Serie "Deutscher Herbst":"Du bleibst ganz ruhig. Sonst gibt es hier Tote"

RAF - Der verhinderte Held der Schleyer-Entführung

Der ehemalige Polizist Ferdinand Schmitt steht vor dem Hochhaus 'Zum Renngraben 8' in Erftstadt-Liblar (Archivfoto von 2007), in dem die RAF Schleyer gefangen hielt. Schmitt hatte den richtigen Tipp auf das Versteck gegeben, sein Verdacht wurde aber nicht beachtet.

(Foto: dpa)

Heute vor 40 Jahren: Polizist Schmitt kommt der RAF-Geisel Schleyer und seinen Entführern ganz nahe. In der Presse ist die Rede von einer "neuen Art von Bürgerkrieg".

Von Robert Probst

SZ-Serie "Deutscher Herbst"

Vor 40 Jahren stand die Bundesrepublik vor ihrer bislang größten Herausforderung. Die Rote Armee Fraktion (RAF), die im April 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback und im Juli den Bankier Jürgen Ponto ermordet hatte, entführte den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Ziel war es, die RAF-Anführer und andere Kampfgenossen aus den Gefängnissen freizupressen. Die SZ dokumentiert die dramatischen Tage der Schleyer-Entführung vom 5. September bis zum 19. Oktober, für die sich der Begriff "Deutscher Herbst" eingeprägt hat. Hinzu kommen politische Einschätzungen von damals und heute sowie neue Erkenntnisse der Zeitgeschichte. Die bisher erschienenen Folgen im Überblick.

Tag 3: Mittwoch, 7. September. "Neue Art von Bürgerkrieg"

In der Welt schreibt der Historiker Golo Mann: "Man befindet sich in einem Ausnahmezustand. Man befindet sich in einer grausamen und durchaus neuen Art von Bürgerkrieg. (...) Mit guten Reden vom ,kühlen Kopf bewahren', ,alle Mittel ausschöpfen', ,mit demTerrorismus sich geistig auseinandersetzen', wird es nicht mehr genug sein."

Die Times kommentiert: "Das Problem wird durch die Existenz einer ziemlich großen Klasse von Intellektuellen verschärft, die zwar Gewalttätigkeiten verurteilen, jedoch für die Motive der Terroristen Verständnis aufbringen." In einigen Städten werden Schmierereien von RAF-Sympathisanten entdeckt: "Warum die Freude ver-schleyer-n?"

Justizminister Hans-Jochen Vogel bittet die Landesbehörden, "jegliche Kontakte von inhaftierten Terroristen untereinander und mit der Außenwelt nachhaltig zu unterbinden". Anwaltsbesuche im Gefängnis sind fortan untersagt.

Die Bundesregierung verhängt eine totale Nachrichtensperre, dennoch erfahren Journalisten von Baden-Württembergs Innenminister Karl Schieß (CDU) vom Inhalt des ersten Erpresserbriefs.

Sehr zum Missfallen von Kanzler Helmut Schmidt berichten die Medien über die Forderung nach Freilassung von elf RAF-Häftlingen, wobei jeder 100 000 Mark erhalten soll. Ansonsten hält die Nachrichtensperre.

Erneut lässt Bonn ein Ultimatum verstreichen - die elf Terroristen hätten um acht Uhr am Frankfurter Flughafen "zusammengebracht" werden sollen. Um zehn und 14 Uhr fordert das BKA über den Rundfunk einen Beweis von den Entführern, dass der Arbeitgeberpräsident am Leben ist. Es werden zwei Fragen gestellt, die nur Schleyer beantworten kann.

Die Entführer klingen ungeduldig

Am späten Nachmittag findet ein evangelischer Pfarrer in Mainz einen Umschlag in seinem Briefkasten; darin sind zwei handschriftliche Briefe Schleyers, ein getippter RAF-Brief und ein Video-Band. In dem Video betont der 62-Jährige, "dass alle Verzögerungen in der Abwicklung des Falles meine Lage verschlechtern werden".

Schriftlich erneuern die Erpresser ihrer Forderungen vom Vortag ("wir haben nicht mehr lange lust uns zu wiederholen") und verlangen, dass das Video in den TV-Abendnachrichten ausgestrahlt wird.

Am Abend erhält ein Mainzer Weihbischof ein Tonband zugespielt, darauf hat Schleyer die Antworten auf die beiden persönlichen Fragen vom Nachmittag gesprochen. Er fügt hinzu: "Dieses Lebenszeichen wird nach Auffassung meiner Bewacher das letzte vor meiner Freilassung sein; die Bewacher drängen darauf, dass jetzt eine Entscheidung der Bundesregierung fällt." Diese aber lässt die Entführer weiter zappeln.

In den Nachrichten um 23.15 Uhr teilt das BKA mit: "Das Abspielen des Videobandes ist wegen der verspäteten Übermittlung derzeit noch nicht möglich." Kurz vor Mitternacht schlägt das BKA im ZDF vor, dass die Entführer eine Kontaktperson ihres Vertrauens benennen können, um "hinderliche Zeitverluste" bei der Kommunikation künftig auszuschließen.

Die Polizei kommt der Geisel ganz nahe

Ferdinand Schmitt von der Polizei Erftstadt-Liblar sendet ein Fernschreiben an die vorgesetzte Dienststelle Bergheim mit einem Hinweis auf eine verdächtige Wohnung Zum Renngraben 8 - in der, wie sich später (zu spät) herausstellt, Schleyer tatsächlich festgehalten wird.

Die örtliche Polizei, überzeugt von ihrer heißen Spur, klingelt ein paar Tage später sogar an vielen Wohnungstüren, auch in der Wohnung Nr. 104, wo Peter-Jürgen Boock gerade sein Opfer bewacht.

"Deutscher Herbst"

Quellen und Literatur zur SZ-Serie über den RAF-Terrorismus 1977. Zur Übersicht

Boock dazu später zum Spiegel: "Ich zischte Schleyer zu: Du bleibst ganz ruhig. Sonst gibt es hier Tote. (...) Er machte keinen Mucks. Und der Polizist ging wieder."

Die Serie erschien in einer ersten Version 2007 - und wurde für die Neuveröffentlichung leicht überarbeitet und erweitert. Die Rechtschreibung in Zitaten entspricht der Schreibweise der damaligen Zeit.

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