Serie "Deutscher Herbst":Bonn sucht RAF-Geisel Schleyer mit Abhöraktion

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Kanzler Helmut Schmidt (li.), BKA-Chef Horst Herold, Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski (Foto: dpa)

Vor 40 Jahren lassen die Behörden das Ultimatum der RAF verstreichen - die lässt ihre Geisel Schleyer Briefe schreiben. Das BKA startet die größte Telefonüberwachung der deutschen Geschichte.

Von Robert Probst

Tag 5: Freitag, 9.September. "Die politische Verantwortung trägt natürlich Bonn"

In einem Brief vom 8. September erneuern die Entführer ihre Forderungen, der Abflug der elf Terroristen solle am Freitag live im TV übertragen werden: "kontaktpersonen sind überflüssig wie jeder weitere verzögerungsversuch."

Die Entführer veranlassen Schleyer, einen Brief an seinen Sohn Eberhard zu schreiben: "Die politische Verantwortung trägt natürlich Bonn, aber sie unterschätzen dort offenbar die Ernsthaftigkeit + Härte meiner Entführer. Man kann dieses Spiel um Zeitgewinn nicht weitertreiben, weil es auch für die Entführer Zwänge gibt, deren 1. Opfer ich bin."

Auch an seinen Freund, den geschäftsführenden Gesellschafter der Friedrich Flick AG, Eberhard von Brauchitsch, schreibt Schleyer mit der Bitte um Einflussnahme: "Wenn Bonn ablehnt, dann sollten sie es bald tun, obwohl der Mensch -wie es auch im Krieg war - gerne überleben möchte. An der Entschlossenheit meiner Entführer, zu ihrem Wort auch im für mich negativen Sinne zu stehen, besteht für mich nicht der geringste Zweifel."

Das BKA gibt im Radio bekannt, dass das Ultimatum wieder einmal nicht eingehalten werden kann, die Behörde schlägt den Genfer Anwalt Denis Payot als Vermittler vor.

Tag 6: Samstag, 20.September. "Jeder Kompromiss ist ausgeschlossen"

Bei einem Staatsakt im Stuttgarter Landtag wird der Opfer des Terrorakts von Köln gedacht. Baden-Württembergs Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) hält die Trauerrede. Er geißelt die "blutige Untat" als "Attentat auf unsere freiheitliche Ordnung und unsere Rechtsgemeinschaft". Aber er betont auch: "Es ist der Punkt erreicht, wo es ein Ende haben muss mit dem uferlosen Gewährenlassen und dem standpunktlosen Tolerieren. (. . .) Es muss ein klarer Trennungsstrich zu jenen gezogen werden, die für die Terroristen Verständnis zeigen, sie moralisch rechtfertigen oder ihre Taten herunterspielen."

Anschließend ziehen etwa 6000 Menschen in einem Schweigemarsch durch die Innenstadt. Die vier Begleiter des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer waren bei dem Anschlag am 5. September regelrecht hingerichtet worden.

Insgesamt 107 Schüsse haben die Insassen des Begleitfahrzeugs getroffen. Polizeihauptmeister Reinhold Brändle war von 60 Projektilen getroffen worden, Polizeimeister Helmut Ulmer von 26 und Polizeimeister Roland Pieler von 21. Schleyers Fahrer Heinz Marcisz starb nach fünf Schüssen. (Es gibt zu den "Treffern" auch abweichende Angaben.)

"Größte Telefonabhöraktion der deutschen Geschichte"

Der Genfer Anwalt Denis Payot, der sich am Freitag bereiterklärt hat, als Vermittler zwischen den Entführern und der Bundesregierung aufzutreten, nimmt seine Tätigkeit auf. Den Namen Payot hatten die Terroristen in ihrem ersten Forderungskatalog selbst genannt - er solle zusammen mit Pastor Martin Niemöller, 85, die elf freigepressten RAF-Leute bei ihrer Flugreise ins Ausland begleiten, sozusagen als Instanz der öffentlichen Kontrolle.

Irrtümlich halten ihn die Entführer für den "generalsekretär der internationalen föderation für menschenrechte bei der uno". Der 35-Jährige ist jedoch Präsident der privaten Schweizerischen Liga für Menschenrechte, außer seinem Einsatz für die Palästinenser ist wenig über ihn bekannt.

Die Entführer gehen auf das Angebot der Regierung ein und melden sich am späten Abend telefonisch bei Payot. Sie stellen erneut ein Ultimatum für die Freilassung der Gefangenen - bis Sonntag, 24 Uhr, sollen die RAF-Leute in ein Land ihrer Wahl ausgeflogen werden: "Was den Ablauf dieser Ausführungen betrifft, ist jeder Kompromiss ausgeschlossen."

BKA-Präsident Horst Herold ist zufrieden. Er hat jetzt die Möglichkeit, die Telefonleitung Payots zu überwachen, die Schweizer Behörden haben es erlaubt. Ein BKA-Beamter hört immer mit. Auch die Telefonate aus Deutschland nach Genf versucht Herold kontrollieren zu lassen. Der Autor Butz Peters nennt Herolds Vorgehen die "größte Telefonabhöraktion der deutschen Geschichte".

Der Schriftsteller Heinrich Böll - der als Sympathisant der extremen Linken gilt - sowie die Theologen Helmut Gollwitzer, Heinrich Albertz und Kurt Scharf appellieren an die Entführer, das "mörderische Tauschgeschäft von Menschenleben gegen Menschenleben" aufzugeben: "Seien Sie sich klar, daß weiteres Töten alles vernichtet, was Sie erreichen wollen."

Die Serie erschien in einer ersten Version 2007 - und wurde für die Neuveröffentlichung leicht überarbeitet und erweitert. Die Rechtschreibung in Zitaten entspricht der Schreibweise der damaligen Zeit.

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