Schweiz:Wirtschaft fürchtet Volksbegehren

Eine Initiative könnte den Druck auf Konzerne erhöhen, Verantwortung für ihre Aktivitäten im Ausland zu übernehmen.

Von Christoph Lenz und Michael Soukup, Bern

Besorgt waren hochrangige Vertreter der Schweizer Wirtschaft schon länger. Seit dieser Woche und der Veröffentlichung der Paradise Papers greift in den Konzernen aber Angst um sich - die Angst vor der sogenannten Konzernverantwortungsinitiative. Das ist ein 2015 von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften lanciertes Volksbegehren. Es will Schweizer Firmen verpflichten, die Menschenrechte und den Umweltschutz über die ganze Wertschöpfungskette im In- und Ausland einzuhalten. Strengen sich die Unternehmen nicht genügend an, drohen Klagen und harte Strafen. Nach Ansicht von Schweizer Beobachtern und den Resultaten einer aktuellen Meinungsumfrage zufolge stehen die Unternehmen vor einem Abstimmungskampf. Die Initiative könnte zum Volksentscheid über Glencore und andere Rohstoffkonzerne werden. Viele Firmen, die international Rohstoffe abbauen und handeln, haben sich in der Schweiz angesiedelt. Oft sind sie in Entwicklungsländern in problematische Geschäfte verstrickt. Mehrere von ihnen stehen in der Kritik, ihre Verantwortung gegenüber Menschen und Umwelt nicht genügend wahrzunehmen. Vom Volksbegehren betroffen wäre aber die gesamte Wirtschaft.

Die Politik bekommt auch Druck von ungewohnter Seite. Vergangene Woche empfahl der Chemie- und Pharmaverband Scienceindustries, dass sich "die Politik einen Gegenvorschlag überlegen soll". Dieser müsse weniger technisch sein. Zudem gelte es, Klagemöglichkeiten für Geschädigte in der Schweiz zu vermeiden. Dem Verband gehören unter anderem der Nahrungsmittelkonzern Nestlé und das Pharmaunternehmen Novartis an, außerdem die Ems-Chemie-Gruppe. Deren Chefin ist die SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, Tochter des nationalkonservativen Unternehmers Christoph Blocher.

Auch bei den Schweizer Christdemokraten läuft nun hinter den Kulissen eine intensive Debatte um einen eigenen Vorschlag. Nationalrat Stefan Müller-Altermatt, der zu dem Thema bereits diverse Gespräche innerhalb der Partei, aber auch mit Experten und anderen Organisationen geführt hat, sagt, es sei klar, dass etwas gegen das Reputationsrisiko von Schweizer Unternehmen getan werden müsse: "Dies hat angesichts der Paradise Papers an weiterer Dringlichkeit gewonnen."

Eine Konsequenz aus den Paradise Papers hat bereits die frühere Bundesrätin Ruth Metzler gezogen. Sie erklärte ihren sofortigen Rücktritt aus dem Beirat der Quantum Group - der Firma des schweizerisch-angolanischen Geschäftsmanns Jean-Claude Bastos, die den Staatsfonds von Angola verwaltet. Die Auswertung der Paradise Papers hatte gezeigt, dass Bastos von staatlichem Ölgeld des südwestafrikanischen Landes profitiert. Er erhält sehr hohe Managementgebühren, die ihm erlauben, sich jährliche Dividenden in zweistelliger Millionenhöhe auszuzahlen. Zudem lässt er den Staatsfonds in seine eigenen Projekte investieren. Bastos weist die aus seiner Sicht "falschen Anschuldigungen" zurück; alle Geschäfte seien legal. Alt-Bundesrätin Metzler sagte, das für sie "erst jetzt abschätzbare Geschäftsfeld", in das sie sich da begeben hatte, sei nicht länger vereinbar mit ihren Kriterien für Mandate.

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