Schwerpunkt Naturwissenschaften:Ende einer Aufholjagd

Jahrelang stiegen ihre Leistungen. Auch in jüngsten Pisa-Tests stehen deutsche Fünfzehnjährige wieder ganz gut da. Ihnen fehlt nur der Spaß am Lernen.

Von Susanne Klein und Ulrike Nimz

Es ist so etwas wie der Höhepunkt der Zeugnistage für deutsche Schüler: Im Oktober stellte die regionale IQB-Studie verbesserte Englischkenntnisse bei Neuntklässlern fest, dann zeigte der internationale Vergleichstest TIMSS, dass Viertklässler in Mathe unter dem EU-Durchschnitt liegen. Nach dieser durchwachsenen Bilanz nun Pisa. Von einem "Schock", wie ihn die weltweit wichtigste Bildungsstudie vor 15 Jahren auslöste, kann keine Rede sein. Von Euphorie auch nicht. Die Leistungen deutscher Schüler verharren im oberen Mittelfeld. In Noten: eine gute Drei. Schwerpunkt waren in diesem Jahr die Naturwissenschaften. Fast 6500 deutsche Schülerinnen und Schüler absolvierten den zweistündigen Test, der erstmals am Computer zu bestehen war. Die Ergebnisse im Überblick:

Naturwissenschaften

Während es seit der Pisa-Studie von 2006 große naturwissenschaftliche und technische Fortschritte gab, etwa beim Bioengineering oder in der Robotik, haben sich die Schülerleistungen wenig bewegt. Sie liegen im Mittelwert der OECD-Staaten bei 493 Punkten; das sind sieben weniger als zuvor. Deutsche Schüler erzielen 509 Punkte und schaffen es damit ins obere Mittelfeld, wie auch Australien, Großbritannien, die Niederlande und die Schweiz. Die Fünfzehnjährigen sind gut darin, Fachwissen abzurufen; wie es strukturiert ist und mit welchen Methoden man es erlangt, ist ihnen weniger geläufig. Spitzenreiter ist Singapur mit 556 Punkten, was gegenüber Deutschland einem Vorsprung von etwa eineinhalb Schuljahren entspricht.

Im Vergleich zur Pisa-Studie 2012 schneiden deutsche Schüler allerdings 15 Punkte schlechter ab. Damals wurde nur ein kleiner Naturwissenschaftstest durchgeführt, deshalb misst Pisa-Koordinator Andreas Schleicher dem langfristigen Trend seit 2006 mehr Bedeutung bei. Auch da zeigt die Tendenz leicht nach unten, der Abstieg um sieben Punkte ist laut Schleicher aber nicht signifikant.

Obwohl deutsche Jugendliche die Aufgaben besser meisterten als der Durchschnitt, können sich nur 15 Prozent vorstellen, später in einem naturwissenschaftlichen Beruf zu arbeiten. Hier sehen Experten Reformbedarf und werben für mehr praktische Berufsorientierung.

Mathematik

Deutsche Schüler rechnen besser als im OECD-Durchschnitt und ebenso gut wie ihre Nachbarn in Belgien, Dänemark und Polen. Ihr Leistungsniveau stieg schrittweise bis 2012, ist danach aber von 514 auf 506 Punkte leicht gesunken. 13 Prozent der Jugendlichen sind besonders leistungsstark - vor drei Jahren, als Mathematik im Fokus der Studie stand, waren es noch 18 Prozent. 17 Prozent scheitern an den Grundkompetenzen. Sie können keine einfachen Aufgaben mit ganzen Zahlen bewältigen, wie sie sich auch im Alltag stellen.

Lesen

Zum heilsamen Pisa-Schock am Anfang des Jahrtausends trug auch die mäßige Lesekompetenz deutscher Fünfzehnjähriger bei. Sie ist von 484 auf 509 Punkte geklettert, was den Mittelwert der OECD-Länder nunmehr deutlich übersteigt - die einzig ungetrübte Nachricht im aktuellen Pisa-Durchlauf. Fast zwölf Prozent der Schüler erreichen beim Textverständnis die höchste oder zweithöchste Kompetenzstufe, sie können das Gelesene analysieren, bewerten und Hypothesen dazu aufstellen. In Europa haben ihnen dabei nur französische, finnische und norwegische Jugendliche etwas voraus. Immerhin 16 von 100 deutschen Schülern scheitern jedoch schon an einfachen Texten.

