Serie: Albtraum Atombombe (4):In Höhlen an der Bombe basteln

Das Risiko eines Atomkriegs der Großmächte ist gebannt, nun droht eine neue Gefahr: nuklearer Terrorismus. Geheimdienste sind sich einig: Terroristen könnten eine improvisierte Atomwaffe bauen.

Paul-Anton Krüger

Über den Ruinen des World Trade Centers in New York hing noch der Qualm, als den amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA die nächste beunruhigende Nachricht erreichte. Al-Qaida-Chef Osama bin Laden hatte sich im August 2001 in Kabul, damals noch unter Kontrolle der radikal-islamischen Taliban, mit zwei Pakistanern getroffen.

SOLDIERS MASKS

Krieg gegen den Terror: Deutsche Soldaten mit Schutzmasken gegen atomare, biologische und chemische Waffen.

(Foto: AP)

Offiziell waren Sultan Baschiruddin Machmud und Chaudiri Abdul Madschid als Chefs der Umma Tamir-e-Nau angereist, einer Organisation, die in Afghanistan Entwicklungshilfe leistete.

Doch bin Laden hoffte auf Unterstützung ganz anderer Art: Die beiden Herren aus Islamabad hatten bis Ende der neunziger Jahre an leitender Stelle in Pakistans Atomwaffenprogramm gearbeitet, bevor sie die Regierung kaltstellte - unter anderem wegen ihrer Kontakte zu radikalen Islamisten. Nun diskutierte der Terrorfürst mit den beiden Nuklearspezialisten, wie al-Qaida an die Bombe kommen könnte.

"Der wusste, was er tut", sagte ein Geheimdienstler der New York Times über Machmud - er hatte Zugang zu allen Bereichen der pakistanischen Atomwaffenschmieden. Und Machmud teilte darüber hinaus die politischen Ideen der Islamisten. "Dieser Typ war unser absoluter Albtraum", erinnerte sich der Geheimdienstler. Die Regierung in Islamabad ließ den Nuklearingenieur und seinen Kollegen Madschid im Oktober 2001 auf Druck der USA festnehmen, doch seit dieser Episode gilt nuklearer Terrorismus westlichen Regierungen als realistisches Bedrohungsszenario.

Können "Männer in Höhlen" Atomwaffen bauen?

Pakistans Regierung versuchte zu beschwichtigen: "Männer in Höhlen" könnten keine Atomwaffe bauen, hieß es aus Islamabad. Doch sind sich Geheimdienste und unabhängige Experten inzwischen weitgehend einig, dass "Terroristen eine improvisierte Atomwaffe bauen könnten", wie David Albright sagt, Chef des unabhängigen Institute for Science and International Security in Washington.

Nach seiner Meinung wären sie auf kundige Hilfe angewiesen, wie sie die beiden Pakistaner hätten bieten können. Die größte Schwierigkeit auf dem Weg zur ultimativen Waffe aber besteht darin, sich genügend spaltbares Material zu beschaffen, also waffenfähiges Plutonium oder hochangereichertes Uran. Albright schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass es Terroristen gelingt, eine nukleare Explosion wie in Hiroshima oder Nagasaki zu verursachen, auf "weniger als ein Prozent". Die Folgen aber, warnt er, würden "derart katastrophal ausfallen, dass die Welt danach nicht mehr die gleiche wäre".

Als wahrscheinlicheres Szenario gilt vielen Experten und Geheimdienstlern eine "schmutzige Bombe" - radioaktive Stoffe, vermengt mit konventionellen Sprengstoffen wie TNT oder einer Mischung aus Heizöl und Kunstdünger. Verheerende Folgen fürchten Wissenschaftler, wenn größere Mengen pulverförmiger radioaktiver Substanzen durch eine Explosion freigesetzt und weiträumig verteilt würden.

Mit einer Bombe, die Cäsium-137-Pulver enthält, ließe sich Simulationen zufolge eine Fläche von mehreren Dutzend oder sogar Hunderten Quadratkilometern so stark verstrahlen, dass sie unbewohnbar wäre. An dieser nuklearen Lowtech-Waffe, die sich in jeder Garage zusammenbasteln ließe, waren die Dschihadisten der al-Qaida ebenfalls interessiert. Die CIA berichtete schon 2002, die Terror-Holding besitze Baupläne für eine solche Bombe. US-Einheiten hatten in Afghanistan entsprechende Hinweise gefunden.

