Aufständische Truppen erreichen Tripolis:Rebellen treiben Gaddafi in die Enge

Zum ersten Mal seit Beginn der Unruhe vor sechs Monaten rücken libysche Rebellen bis nach Tripolis vor. Tausende gehen dort auf die Straße, um gegen Muammar al-Gaddafi zu demonstrieren. Nach Spekulationen um seine Flucht meldet sich der Despot unterdessen im Staatsfernsehen zu Wort und fordert seine Anhänger auf, "bis zum letzten Blutstropfen" um die Hauptstadt zu kämpfen.

Sonja Zekri, Kairo

Die libyschen Rebellen setzen zum entscheidenden Angriff auf Tripolis an. In der Hauptstadt kam es in der Nacht zu Sonntag zu schweren Kämpfen, offenbar sogar in der Nähe von Bab al-Asisija, der Festung von Machthaber Muammar al-Gaddafi. Am Sonntagabend erreichten die Aufständischen von Westen her Tripolis, ohne auf Widerstand zu stoßen. Ihr Konvoi wurde von Zivilisten bejubelt.

Libyan rebel fighters duck down from incoming fire as they advance through the town of Maia, 25 kms (15 miles) from Tripoli

Noch 25 Kilometer bis nach Tripolis: Libysche Rebellen rücken auf die Hauptstadt vor.

(Foto: REUTERS)

Einer ihrer Militärchefs sagte in Bengasi, Tripolis werde schon an diesem Montag unter der Kontrolle der Rebellen sein. Ziel der Rebellen war, sich rasch mit den Kräften zu verbinden, die in Tripolis schon gegen Gaddafi kämpfen. Vor allem in Tadschura, einem Ort im Osten der Hauptstadt, und im Stadtviertel Suk al-Gomaa lieferten sich Aufständische und Regierungstruppen am Wochenende Gefechte. Beide Orte gelten als traditionell Gaddafi-feindlich und waren für dessen Anhänger seit Wochen kaum noch zugänglich.

Am Sonntag demonstrierten hier zum ersten Mal seit Niederschlagung des Aufstands in Tripolis vor einem halben Jahr Tausende Libyer gegen Gaddafi, obwohl die Regierung Scharfschützen auf den Dächern positionierte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in einem Interview, es wäre gut, wenn Gaddafi "möglichst schnell aufgibt, um Blutvergießen zu vermeiden". Eine Sprecherin der Nato sagte in Brüssel, Gaddafis Regierung falle in sich zusammen. "Was wir heute abend sehen, ist das Zerbröckeln des Regimes."

Die Nato hatte zuletzt mehr Angriffe auf Tripolis geflogen und nach eigenen Angaben Waffenlager, Transporter für Boden-Luft-Raketen, Radaranlagen, Militärfahrzeuge und Raketenwerfer zerstört.

Nach Spekulationen über seine Flucht aus der Hauptstadt meldete sich Gaddafi am Abend im Staatsfernsehen zu Wort und rief die Libyer dazu auf, die Hauptstadt bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Der Diktator wandte sich in einer Audio-Botschaft an die Menschen; selbst war er nicht zu sehen. Wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete, versicherte Gaddafi, er sei noch in Tripolis und seine Truppen würden niemals aufgeben. "Wir werden den Sieg erringen", rief er und beschwor seine Anhänger, von überall her in die Hauptstadt zu kommen und bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen.

Verwirrung um Aufenthaltsort Gaddafis

Zuvor hatte es Spekulationen gegeben, der bedrängte Machthaber habe die Hauptstadt bereits in Richtung algerische Grenze verlassen. Aus gut informierten Kreisen in Tripolis verlautete, er und seine Familie würden vom Al-Orban-Stamm beschützt.

Verschiedene Länder versuchen, Ausländer aus Tripolis zu bringen. Ein von Polen gechartertes Schiff wurde jedoch vor Tripolis beschossen. Der Rettungsversuch musste abgebrochen werden. Tripolis ist seit Tagen fast völlig abgeschnitten, seit die Aufständischen Sawija im Westen der Hauptstadt eingenommen und damit die Nachschubroute aus Tunesien unterbrochen haben. Banken haben kein Bargeld mehr, Gehälter für staatliche Angestellte werden nicht gezahlt, heißt es. Seit Wochen gibt es kaum noch Benzin in der Hauptstadt.

Tunesische Agenturen berichten, der libysche Ölminister Omran Abukraa sei von einer Geschäftsreise nach Tunesien nicht zurückgekehrt - ein Hinweis auf einen weiteren hochrangigen Überläufer, nachdem sich Gaddafis ehemaliger Stellvertreter Abdel Salam Dschallud und ein hochrangiger Sicherheitsbeamter abgesetzt hatten.

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