Sexualstrafrecht:Straffreiheit für knutschende Teenies

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Nein heißt Nein? Nur Ja heißt Ja? Das Sexualstrafrecht in europäischen Staaten ist unterschiedlich geregelt. (Foto: imago stock&people/imago/Christian Mang)
  • An diesem Mittwoch legt eine Kommission ihren Abschlussbericht vor, die 2015 beauftragt worden war, das Sexualstrafrecht grundlegend zu überarbeiten.
  • Das 1400 Seiten starke Werk, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, greift weit über die "Nein heißt Nein"-Reform hinaus.
  • Auch an die eilig verabschiedete "Nein heißt Nein"-Regelung sollte der Gesetzgeber den Experten zufolge noch einmal Hand anlegen.
  • Differenzierte Vorschläge legen sie für den Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Dieses Mal sollte es wirklich ein Stück Rechtspolitik vom alten Schlag werden. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte im Frühjahr 2015 eine Kommission aus etwa zwei Dutzend Fachleuten einberufen, die mit langem Atem das unübersichtlich gewordene Sexualstrafrecht grundlegend überarbeiten sollte. Gibt es noch Strafbarkeitslücken? Oder auch Paragrafen, in denen ein veralteter Sittenkodex mitschwingt? Sind Kinder ausreichend gegen bedrohliche Entwicklungen im Internet geschützt?

Dann kam die Silvesternacht von Köln, und im Jahr 2016 ging alles ganz schnell. Im Juli verabschiedete der Bundestag eine Reform des Vergewaltigungsparagrafen - "Nein heißt Nein" stand mit einem Mal im Gesetz. Da hatte die Kommission gerade ein Viertel ihrer 28 Sitzungen hinter sich.

An diesem Mittwoch legt die Kommission ihren Abschlussbericht vor. Das 1400 Seiten starke Werk, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, greift weit über die "Nein heißt Nein"-Reform hinaus, ist also keineswegs obsolet geworden.

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In zehn Themenkomplexen von Kindsmissbrauch über Prostitution bis hin zur Pornografie werden detaillierte Empfehlungen formuliert, die freilich erst für eine künftige Regierung relevant werden. Aber zu "Nein heißt Nein" geben die Fachleute doch noch einen Kommentar ab: Die eilige Reform sollte noch einmal überarbeitet werden.

Zwar geht auch der Bericht davon aus, dass der alte Vergewaltigungsparagraf Strafbarkeitslücken aufwies. Täter etwa, die in einem "Klima der Gewalt" die sexuelle Selbstbestimmung ihrer Opfer verletzt hätten, seien früher womöglich straflos geblieben. Die Reform sei also notwendig gewesen - nur sei das Ergebnis missglückt: "Die Vorschrift ist überfrachtet", resümieren die Fachleute.

Sie raten sogar, den Begriff "Vergewaltigung" aus der Überschrift zu streichen, weil es nach dem Wortlaut des Paragrafen sonst sogar Vergewaltigungen ohne Körperkontakt geben könnte. Ihre Empfehlung: Man sollte die diversen Formen sexueller Nötigung, die unter Einsatz von Gewalt oder Drohung zustande kommen, von anderen sexuellen Übergriffen trennen. Auch deshalb, weil sonst das Strafmaß nicht mehr so recht nach der Schwere des Übergriffs differenziert.

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Apropos Eile: Nach den Übergriffen im Silvestergedränge auf der Kölner Domplatte war rasch eine Art Anti-Mob-Paragraf zu Straftaten "aus Gruppen" geschaffen worden. Taugt nichts, bringt nichts und ist wahrscheinlich verfassungswidrig, sagt die Kommission: Es handle sich um "symbolisches Strafrecht".

Dass hingegen, ebenfalls im vergangenen Jahr, die bloße sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt worden ist, heißt die Kommission ausdrücklich gut. Gerade Übergriffe unter Ausnutzung eines Überraschungsmoments seien zuvor oft straflos geblieben.

Zu den besonders heiklen Themen gehört der sexuelle Missbrauch von Kindern. Dort hatten die Fachleute eine schwierige Frage zu diskutieren: Ist die Altersgrenze von 14 Jahren noch zeitgemäß? Oder sind die Kinder von heute früher reif, weil sie beim ersten Sex im Schnitt jünger sind als noch vor 30 Jahren? Sollte man deshalb nicht mehr ausnahmslos jeden sexuellen Kontakt mit bis zu 13-Jährigen unter Strafe stellen?

Die Kommission empfiehlt, an der Altersgrenze festzuhalten. Und zwar deshalb, weil auch frühreife Kinder keineswegs so sehr in ihrer Selbstbestimmung gestärkt seien, dass sie den Avancen übergriffiger Erwachsener Widerstand leisten könnten.

Allerdings sollten aus Sicht der Fachleute "Teenager-Knutschereien" kein Thema fürs Strafrecht sein. Denn wenn heute ein 14-Jähriger mit einer 13-Jährigen rummacht, kann das beim Staatsanwalt enden (der das Verfahren normalerweise einstellen wird).

"Kuppelei"-Verbot abschaffen

Beim Thema Prostitution hält der Bericht zwar nichts von einer allgemeinen Strafbarkeit von Freiern - also einem Komplettverbot, wie es etwa in Schweden gilt. Solange Prostituierte sich freiwillig dafür entschieden, müsse dies strafrechtlich nicht verfolgt werden.

Geht es dagegen um Zwangsprostitution, dann sollten dem Bericht zufolge auch die Freier bestraft werden, die "billigend in Kauf nehmen", dass Frauen zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen werden. Damit könne ein wichtiger Beitrag zur Austrocknung des Marktes geleistet werden.

Neue Bedrohungen werden aus Sicht der Experten vom Strafrecht bereits einigermaßen gut abgedeckt, wie etwa das "Cybergrooming", also das Anbahnen von Kontakten im Internet. Ein Teil der Experten plädierte hier indes dafür, die Strafbarkeit auszuweiten, um die Täter leichter dingfest machen zu können. Dann könnten zum Beispiel Polizisten leichter den Lockvogel spielen.

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© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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