Sechs Fragen zu Pegida:"Islamisierung ist ein ideologischer Kampfbegriff"

Pegida-Demonstranten am 15. Dezember 2014 in Dresden

Pegida-Demonstranten am 15. Dezember in Dresden

(Foto: AFP)

Tausende Menschen in Deutschland gehen gegen eine Islamisierung Deutschlands auf die Straße. Woher kommt ihre Angst vor Muslimen? Gibt es so etwas wie eine Islamisierung tatsächlich? Oder sind das Hirngespinste fremdenfeindlicher Wutbürger? Wichtige Fragen und Antworten.

Von Markus C. Schulte von Drach

Was treibt die Menschen auf die Straße?

Die Antwort auf diese Frage lässt sich schon deshalb nicht einfach beantworten, weil es mindestens zwei Gruppen gibt, die sich mehr oder weniger deutlich unterscheiden. So machen offenbar Rechtsextreme einen Teil der Protestierenden aus. Deren Motivation ist kein Geheimnis.

Doch eine große Zahl von Demonstranten kommt offensichtlich aus dem eher bürgerlichen Lager. Viele distanzieren sich ausdrücklich von den Neonazis und nehmen sich selbst weder als rechts noch als fremdenfeindlich wahr. Wie die Forderungen der Pegida und ihrer Anhänger zeigen, haben sie aber etwas mit den Neonazis ganz klar gemein: Sie sehen in der wachsenden Zahl der Flüchtlinge eine Bedrohung.

Wieso das so ist, versuchen Sozialwissenschaftler zu erklären. Ihnen zufolge gehen hier vor allem Menschen auf die Straße, die sich durch die Politik benachteiligt, ignoriert oder ausgegrenzt fühlen, während immer mehr Flüchtlinge kommen, die angeblich bevorzugt werden. Dieser Vorwurf ist auf den Demonstrationen immer wieder zu hören. Außerdem wird beklagt, die Stadtbilder würden sich aufgrund von Zuwanderern verändern, die Verhältnisse an den Schulen würden schlechter, es gebe mehr Drogendealer. Und wenn das auch etwa in Dresden nicht zutrifft, so wird befürchtet, es sei nur noch eine Frage der Zeit.

Dazu kommt, dass die meisten Flüchtlinge Muslime sind. Sie kommen nicht nur aus der Fremde, sie gehören auch einer Glaubensgemeinschaft an, die vielen Deutschen noch immer fremd ist. Für die Demonstranten, so sagte etwa der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler von der Fachhochschule Düsseldorf dem NDR, ist die angebliche Bedrohung durch den Islamismus ein "Kulminationspunkt für die angestaute Wut über unterschiedliche Entwicklungsprozesse".

Wieso erscheint den Demonstranten ausgerechnet der Islam als so bedrohlich?

Der Islamexperte Olivier Roy vom Europäischen Hochschulinstitut im italienischen Fiesole geht davon aus, dass sich hier ein Rassismus zeigt, der alles andere als neu ist. "Rassismus ist verboten. Deshalb heißt es bei den Rassisten heute: Wir haben nichts gegen Türken oder Syrer, aber der Islam ist gefährlich. Jeder, der nicht klar sagt, er sei kein Muslim, wird abgelehnt." Das spiegelt sich zum Beispiel darin wider, dass sogenannte Ehrenmorde von vielen Menschen mit dem Islam in Verbindung gebracht werden. Dabei seien die Täter und Opfer fast immer Kurden. "Das ist eher eine Frage der Kultur, nicht der Religion, des Islam", sagt der Franzose Süddeutsche.de. "Früher gab es Ehrenmorde übrigens auch unter Sizilianern."

Erst warnen, dann wegschauen

Eine Rolle spielen seiner Meinung nach auch die Warnungen der Politik und Sicherheitsbehörden vor radikalen Islamisten, Dschihadisten und Terroristen sowie Meldungen über deren realisierte oder verhinderte Anschläge in und außerhalb Deutschlands. Und auch Berichte über Zwangsheiraten, die Unterdrückung von Frauen, die zunehmend in der Öffentlichkeit auftretenden Salafisten und in jüngerer Zeit die Meldungen über den "Islamischen Staat" und seine Kopfabschneider werden mit dem Islam insgesamt assoziiert.

"Wir dürfen nicht unterschätzen, was diese Bilder für eine Wirkung auf die Menschen in Europa haben", sagt auch der Migrationsforscher Ruud Koopmans vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). "Und wenn manche deutsche Muslime mit dem IS sympathisieren und einige sogar dorthin reisen, um zu kämpfen, muss es nicht verwundern, dass das Ängste auslöst." Auf der anderen Seite neige die Politik seiner Meinung nach dazu, dieses Problem herunterzuspielen. "Das kann dazu führen, dass Menschen glauben, es käme eine große Gefahr auf uns zu und dass die Politik wegschaut."

