Schwindende Beliebtheit des US-Präsidenten:Warum Obama gegen den hohen Benzinpreis kämpft

Der Spritpreis ist für US-Bürger, was der Brotpreis für die vorrevolutionären Franzosen war. Zwar mag er keine Revolution auslösen, Wahlen entscheiden kann er aber doch. Denn in den USA gilt: Je teurer das Benzin, desto niedriger die Umfragewerte des Präsidenten. Das bekommt auch Obama derzeit zu spüren.

Christian Wernicke, Washington

Der Präsident gab sich empört. Wie die Wiederholung einer miesen Fernsehserie mute es an, was seine republikanischen Gegner da im Wahlkampf verbreiteten. Wann immer der Benzinpreis steige, höhnte Barack Obama vorige Woche vor einer Schar meist junger Anhänger in Largo, einem Vorort der US-Hauptstadt, kramten Amerikas Politiker verstaubte Papiere aus dem Regal und versprächen den Menschen das Blaue vom Himmel.

Henry Rice

Der Benzinpreis steigt - die Beliebtheit des US-Präsidenten sinkt: Amerikaner machen ihr Staatsoberhaupt ganz unmittelbar für den Spritpreis verantwortlich.

(Foto: AP)

Nun also würden seine Herausforderer dem Volk 2,50 Dollar pro Gallone Treibstoff (3,785 Liter) verheißen, wenn es ihn bei der Wahl im November aus dem Weißen Haus jage. "Warum nicht zwei Dollar und 40 Cent? Oder 2,10?", spottete der Präsident, und seine Zuhörer johlten. Mit strenger Miene schoss Obama noch eine Salve hinterher: "Sie tun so, als hätten sie einen Zauberstab, mit dem sie euch auf ewig billiges Benzin beschaffen könnten."

Selbstverständlich erklärte der Präsident dann noch lang und breit, dass Amerikas Benzinpreis in Wahrheit vom Weltmarkt abhängt. Und dass seine Regierung sehr viel tue, damit der Schmerz an der Zapfsäule nachlasse. Doch Amerikas Automobilclub AAA meldet täglich, dass die Gallone teurer wird: 3,84 Dollar bedeuten einen neuen Rekord während Obamas Amtszeit, und Tankstellen in wohlhabenden Gegenden durchbrechen dieser Tage die magische Schwelle von vier Dollar.

Das sind zwar umgerechnet nur knappe 82 europäische Cent je Liter, mithin ein Preis, von dem deutsche Autofahrer nur träumen können. Amerikaner jedoch empfinden vier Dollar für 3,785 Liter als Schlag ins Gesicht - und Millionen US-Bürger machen dafür direkt ihr Staatsoberhaupt verantwortlich. Immer schon.

Obama weiß das. Schließlich hat er das politische Schauspiel, das er heute beklagt, als Präsidentschaftskandidat selbst aufgeführt. Vor Wählern in Ohio geißelte er damals die Energiepolitik des Republikaners George W. Bush und warf ihm vor, dass die Gallone mittlerweile "zweieinhalbmal so viel kostet wie bei seinem Amtsantritt".

Benzinpreis und politisches Wohlwollen

Das war im Sommer 2008, kurz vor Anbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, als die Gallone Treibstoff um 3,70 Dollar pendelte. Inflationsbereinigt entspräche dies aktuell etwa 4,27 US-Dollar, das wäre historisch der höchste aller je gemessenen Preise.

Einer, der sich mit langfristigen Trends auskennt, ist Andrew Kohut vom Pew Research Center. Der anerkannte Demoskop lächelt bei der Frage, ob der Benzinpreis für US-Bürger so etwas sei wie der Brotpreis für die Franzosen im vorrevolutionären Paris. Kohut nickt - und widerspricht doch.

