Sexismus-Debatte:Die Berliner CDU verspielt eine Chance

Jenna Behrends

Wirft ihrer Partei Sexismus und fragwürdige Umgangsformen vor: die 26-jährige Politikerin Jenna Behrends.

(Foto: dpa)

Eine Frau prangert fragwürdige Umgangsformen und offenen Sexismus bei den Christdemokraten in der Hauptstadt an. Doch was machen die Parteioberen? Sie antworten mit nur halbgaren Statements.

Von Oliver Klasen

Achtung! Der folgende Artikel fängt mit sehr vulgären Worten an, die Sie sonst nicht auf dieser Seite lesen und die Sie vielleicht verstören:

"Fickst du die?"

Mit dieser Frage soll sich der Berliner Innensenator und CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel bei einem Parteifreund nach der 26-jährigen Politikerin Jenna Behrends erkundigt haben. Das habe ihr dieser Parteifreund in einem Vier-Augen-Gespräch bestätigt. Behrends, bei der Wahl am vergangenen Sonntag in die Bezirksversammlung Berlin-Mitte gewählt, ist eigentlich genau das, was die kriselnde Partei in der Hauptstadt bräuchte: Eine engagierte junge Frau, Jura-Studentin, Mutter, den Werten der CDU zugeneigt, an Familienpolitik interessiert.

Doch wenn es stimmt, was Behrends am Freitag in ihrem Beitrag im Online-Magazin Edition F veröffentlicht hat, dann hat die Berliner CDU ein Sexismusproblem. Behrends schreibt darüber, dass in der Partei Gerüchte über ihre angeblichen Affären verbreitet würden, er werde erzählt, sie sei "karrieregeil", habe sich "hochgeschlafen", um einen aussichtsreichen Listenplatz zu erreichen. Ein Senator habe auf einem Parteitag ihre Tochter mit dem Worten "Oh, eine kleine süße Maus" begrüßt und dann Jenna Behrends angeblickt und gesagt: "Und eine große süße Maus". Der Senator, das bestätigte sie später, sei Henkel gewesen.

Etliche Reaktionen gibt es auf den Blogeintrag. In Interviews, aber vor allem auf Facebook und Twitter. Hunderte Male wird Behrends' Text in den sozialen Medien geteilt und kommentiert. Einige kritisieren ihren Vorstoß als parteischädigend, andere sprechen ihr Mut zu oder berichten von ähnlichen Erlebnissen, sogar einen eigenen Hashtag gibt es schon: #sexismusinparteien.

Jenna Behrends hat in der Berliner CDU und darüber hinaus eine Diskussion ausgelöst, die sich vermutlich nicht so schnell abwürgen lässt, auch wenn sie noch nicht das Ausmaß der Aufschrei-Debatte von vor gut drei Jahren erreicht hat.

Damals ging es, angestoßen durch einen Stern-Artikel über den FDP-Politiker Rainer Brüderle, um den Alltagssexismus in der Gesellschaft. Um Frauen, die von ihren Chefs anzügliche Kommentare zu hören bekommen. Frauen, die in der U-Bahn begrapscht werden. Frauen, die herabgewürdigt und auf ihren Körper reduziert werden.

Diesmal ist die Debatte fokussierter. Jenna Behrends geht es nicht um ganz Deutschland, sie prangert in ihrem Text die Zustände der CDU im Berliner Bezirk Mitte an. Sie beschreibt konkrete Situationen und das Verhalten einer kleinen Gruppe von Männern. Es ist ein kleiner, aber sehr wichtiger Teilbereich der Gesellschaft.

Nicht allzu laut Kritik üben

Über Sexismus in der Arbeitswelt und bei der Aufteilung von Beruf und Kindererziehung ist in den vergangenen Jahren sehr viel gesprochen worden. Debatten gab es auch über Sexismus in der Wissenschaft, im Showgeschäft und gegenüber Sportmoderatorinnen. Dass eine Betroffene offenen Sexismus und Diskriminierung in einer Parteiorganisation anspricht, ist ungewöhnlich und mutig. Dort herrscht oft ein Klima, das Seilschaften begünstigt und es Quereinsteigern schwer macht, Missstände zu benennen. Will man Karriere machen, von der Parteiführung gefördert und von den Delegierten gewählt werden, empfiehlt es sich oft, nicht allzu laut Kritik zu üben.

