lösungsversuche. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) etwa will neue Gefängnisse für Sicherungsverwahrte bauen, die keinen "Strafcharakter" haben dürften, aber auch den Eindruck vermeiden müssten, ein "Luxusknast" zu sein.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) plädiert für die Einführung einer elektronischen Fußfessel, die dank GPS-Navigation Alarm geben könnte, wenn sich etwa ein Täter einem Kindergarten nähert. Der Alarm wird freilich nur der zuständigen Stelle, also der Polizei, gemeldet - darin besteht der große Unterschied zu Wendts Vorschlag eines Internet-Prangers.

Auf der nächsten Seite: In den USA landen auch Steuersünder im Internet, Polizeifotos können sortiert und bewertet werden. In Deutschland steht die Idee eines Online-Prangers nicht zum ersten Mal in der Kritik.

In Deutschland ein Tabu

"Wenn die Politik die Bevölkerung im Stich lässt, darf sie sie nicht auch noch im Unklaren lassen", sagt Polizeigewerkschafter Wendt und will Name, Foto und Anschrift von gefährlichen Straftäter im Netz veröffentlichen lassen - ganz wie in den USA. Die dortige Rechtslage macht es möglich, dass Behörden ihre kompletten Datenbanken veröffentlichen - vor allem, aber nicht nur bei Sexualstraftätern.

So veröffentlichte etwa die US-Steuerbehörde Internal Revenue Service (IRS) eine Liste angeklagter und verurteilter Steuersünder. Mit allen Details: Vor- und Nachname, Wohnort, Deliktsumme und Strafmaß.

Zahlreiche Medien greifen derartige Vorlagen der Behörden auf: Die in Florida erscheinende St. Petersburg Times etwa unterhält ein aufwändiges Internetarchiv mit den Fotos kürzlich verhafteter Bürger. Die sogenannten mug shots lassen sich nach dem Ort der Verhaftung, Geschlecht, Gewicht, Körpergröße, Alter und Augenfarbe des Verhafteten sortieren. Ob sich die Personen auf den Fotos später womöglich als unschuldig herausstellen, wird dabei nicht berücksichtigt.

"Eine Art betreutes Wohnen"

Die auf Polizeifotos spezialisierte Website mugshots.com bietet seinen Usern zahlreiche interaktive Möglichkeiten: Dort darf man die besten Fotos des Tages auswählen, in Kategorien (Prominente, potentielle Models, historische Fotos) stöbern und die Bilder kommentieren sowie per E-Mail Freunden empfehlen.

In Deutschland waren derartige Veröffentlichungen stets ein Tabu, weil sie die Menschenwürde verletzen, der informationellen Selbstbestimmung widersprechen und auch dem Resozialisierungsgedanken widerstreben, wonach Straftäter die Möglichkeit haben sollen, sich nach Verbüßung ihrer Strafe wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

"Viele sitzen schon sehr lange in Haft und sind 50, 60 Jahre alt. Die brauchen eine Art betreutes Wohnen", sagte der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Kinzig der Süddeutschen Zeitung.

"Zielgerichtet Eltern warnen"

Wendts Vorstoß ist indes nicht neu. Schon 2006 wurde nach mehreren Sexualmorden über eine Datenbank für Sexualstraftäter debattiert. "Die Sicherheit unserer Kinder sollte über dem Datenschutz stehen", sagte damals die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär. Der Verfassungsrechtler und heutige Innenminister von Thüringen, Peter M. Huber, konterte: "Der Rechtsstaat darf seine Grundsätze nicht über Bord werfen." Er ist ebenfalls in der Union.

Bei diesem Grundsatz ist es bis heute geblieben - zum Glück, wie die Opposition findet: "Statt die Täter öffentlich an den Pranger zu stellen, sollte die Polizei zielgerichtet Eltern warnen, wenn ein Straftäter in ihre Nähe zieht", schlägt Grünen-Politiker Wieland vor.

Für Petra Pau von der Linken steht fest: "Der Pranger stammt aus dem Mittelalter, der aktuelle Unions-Vorschlag auch."

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