Schweiz:Quoten-Querelen

Didier Burkhalter tritt zurück

Noch ist der Platz des Schweizer Bundesrats Didier Burkhalter im Medienzentrum des Bundeshauses in Bern leer. Drei Kandidaten kämpfen um die Nachfolge.

(Foto: Anthony Anex/dpa)

Jung, Tessiner oder eine Frau? Die Kür des Außenministers ist vor allem eine Proporzfrage. Drei Anwärter kämpfen um die Nachfolge.

Von Charlotte Theile, Zürich

In den nächsten Wochen steht in der Schweiz eine politische Richtungsentscheidung an. Es ist allerdings weder so, dass auf nationaler Ebene gewählt wird, noch wird die Schweizer Regierung, der Bundesrat, bald großartig anders aussehen. Die Sache ist kleinräumiger: Außenminister Didier Burkhalter (FDP) stellt sein Amt im November zur Verfügung, ein Partei-Kollege folgt ihm nach.

Schon wenige Tage nachdem Burkhalter im Juni seinen Rücktritt angekündigt hatte, schien klar zu sein: Sein Nachfolger muss aus dem italienischsprachigen Tessin stammen - der Kanton an der Grenze zu Italien hat seit fast zwanzig Jahren kein Regierungsmitglied mehr gestellt. Für das fein ausbalancierte Gleichgewicht des Landes kann das nicht gut sein. Auch die Person stand schnell fest: Ignazio Cassis, ein Arzt aus der Nähe von Lugano, seit zwei Jahren Fraktionschef der FDP. Er gilt als Favorit. Doch Cassis ist umstritten. Als einflussreicher Lobbyist der Krankenkassen trägt er den Übernamen "Kranken-Cassis", was ihn offensichtlich ärgert. Die Krankenkassen, die derzeit ihre Beiträge massiv erhöhen, seien "keine Terrorgruppen", antwortete Cassis schon mal genervt in einem Interview. Was sonst noch gegen Cassis spricht? Sein Geschlecht. Nur zwei der sieben Bundesratsmitglieder sind derzeit weiblich. Und Doris Leuthard, die in diesem Jahr als Bundespräsidentin der Schweiz fungiert, hat angekündigt, nicht mehr zu verlängern.

Cassis' schärfste Konkurrenz ist folgerichtig eine Frau. Isabelle Moret aus der Westschweiz, die politisch als etwas linker gilt als der konservative Tessiner. Sie hat sich in der Familienpolitik und Altersvorsorge den Ruf einer offenen, abwägenden Politikerin erworben. Wie gefährlich ihm die Juristin werden kann, lässt sich wohl am besten an einer Aussage ablesen, zu der sich Cassis vor einigen Wochen verstieg. Der Quoten-Tessiner sagte, er wäre "fast beleidigt" als Quotenfrau in das höchste Gremium des Landes gewählt zu werden.

Während die Schweizer versuchen, sich ein Bild von den beiden Kandidaten zu machen, die Chancen haben, in einigen Wochen das Außenministerium zu führen, hat sich noch ein dritter in Stellung gebracht: Der Genfer Staatsrat Pierre Maudet. Neben seiner Jugend - Maudet ist 39 Jahre alt - führt er vor allem wirtschaftliche Argumente an. Maudet will die Beziehungen zu Brüssel über ökonomische Zielsetzungen regeln. Und er steht zu seinem Quoten-Bonus: Es könne dem Bundesrat nur gut tun, wenn die unter 40-Jährigen dort eine Vertretung fänden, sagt Maudet. Die politischen Beobachter sind von Quoten eher genervt. In der NZZ am Sonntag forderte ein Wissenschaftler eine Quote für deutschsprachige Männer. Vielleicht könne man damit dem Mythos entgegenwirken, dass diese nur aufgrund ihrer Kompetenz gewählt würden.

Anfang September entscheidet die wirtschaftsliberale FDP, wen sie ins Rennen schickt. Beobachter gehen von einem Zweierticket aus, Pierre Maudet dürfte nicht darauf stehen. Dann müssen sich die Parlamentarier entscheiden, ob sie einen regionalen oder einen Geschlechterproporz wichtiger finden.

Doch um diese öffentlich diskutierte Frage geht es wohl nur in zweiter Linie: Bei konservativen Politikern kommt der eher rechte Ignazio Cassis gut an, Sozialdemokraten und Grüne wollen Moret wählen. Denn obwohl alle Kandidaten aus der FDP kommen, können diese Nuancen große Wirkung haben. Der scheidende Außenminister Didier Burkhalter gilt als europafreundlich und eher gesellschaftsliberal als konservativ. Immer wieder stimmte er in den vergangenen Jahren mit den linken Parteien. Die Mehrheit, die SVP und FDP rechts der Mitte haben, kam nur selten zum Tragen. Von Isabelle Moret erwarten viele eine ähnliche Rolle - während Ignazio Cassis mit den Rechtskonservativen stimmen dürfte.

Doch nicht nur politische, auch persönliche Erwägungen spielen eine Rolle: Karrierebewusste Tessiner tun gut daran, Moret zu wählen. Frauen, die in den Bundesrat streben, verbessern ihre Situation, wenn Cassis gewinnt. Theoretisch steht es dem Parlament auch frei, sich für jemanden zu entscheiden, den die Partei nicht vorgeschlagen hat - so geschehen zum Beispiel 2007, als der SVP-Politiker Christoph Blocher nach nur vier Jahren im Bundesrat wieder abgewählt wurde. Seine Nachfolgerin, Eveline Widmer-Schlumpf, war eine bis dahin unbekannte Finanzdirektorin aus dem Kanton Graubünden, ebenfalls Mitglied der SVP. Gewählt aber wurde sie von Parteien links der SVP, die um jeden Preis eine Alternative zu Hardliner Christoph Blocher suchten.

Mit einem solchen Coup rechnet dieses Mal niemand - dennoch bleibt das Rennen bis wenige Minuten vor der Abstimmung offen. Die Entscheidung über die Nachfolge Burkhalters fällt am 20. September in Bern.

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