Serie "Deutscher Herbst":Schleyer im "Volksgefängnis"

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Hanns Martin Schleyer im Jahre 1975. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zwei Jahre später von der linksterroristischen Gruppe "Rote Armee Fraktion" ermordet. (Foto: dpa)

Vor 40 Jahren: Die RAF-Entführer sperren ihr Opfer ab und zu in den Schrank, der Bundestag beschließt das Kontaktsperregesetz: Nun können RAF-Häftlinge isoliert werden.

Von Robert Probst

Tag 24: Mittwoch, 28. September. Im "Volksgefängnis"

Mitglieder der linksgerichteten Terrororganisation "Japanische Rote Armee" entführen ein Flugzeug mit 156 Passagieren, das von Paris nach Tokio unterwegs ist. Die Maschine landet in Dhaka/Bangladesch. Die Entführer fordern die Freilassung von neun Kampfgenossen aus Gefängnissen und umgerechnet 14 Millionen Mark. Wie die RAF unterhält die japanische Rote Armee engen Kontakt zur Volksfront für die Befreiung Palästinas.

Das Entführungsdrama um Hanns Martin Schleyer dauert bereits mehr als drei Wochen. Spätestens nach dem Mord am Vorstandschef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, am 30. Juli 1977 ist klar, dass sich die RAF nun auf hohe Repräsentanten des verhassten kapitalistischen Systems konzentrieren will, um ihre Ziele zu erreichen. Schleyer sagt zu seinem Freund Kurt Biedenkopf: "Ich werde der Nächste sein."

Es brauchte nicht viel Recherche, um auf den obersten Arbeitgeber-Funktionär mit Schmissen und SS-Biographie zu kommen. "Mit Schleyer glaubten sie einen Mann als Geisel genommen zu haben, dessen Netzwerk aus politischer und ökonomischer Macht die Bundesregierung zur Freilassung der Stammheimer Gefangenen zwingen würde", schreibt Schleyer-Biograph Lutz Hachmeister.

Mit Schleyer verbanden zudem breite Schichten der Bevölkerung die Stichwörter Großindustrieller und Großkapitalist. Der Stern hatte ihn als "Boss der Bosse" bezeichnet, die New York Times als "Karikatur des hässlichen Kapitalisten". Schleyer, geboren 1915, hatte sich nach seiner Kriegsgefangenschaft bei der Daimler-Benz AG bis in den Vorstand hochgearbeitet, seit 1963 war er dort für das Sozial- und Personalwesen zuständig.

Von 1962 bis 1968 war er Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg, in seinem zweiten Jahr wurde er durch flächendeckende Aussperrungen der Metallarbeiter als Scharfmacher im Arbeitskampf bundesweit bekannt. Seit Dezember 1973 war er Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, seit Januar 1977 auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

Über die 45 Tage Schleyers als RAF-Geisel ist man auf die oft nicht allzu vertrauenswürdigen späteren Aussagen der Terroristen angewiesen. Der 62-Jährige muss sich in allen drei "Volksgefängnissen" stets in einem einzigen Zimmer aufhalten, dort meist auf einem Bett, stets bewacht von mindestens einem RAF-Mitglied mit schussbereiter Waffe. Zu essen gibt es magenschonende Babykost. In der ersten Wohnung in Erftstadt-Liblar haben die Entführer einen Schrank mit Schaumstoff ausgepolstert, dort wird Schleyer vermutlich einige Male eingesperrt.

Der ehemalige RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock beschreibt die Situation: "Er blieb in aller Regel leise und höflich, versuchte in zugespitzten Situationen zu vermitteln. (...) Hanns Martin Schleyer versuchte, seine Interessen zu wahren, ohne uns allzu sehr vor den Kopf zu stoßen. Er bat uns selten um etwas, war andererseits aber auch nicht bereit, alles, was wir vorschlugen, kritiklos auszuführen. Er zwang uns durch seine Antworten mit jedem Tag mehr, von unseren Vorstellungen und Vorurteilen Abschied zu nehmen, auch wenn wir das unter uns nicht zugeben konnten."

Tag 25: Donnerstag, 29. Spetember. Das Kontaktsperregesetz

In einem "noch nie dagewesenen Hauruckverfahren", wie es der SPD-Abgeordnete Rudi Schöfberger nennt, beschließt der Bundestag das Kontaktsperregesetz. Es gibt 371 Ja-, vier Nein-Stimmen und 17 Enthaltungen.

Die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs, die Beratungen in den Fraktionen und im Rechtsausschuss, sowie die Lesungen in Plenum hatten nur acht Tage gedauert, üblich sind für dieses Prozedere mehrere Monate.

Das Gesetz erlaubt die völlige Isolation von verurteilten und verdächtigen Terroristen von der Außenwelt und untereinander unter bestimmten Voraussetzungen für einen begrenzten Zeitraum. Dazu gehört auch der schriftliche oder mündlichen Verkehr mit den Verteidigern. Anlass ist die Annahme, dass die Schleyer-Entführung aus den Gefängniszellen heraus gesteuert worden sein könnte und dass einige Anwälte für Komplizen der Terroristen gehalten werden.

Der SPD-Abgeordnete Manfred Coppik, einer der vier Neinsager, betont: "Der Kampf gegen den Terrorismus wird nicht durch Sondergesetze gewonnen, sondern durch eine entschlossene Anwendung des geltenden Rechts."

Fraktionskollege Horst Ehmke soll die Abtrünnigen daraufhin als "bürgerliche Individualisten" beschimpft haben. Eine Gruppe von Rechtsanwälten protestiert gegen den Eingriff der Exekutive in einem der Justiz vorbehaltenen Bereich. Auch viele Medien kritisieren die Verfahrensweise, erkennen aber an, dass der Staat in einer Notsituation zum Handeln gezwungen sei. Wie später bekannt wird, hat die Kontaktsperre jedenfalls in Stammheim nicht fuktioniert.

Der damalige Kanzler Helmut Schmidt war auch Jahrzehnte später der Auffassung, alle Maßnahmen zur Bekämpfung der RAF seien in "verfassungsmäßig einwandfreier Weise" zustande gekommen.

Die Regierung in Tokio erfüllt die Forderungen der Terroristen der "Japanischen Roten Armee". Diese hatten am Vortag ein Flugzeug entführt und die Freilassung von neun Genossen und ein hohes Lösegeld verlangt.

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Serie "Deutscher Herbst"
:Die RAF setzt auf den "Paten des internationalen Terrors"

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