Cäsium-137, Kobalt-Isotope und andere radioaktive Substanzen sind in der Medizin, der Landwirtschaft und auch in der Industrie weitverbreitet. Oft sind sie weniger gut gesichert und daher wesentlich einfacher zu beschaffen als waffenfähiges Material.

Erst Ende Juli nahm eine Spezialeinheit der südafrikanischen Polizei an einer Tankstelle in der Hauptstadt Pretoria vier Männer hoch, die versucht hatten, einem Undercover-Agenten eine Gerät zu verkaufen, das Cäsium-137 enthielt. Wahrscheinlich stammte es aus der Bergbauindustrie des Landes, und die Atomdealer hatten, so glauben die Ermittler, Zugang zu wesentlich mehr radioaktivem Material. Für umgerechnet insgesamt fünf Millionen Euro hatten sie strahlendes Metall offeriert.

"Ziviles Plutonium ist jeden Tag in der Welt unterwegs"

US-Präsident Barack Obama hat auf die Bedrohung durch nuklearen Terrorismus reagiert - egal, ob sie von einer selbstgebauten oder gestohlenen Atomwaffe ausgeht oder einer schmutzigen Bombe. 47 Staats- und Regierungschefs hat er im April in Washington zu einem Gipfel zum Thema nukleare Sicherheit versammelt und ihnen das Versprechen abgenommen, strahlendes Material in ihren Ländern binnen vier Jahren wirksam gegen Diebstahl oder Missbrauch zu sichern. Der beste Weg, einen nuklearen Anschlag zu verhindern, so die Logik der Initiative, ist zu verhindern, dass überhaupt radioaktive Stoffe in falsche Hände geraten können.

Viele Staaten sind nachlässig bei der Sicherung strahlender Stoffe, Schlamperei und Dilettantismus sind die häufigste Ursache, wenn radioaktives Material verschwindet.

Wie sorglos manche Betreiber von Atomanlagen sind, musste ein Team der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in einem afrikanischen Land erleben: Ohne Probleme gelangten die Inspektoren vorbei an Wachen oder durch nicht vergitterte Fenster in die Reaktorhalle eines Forschungszentrums, das noch mit waffenfähigem Uran betrieben wurde. Auch deshalb werden auf Initiative der USA hin derzeit Forschungsreaktoren weltweit auf Uran mit einem niedrigeren Anreicherungsgrad umgestellt.

Der Preis der Sicherheit

Die größere Gefahr sieht Experte David Albright jedoch in Plutonium. Während die militärischen Bestände meist "gut geschützt" seien, sei "ziviles Plutonium jeden Tag in der Welt unterwegs", warnt er - zwischen Kernkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlagen und Brennelementefabriken. Mit solchem Material lasse sich eine Bombe fabrizieren, die eine nukleare Explosion entfalten würde, die einigen hundert Tonnen konventionellem Sprengstoff entsprechen würde. Dieses Plutonium so sicher zu machen "wie das Gold in Fort Knox", wie Obama es forderte, hält Albright für schwierig.

Die Kosten würden enorm steigen, daran habe die Nuklearindustrie kein Interesse. Noch schwieriger dürfte es sein, weniger gefährliches Material unter Verschluss zu bringen.

Manche Experten halten die Bedrohungsszenarien durch schmutzige Bomben für übertrieben, und erst recht solche, in denen Terroristen selbst eine Nuklearwaffe bauen oder in ihre Kontrolle bringen. Wenn es denn so einfach sei, sich strahlendes Material zu beschaffen, fragen sie, warum hat es dann seit dem 11. September 2001 noch keinen nuklearen Terroranschlag gegeben?

David Albright kann dieses Argument nicht überzeugen: "Wenn die Wahrscheinlichkeit, mit einem Flugzeug abzustürzen, nur ein halbes Prozent betrüge - würde dann noch irgendjemand fliegen?"

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