Was ist mit dem Abendland gemeint?

Auch der Bezug Pegidas auf das "Abendland", dessen Kultur es zu schützen gelte, kommt nicht aus dem Nichts. So betonten auch Politikerinnen und Politiker von Angela Merkel (CDU) bis zu Wolfgang Thierse (SPD) die Bedeutung christlich-jüdischer Wurzeln Europas. Aber "die Rechte behauptet zwar, Europa sei christlich", sagt Roy. "Das Christentum spielt jedoch keine große Rolle mehr. Europa ist säkularisiert."

Für die Rechten sei das Christsein deshalb keine Frage der Religion mehr, sondern der europäischen Identität. "Es gibt bei ihnen eine Identitätskrise. Und die feindselige Abgrenzung zum Islam ist ein Weg, sich ein imaginäres christliches Europa zu konstruieren."

Das passt zu den Erkenntnissen der Sozialwissenschaftler und Gewaltforscher. Ihnen zufolge ist die Identität als Teil einer bestimmten Nation, Gesellschaft, Kultur oder einer Gruppe mit bestimmten kollektiven Wertevorstellungen ein grundlegender Aspekt in Gruppenkonflikten.

"Über diese soziale Identität kann ein kollektives Bedrohungsgefühl entstehen" erklärt der Konfliktforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld. "Eine Stimmung, die man mit anderen teilt."

Was ist Islamisierung und gibt es Grund, sich Sorgen zu machen?

Pegida-Anhänger in Dresden

Pegida-Anhänger am 15. Dezember in Dresden

(Foto: Getty Images)

"Islamisierung ist erst einmal ein ideologischer Kampfbegriff", sagt Ruud Koopmans vom WZB. Die Frage ist, was verstehen die Demonstranten darunter? Wie auch in anderen Ländern, wo rechte Aktivisten schon länger gegen eine angeblich drohende Islamisierung kämpfen, befürchten viele Demonstranten offenbar die Einführung der Scharia, sagt Olivier Roy vom Europäischen Hochschulinstitut. Dabei handelt es sich um das islamische Recht, das auf die Interpretation des Koran und des Lebens des Propheten Mohammed zurückgeführt wird.

"Die große Mehrheit der Muslime will die Scharia aber nicht", sagt Roy. Lediglich unter den pakistanischen Migranten in Großbritannien findet sich eine Zahl von Befürwortern, die der Rede wert ist. Sonst nirgendwo in Europa.

"Dass es in Deutschland dazu kommen könnte, ist eine Wahnidee", sagt auch Koopmans. "Aber andere befürchten offenbar, dass die deutsche Gesellschaft zumindest zunehmend durch islamische Verhaltensnormen und Werte geprägt wird."

Der Anteil der Muslime an der Bevölkerung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren zwar deutlich gewachsen, liegt mit etwa vier Millionen aber immer noch bei lediglich fünf Prozent. Und unter diesen ist die Zahl der Radikalen, die die Scharia wollen, nur klein. Etwa 7000 Salafisten leben dem Verfassungsschutz zufolge in Deutschland. Und unter diesen gilt nur eine kleine Minderheit als gewaltbereit. Und die Zahl der Flüchtlinge ist zwar gewachsen. Allerdings lag der Anteil derjenigen, die 2014 in Deutschland Asyl beantragt haben, bei etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung. Wie eine solche Minderheit die deutsche Gesellschaft islamisieren soll, lässt sich nicht vorstellen.

Sechs Fragen zu Pegida: Juden, Christen und Muslime beten am 17. November vor der Kirche St. Michael in München für den Frieden

Juden, Christen und Muslime beten am 17. November vor der Kirche St. Michael in München für den Frieden

(Foto: Stephan Rumpf)

Die wenigsten Dschihadisten werden in Moscheen radikalisiert

Und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass es hier größere Bestrebungen gibt. Die meisten radikalen Islamisten in Europa sind nicht eingewandert, sagt Roy. "Die Dschihadisten sind junge Männer, darunter ganz viele Konvertiten, und sie wurden nicht in Moscheen radikalisiert, sondern durch das Internet." Häufig seien es die Eltern, die die Polizei alarmieren, wenn ihrer Söhne offenbar in den Heiligen Krieg ziehen wollen.

Darüber hinaus ist die häufig geäußerte Befürchtung, eingewanderte Muslime würden mehr Kinder bekommen als Einheimische und so die Nichtmuslime irgendwann zu einer Minderheit in ihrer Heimat machen, falsch, sagt Roy. "Die Fertilität der Muslime in Europa sinkt überall in Richtung derjenigen der Einheimischen ab."