Tatsächlich hätten sich der Benzinpreis und die Unzufriedenheit mit dem jeweils regierenden Präsidenten stets parallel entwickelt: "Unsere Daten zeigen einen weitgehend verlässlichen Trend", sagt er. Dann folgt die große Einschränkung: "Allerdings gibt es eine Ausnahme, und die beginnt während der Bush-Regierung und währt fort bis heute."

Die Korrelation zerbrach, weil Bush bei seinem Volk zunächst wegen des elenden Irak-Kriegs massiv in Ungnade fiel. Da konnte ihm auch zeitweise billiges Benzin nicht helfen. Und seit Ende 2008, als Konjunktur und Ölpreise abstürzten, hing das politische Wohlwollen für seinen Nachfolger allein davon ab, ob er die Nation aus der Krise und zu neuen Jobs führen würde.

Genau das schien Obama zuletzt zu gelingen. Die Arbeitslosenrate sank von einst mehr als zehn auf 8,3 Prozent im Februar. Prompt signalisierten Umfragen, dass der Präsident endlich wieder mehr Zustimmung als Ablehnung im Volk erfahre. Doch dieser Trend ist schon wieder gebrochen, jüngste Analysen sehen Obamas Werte erneut fallen, und die Polit-Strategen im Weißen Haus machen allein eine Ursache für diesen gefährlichen Trend aus, den Benzinpreis.

Es hilft Obama wenig, dass seriöse Experten versichern, auch der mächtigste Politiker der Welt besitze keine Allmacht über die Entwicklung des Rohölmarktes. Newt Gingrich, der republikanische Rechtsaußen, prahlt im Vorwahlkampf sogar, er könne als Präsident so viel Öl zutage fördern, dass die Welt auf Öl aus Iran verzichten könne und der US-Benzinpreis dennoch bei zweieinhalb Dollar je Gallone verharre.

"Vollkommen unmöglich", urteilt etwa Frank Verrastro, Energiefachmann beim unabhängigen Center for Strategic and International Studies in Washington DC. Fast hilflos fügte er in der Washington Post hinzu: "Aber was scheren wir uns um die Fakten. Es herrscht eben Wahlkampf!"

Den Republikanern nützt, dass sie schon vor vier Jahren vehement forderten, Amerika solle daheim mehr, tiefer und vor allem überall nach Öl bohren: "Drill, Baby, drill!", war ein Slogan, mit dem John McCain wie Sarah Palin, das ungleiche Kandidatenduo von 2008, durchs Land zogen.

Obama steht im Ruf, sich mehr Sorgen um den Klimawandel zu machen. Dass er neulich den Bau der riesigen Keystone-Pipeline untersagte, passt in dieses Bild. Der Präsident wehrt sich und verweist darauf, dass die Nation noch nie so viel nach heimischem Rohöl gebohrt hat. Die Zahl der US-Ölbohrtürme ist so hoch wie seit den frühen achtziger Jahren nicht mehr.

Geplagte Geringverdiener

Experten bestätigen, dass die Obama-Regierung sehr wohl versuche, langfristig den Stress an der Zapfsäule abzubauen, per Senkung der Nachfrage nämlich: Bis 2025 soll der Durchschnittsverbrauch von US-Pkw auf 4,3 Liter pro 100 Kilometer sinken, weniger als die Hälfte des Wertes von 2001 (9,5 Liter).

Maximal vier Prozent ihres Einkommens geben US-Bürger fürs Benzin aus. Aber der Schmerz sitzt tief und plagt vor allem Bürger mit niedrigem Verdienst. Laut Umfrage der Washington Post bekunden 48 Prozent aller befragten Wähler mit einem Jahreseinkommen unter 50.000 US-Dollar, der gestiegene Benzinpreis mute ihnen "schwere Entbehrungen" zu.

Genau diese Wählergruppe braucht Obama, um im November zu bestehen. Nur, dieselbe Umfrage offenbart auch: Der Widerwille gegenüber dem Demokraten, der sich als Beschützer der kleinen Leute sieht, stieg im März unter Niedrigverdienern um acht Punkte auf 52 Prozent.

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