Nicht einmal mehr 18 Prozent der Wählerstimmen hat die Berliner CDU bei der Wahl vergangenen Sonntag auf sich vereinigen können. Viele Funktionsträger der Partei sind Männer fortgeschrittenen Alters, man muss sich nur im Internet durch die Seiten der Kreisverbände klicken, um einen Eindruck davon zu bekommen. Die Neigung, sich in Parteien zu engagieren, nimmt gerade bei jungen Menschen seit Jahren ab.

Henkels dünnes Statement

Für die CDU könnte Behrends' Artikel und die Diskussion, die sie angestoßen hat, also eine Chance sein. Die Partei könnte eine Vorbildfunktion erfüllen, jetzt, wo nach der verlorenen Wahl ohnehin ein Umbruch stattfinden muss und eine Erneuerung ansteht.

Doch was tut die CDU in Berlin?

Landesparteichef Henkel gibt am Freitag ein dünnes schriftliches Statement ab. Er sei verwundert und "auch ein bisschen enttäuscht über Inhalt und Stil dieses offenen Briefes". Die CDU in Berlin-Mitte habe Quereinsteigern immer wieder eine Chance gegeben. "Wenn sich Frau Behrends mit mir austauschen will, steht ihr meine Tür wie jedem anderen Mitglied meines Kreisverbandes für ein Gespräch offen." Interviewanfragen lässt er unbeantwortet. Zu den Vorwürfen und den Äußerungen, die über Jenna Behrends gefallen sein sollen, sagt er: nichts.

Was er stattdessen hätte tun können: Behrends' Blogeintrag mit inhaltlichen Argumenten kontern. Erklären, was er tun möchte, um Frauen in seiner Partei zu fördern. Eine Arbeitsgruppe einsetzen, die untersuchen soll, wie es um die Gleichberechtigung in der Berliner CDU steht. Eine offene Diskussion führen, bei der ja herauskommen kann, dass die Zustände doch nicht so drastisch sind, wie Behrends es beschreibt.

Henkel ist nicht der einzige in der Partei, der mauert. Sandra Cegla, die Vorsitzende der Frauen-Union im Bezirk Mitte, distanziert sich von Behrends, beschreibt sie als "zweifelhafte Persönlichkeit", die "Unwahrheiten" verbreitet habe. Behrends hatte Cegla und die Frauen-Union in ihrem Blogeintrag scharf angegriffen. Sven Rissmann, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, stellt das Gespräch zwischen ihm und Henkel, in dem die eingangs genannte Frage vorgekommen sein soll, inzwischen anders dar. Zwar sei es möglich, dass er mit Henkel über Gerüchte gesprochen habe, die Behrends betrafen. Aber: "Die Wortwahl kann ich nicht bestätigten", so Rissmann.

Behrends sagt, sie habe extra bis nach dem 18. September gewartet

Den Argumenten jener in der Berliner CDU, die Behrends Geltungssucht vorwerfen, kann sie entgegenhalten, dass sie zunächst versucht habe, die Missstände intern anzusprechen, dabei jedoch erfolglos blieb. "So sind wir halt", habe sie zu hören bekommen. Es ist dieselbe Argumentation, die jungen Oktoberfest-Besucherinnen vorgehalten wird, wenn sie erzählen, dass sie im Bierzelt sexuell belästigt wurden. Geh da halt nicht hin, wenn Du das nicht magst, heißt es dann.

Auch die Behauptung, die 26-Jährige habe ihrer Partei und dem Kreisvorsitzenden Henkel mutwillig schaden wollen, um die eigene Karriere zu befördern, verblasst, wenn Behrends gegenüber der SZ erklärt, sie habe extra bis nach dem 18. September gewartet. In die Bezirksversammlung gewählt sei sie ohnehin, für den Bundestag wolle sie nicht antreten, der nächste Karriereschritt stünde, wenn überhaupt, erst in einigen Jahren an.

Henkel ist durch das schlechte Wahlergebnis auch ohne Behrends' Zutun demontiert, den Vorsitz der Berliner CDU hat er nur noch kommissarisch inne. Behrends will sich trotz der Anfeindungen weiter in der CDU engagieren. Sie denkt, dass "jetzt ein guter Zeitpunkt für solche Themen ist". Kurz nach einer Wahl seien viele Gespräche ergebnisoffen. "Es scheint sich etwas zu bewegen", schreibt sie am Samstagmorgen auf Twitter. Sie beginne den Tag mit Zuversicht.

Eine Äußerung, die sie in dieser Haltung bestärkt, ist möglicherweise der Facebook-Post ihres Parteifreundes Florian Nöll. Er schrieb: "Wisst ihr was? Es ist in Wahrheit sogar noch schlimmer."

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