Serbien:"Die Wahl gestohlen"

In Serbien protestieren Tausende gegen den neuen Präsidenten Aleksandar Vučić. Sie werfen ihm Manipulation und autoritären Führungsstil vor.

Von Nadia Pantel

Die Wahl Aleksandar Vučićs zum neuen Präsidenten Serbiens hat in dem Balkanland zu den ausdauerndsten Protesten seit Jahren geführt. Am 2. April konnte sich Vučić als überragender Sieger der Präsidentschaftswahl feiern, er erhielt 54 Prozent der Stimmen. Doch schon einen Tag später begannen in Belgrad und Novi Sad die Menschen, gegen Serbiens mächtigsten Mann auf die Straße zu gehen. Inzwischen wird täglich in 15 serbischen Städten demonstriert, auch Soldatenverbände und die Polizeigewerkschaft schlossen sich am Wochenende den Protesten an. Die Polizei zählte am Samstag allein in Belgrad 10 000 Demonstranten.

Es sind vor allen Dingen junge Menschen, die auf die Straße gehen. Sie verbreiten die Demonstrationstermine unter dem Motto "Protest gegen die Diktatur" über Facebook. Auf Plakaten fordern die Demonstranten den Rücktritt der Regierung, der Führung der Wahlkommission und der Intendanten der staatlichen Fernsehsender. Sie werfen Vučić einen unfairen Wahlkampf, die Gängelung der Presse und eine unsaubere Wahl vor. Serbische Medien berichten, dass in dem Wählerverzeichnis des Landes 800 000 Menschen, die es gar nicht gibt, als Wahlberechtigte aufgeführt seien. Auf den Demonstrationen wurde skandiert, Vučić habe "die Wahl gestohlen". In der Folge hat am Sonntag die serbische Opposition die Mitarbeit in der Wahlkommission niedergelegt. Die Stimmzettel zweier Wahllokale wurden am Sonntag live im Fernsehen neu ausgezählt, um zu beweisen, dass keine Unregelmäßigkeiten zu beanstanden seien. Die Oppositionspolitiker sagten jedoch, die Neuauszählung sei ebenso manipuliert wie die Wahl.

Der Unmut der Protestierenden richtet sich jedoch nicht nur gegen eine mutmaßliche Wahlmanipulation, sondern generell gegen die wachsende Macht des künftigen Präsidenten Vučić. Seit 2014 regiert der Nationalist, der von radikalen auf gemäßigtere Töne umgeschwenkt ist, als Premierminister das Land. Er will Serbien in die EU führen und hat dem Land einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung beschert. Gleichzeitig werfen ihm freie Medien, liberale Kritiker und Oppositionspolitiker einen zunehmend autoritären Regierungsstil vor. Auf die Proteste gegen ihn reagierte Vučić bisher betont gelassen. Dass die Proteste ungehindert stattfinden können, sei ein Beleg für die funktionierende Demokratie in Serbien, so Vučić.

Bislang verliefen die Anti-Vučić-Demonstrationen absolut friedlich, und es waren keine Plakate von Parteien zu sehen. Wer genau die Proteste organisiert, ist unklar. Regierungsnahe Medien behaupten, dass der Unternehmer und Bürgerrechtsaktivist George Soros gegen die Regierung agitiere - einer der Lieblingsvorwürfe osteuropäischer Staatschefs, die kritisiert werden.

Die Demonstranten selbst sagen in Befragungen lokaler Medien, dass sie spontan auf die Straße gingen, weil sie Meinungsfreiheit und Demokratie bedroht sähen. Die Polizeigewerkschaft wiederum begründete ihre Teilnahme an den Protesten mit ihrer schwierigen sozialen und ökonomischen Situation, die Arbeitsbedingungen würden sich zunehmend verschlechtern. Serbien gehört zu den ärmsten Ländern Südosteuropas.

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