Lernzeiten

Den überdurchschnittlichen Leistungen deutscher Schüler in den Naturwissenschaften steht ein unterdurchschnittlicher Einsatz von Stunden gegenüber: Sie lernen schneller und effektiver als zum Beispiel japanische Jugendliche, nur Finnen sind ihnen da noch voraus. Damit landet Deutschland bei der Lerneffizienz auf Platz zwei, was als Hinweis auf eine gute Unterrichtsqualität gesehen werden kann. Deutlich mehr Zeit im Verhältnis zur Leistung wenden die Schüler in Singapur auf, am meisten wird in den Arabischen Emiraten gebüffelt. Würden hiesige Jugendliche mehr Unterrichts- und Lernstunden investieren, könnten sie vermutlich noch besser sein.

Schule

Die neueste Pisa-Studie zeigt: Die Leistungen der deutschen Schüler verharren im oberen Mittelfeld.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Freude am Lernen

Gute Leistungen und schnelles Lernen stehen nicht automatisch für hohe Motivation. Deutsche Jugendliche können sich für Naturwissenschaften weniger begeistern als ihre Altersgenossen in anderen Ländern. Nur jeder zweite hat Spaß daran, hier neue Erkenntnisse zu gewinnen. Über die generelle Begeisterung für die Schule gibt die Quote der Schulschwänzer Aufschluss: Jeder fünfte Schüler gab an, in den zwei Wochen vor dem Test mindestens einen Tag unentschuldigt gefehlt zu haben. Im OECD-Schnitt waren es doppelt so viele.

Mädchen und Jungen

In Deutschland erzielen Jungen in Mathematik durchschnittlich 17 Punkte mehr und in Naturwissenschaften zehn Punkte mehr als Mädchen. Der Abstand ist größer als im OECD-Mittel. Für den Beruf des Naturwissenschaftlers, Ingenieurs oder Informationstechnikers interessieren sich deutlich weniger Mädchen als Jungen. Dafür sehen sie sich fast dreimal so häufig als künftige Ärzte, Tierärzte oder Krankenpfleger. Bei der Lesekompetenz schneiden Mädchen 21 Punkte besser ab, fünf weniger als im Länderdurchschnitt. Die Leseleistungen der Jungen haben sich insgesamt verbessert, fast jeder fünfte scheitert aber noch am Grundkompetenzniveau.

Soziale Herkunft

Schüler mit dem gleichen sozialen Kontext zeigen international ganz unterschiedliche Leistungen. Unabhängig vom Beruf und Einkommen der Eltern kann die Bildungsumgebung also großen Einfluss haben. Kanada, Estland, Finnland und Japan erzielen sowohl hohe Leistungen als auch ein hohes Maß an Chancengerechtigkeit. In den meisten anderen OECD-Ländern, auch in Deutschland, erzielen sozioökonomisch bessergestellte Schüler bei den Naturwissenschaften über 30 Punkte mehr als benachteiligte Schüler. Dies entspricht einem Vorsprung von einem Schuljahr.

Zuwanderer

Der Anteil der Schüler aus Zuwandererfamilien ist im OECD-Raum in den vergangenen Jahren von neun auf zwölf Prozent gestiegen. Ihr Leistungsabstand zu Schülern ohne Migrationshintergrund hat sich in den Naturwissenschaften um neun Punkte verringert. In Deutschland nahm er indes nicht nennenswert ab. Schüler der zweiten Generation stehen zwar besser da, doch im Schnitt erzielen Migrantenkinder 72 Punkte weniger als ihre Mitschüler. Eine Auswirkung auf das Gesamtergebnis sieht Pisa-Koordinator Schleicher nicht: "Wenn Deutschland heute sozioökonomisch und bei der Zuwanderung dieselbe Schülerschaft hätte wie vor 2006, wäre das Leistungsniveau nicht anders." Heinz-Peter Meidinger, Chef des Philologenverbandes, widerspricht: "Die vergangenen Jahre standen im Zeichen von Inklusion und Integration." Ein Großteil bildungspolitischer Ressourcen sei in diesem Bereich aufgewendet worden. Die Stagnation bei Pisa 2015 sei deshalb nicht überraschend.

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