Was es allerdings auch gibt, ist die Sorge, dass wegen strenggläubiger Muslime oder wegen einiger Extremisten die Presse- oder Meinungsfreiheit eingeschränkt werden könnte. "Während des Streits um die Mohammed-Karikaturen in Dänemark oder um den islamkritischen Film Submission von Theo van Gogh und Ayaan Hirsi Ali in den Niederlanden ist es zu Einschüchterungen und Morddrohungen gekommen. Mancher hatte deshalb Angst, sich islamkritisch zu äußern", sagt Koopmans Süddeutsche.de. "Da sind wir von der Scharia noch immer weit weg. Aber einige Menschen sehen darin vielleicht schon erste Anzeichen einer Islamisierung."

Dabei müssten Muslime in Deutschland noch immer für die Gleichberechtigung neben anderen Religionen wie Christentum und Judentum kämpfen. Trotz der Religionsfreiheit gibt es die noch nicht. So sind islamische Gemeinden - bis auf wenige Ausnahmen - keine Körperschaften des öffentlichen Rechts. Und der Bau von Moscheen stößt immer wieder auf Widerstand.

Wie viel Unterstützung hat Pegida in der deutschen Bevölkerung?

63 Prozent der Deutschen, so hat es eine Umfrage im Auftrag der Bild-Zeitung ergeben, haben "Angst vor dem zunehmenden Einfluss des Islam in Deutschland". Und 56 Prozent antworteten auf die Frage, ob der Islam für Deutschland ungefährlich sei, mit "Stimme nicht zu".

Gibt es also einen großen Rückhalt für die Pegida? Nicht unbedingt. Immerhin 54 Prozent der insgesamt 2017 Befragten erklärten, sie würden selbst nicht an einer Demonstration gegen die Islamisierung Deutschlands teilnehmen. 27 Prozent signalisierten dagegen Bereitschaft.

Problematisch ist auch, dass die Frage nach der Angst vor dem Einfluss des Islam tendenziös gestellt ist. Schließlich unterstellt sie, der Islam hätte tatsächlich einen zunehmenden Einfluss. Und es ist merkwürdig, wieso die Teilnehmer so umständlich nach der Gefahr durch den Islam gefragt wurden. "Nicht ungefährlich" klingt eben anders als "gefährlich".

Dass es allerdings tatsächlich eine recht große Zustimmung zu den Demonstrationen gegen die "Islamisierung des Abendlandes" zu geben scheint, darauf wies kürzlich auch eine Zeit-online-Umfrage hin. 49 Prozent der 1107 Teilnehmer zeigten dafür Verständnis. Allerdings bezog sich dieselbe Frage auch auf Demonstrationen gegen den Islamischen Staat, die nicht unbedingt etwas mit Pegida zu tun hatten.

Klarer sind da vermutlich die jüngsten Zahlen des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung haben die Wissenschaftler dieses Jahr 1915 Deutsche befragt. Dabei kam heraus, dass fast neun Prozent Rassismus zeigten und 20 Prozent Fremdenfeindlichkeit. Und als wäre das nicht schon erschreckend genug, stellten die Forscher bei mehr als 44 Prozent eine Abwertung asylsuchender Menschen fest. Und bei mehr als 17 Prozent zeigte sich Islamfeindlichkeit.

Zwar wurde die Zustimmung zu den Pegida-Demonstrationen nicht erfragt. Ein Teil der Deutschen mit Vorurteilen gegenüber Fremden, Muslimen und vor allem Asylbewerbern dürfte aber wohl auch Verständnis für die Anhänger der Bewegung haben.

Sind die Pegida-Organisatoren rechtsradikal?

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Lutz Bachmann, der Mann hinter den "Patriotischen Europäern"

(Foto: AFP)

Die Bewegung wurde von Lutz Bachmann ins Leben gerufen. Direkte Verbindungen zum organisierten Rechtsextremismus wurden weder dem Betreiber einer Foto- und PR-Agentur noch den anderen Organisatoren der Demonstrationen in Dresden nachgewiesen.

Bachmanns Haltung gegenüber Asylanten ähnelt allerdings der von Neonazis - auch wenn er darauf besteht, nichts gegen Kriegsflüchtlinge zu haben. Auf den Demonstrationen treten außerdem Neonazis aus dem NPD-Umfeld auf, und auch bekannte Funktionäre der Partei nehmen daran teil. Und zwar ohne dass sich die Pegida oder andere Demonstranten erkennbar daran stören.

Ableger von Pegida existieren auch in anderen Städten. Eine "Bogida"-Demonstration in Bonn etwa wurde von einem Mitglied des Parteivorstandes der rechtsextremen Partei ProNRW angemeldet. Die Demonstration der Düsseldorfer "Dügida" wurde dagegen von einem Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD) organisiert. Die Versuche, im Westen viele Menschen gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes auf die Straße zu bringen, sind allerdings weitgehend gescheitert.

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