Schweiz:Versuch einer Quadratur des Kreises

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Auf ihren Plakaten warnten die Gegner der Einwanderungsbegrenzung schon während der Abstimmung 2014 vor Problemen mit der EU - vergeblich.

(Foto: Michael Buholzer/AFP)

Bis 2017 muss die Schweiz die Zuwanderung begrenzen, so will es ein Volksentscheid. Doch der widerspricht den Verträgen mit der EU.

Von Charlotte Theile, Zürich

Die Politiker der Schweiz erleben im Moment etwas, was sie nicht gewöhnt sind: Zeitdruck. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Bürger mit knapper Mehrheit für eine Begrenzung der Zuwanderung stimmten. Bis Februar 2017 muss das als Masseneinwanderungsinitiative bekannt gewordene Volksbegehren umgesetzt sein, so will es die Verfassung. Doch die beschlossene Zuwanderungsbegrenzung steht im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit, der das Land in den Verträgen mit der EU zugestimmt hat. Eine Lösung dieses Dilemmas käme der "Quadratur des Kreises" nahe, hieß es nach der Annahme im Jahr 2014. Eine ausweglose Situation also, die in den letzten Monaten noch etwas aussichtsloser geworden ist: Nachdem nun auch die Briten mit einem Volksentscheid zu kämpfen haben, der eine komplette Neuordnung der Verträge mit der Europäischen Union zur Folge hat, droht die Schweiz für Brüssel zum Präzedenzfall zu werden. Lässt man hier Ausnahmen in der Personenfreizügigkeit zu, werden sich die Briten - und vielleicht auch weitere Nationen - das zum Beispiel nehmen.

Die Strategie der Schweiz, mit Geduld und diplomatischem Geschick maßgeschneiderte Lösungen auszuhandeln, scheint dieses Mal nicht aufzugehen. Seit Mittwoch nun tagt die Staatspolitische Kommission des Nationalrats. Und obgleich die Politiker noch immer von einem "klassischen Normenkonflikt" und kaum lösbaren Widersprüchen sprechen, liegen inzwischen doch ein paar Lösungsansätze auf dem Tisch. Vielversprechend ist vor allem das als Inländervorrang bekannt gewordene Genfer Modell. Es funktioniert folgendermaßen: Wenn in Verwaltung, Universität, im Krankenhaus oder bei Unternehmen, die Geld vom Staat erhalten, eine Stelle frei wird, vermittelt das Arbeitsamt arbeitslose Kandidaten aus dem Inland. Sie haben das Recht auf ein Bewerbungsgespräch. Geht die Stelle später an einen ausländischen Bewerber, muss das Unternehmen seine Entscheidung begründen, der Kanton kann sie untersagen. In einer der jetzt diskutierten Weiterentwicklungen des Modells müssen alle Unternehmen ihre offenen Stellen dem Arbeitsamt melden - oder der Einfluss der Kantone soll davon abhängen, wie Zuwanderung aus der EU und Arbeitslosigkeit regional verteilt sind. Tatsächlich ist der Schweizer Arbeitsmarkt ein Sonderfall: Mit hohen Löhnen und hohem Lebensstandard ist das Land für Arbeitnehmer aus dem Ausland attraktiv. Gleichzeitig gilt in der Schweiz prinzipiell Kündigungsfreiheit - in der Praxis führt das oft dazu, dass ältere Arbeitnehmer mit hohen Lohnansprüchen und teurer Altersvorsorge entlassen und durch junge Arbeitnehmer aus Deutschland, Frankreich oder Italien ersetzt werden. Das beklagen nicht nur rechte Parteien des Landes. Ob die EU einen Inländervorrang akzeptieren würde, ist ungewiss. Das Modell des Kantons Genf stößt in der EU-Vertretung in Bern auf wenig Gegenliebe.

Die Zuwanderung in die Schweiz ist zuletzt ohnehin zurückgegangen: Wanderten 2014 noch netto 79 000 Ausländer ein, waren es 2015 nur mehr 71 500. Im Jahr 2016 setzte sich der Trend fort, besonders die Zahl der zugewanderten EU-Bürger sinkt.

Für die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP), die die Initiative 2014 gewonnen hat, ist der Inländervorrang dennoch eine zu schwache Maßnahme. Viele Exponenten der Partei fordern strikte Höchstzahlen - wohl wissend, dass solch strikte Regelungen in Brüssel keine Chance haben und zur Kündigung aller Verträge führen könnten. Davon wären auch Handel, Verkehr und Wissenschaft betroffen. Und weil sich die anderen Parteien wohl auf einen Inländervorrang einigen können, schwenkt auch die SVP langsam um: Chef-Stratege Christoph Blocher hatte vergangene Woche in einem Radio-Interview erklärt, seine Partei würde sich dem Vorschlag nicht widersetzen. Er halte eine Regelung nach Berufsgruppen für sinnvoll: In der Pharma- und Chemiebranche bestehe das Bedürfnis nach gut ausgebildeten Arbeitskräften aus dem Ausland. Für diese Unternehmen müsse man die Kontingente lockern. Seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher leitet die Ems Chemie im Kanton Graubünden. Falls der Inländervorrang nichts bringe, könne er sich aber auch vorstellen, eine Initiative zur Kündigung der bilateralen Verträge mit der EU anzustreben, sagte Blocher.

Ob eine solche Initiative Erfolg hätte, ist zweifelhaft. Nach aktuellen Umfragen ist eine Mehrheit der Schweizer dafür, die Zusammenarbeit mit Brüssel auf Basis der bestehenden Verträge fortzuführen. Für eine wortgetreue Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, für die einst 50,3 Prozent der Stimmberechtigten votierten, waren nur noch 30 Prozent der Befragten. Viele SVP-Politiker sind daher bereit, es mit dem Inländervorrang zu versuchen. Falls dieser nicht den gewünschten Effekt auf die Zuwanderung habe, könne man ja immer noch weitersehen. Vielleicht seien die Vorzeichen in Brüssel in ein paar Jahren günstiger.

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