Schweiz:Neue Nüchternheit

Unternehmensteuerreform und ein Votum gegen Olympia-Kommerz - in der Schweiz grassiert die neue Sachlichkeit. Das setzt ein Signal gegen die Populisten. Gerade die Schweizerische Volkspartei sieht sich plötzlich bei den Verlierern. Hat da ein Volk seine Lehren gezogen?

Von Charlotte Theile

Eine Volksabstimmung zu verlieren kann ziemlich brutal sein. Das merken sowohl der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer als auch die politische Elite des Kantons Graubünden. Beide arbeiten seit Jahren aufwendige Konzepte aus: der Finanzminister eine international anerkannte und wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung, die Bündner eine umweltverträgliche Bewerbung für die olympischen Winterspiele 2026.

Sowohl der Finanzminister als auch die Verantwortlichen in Graubünden mussten nun einige ihrer Pläne in den Papierkorb verschieben. Sie haben keine Chance auf Verwirklichung mehr, das Volk stimmte mit jeweils deutlichen 60 Prozent gegen die Vorlagen. In beiden Fällen kam das Votum eher überraschend: Schweizer stimmen oft so, wie sich das Kanton und Bund wünschen. Außerdem gehören sowohl niedrige Unternehmensteuern als auch der Wintersport zur nationalen Identität.

Für wirtschaftsliberale Blätter wie die Financial Times steckt ein bedenklicher Trend dahinter: Die Absage an die Steuerreform lasse vermuten, dass "die globale Anti-Establishment-Haltung" die Schweiz erreicht habe. Ein Blick auf eine andere kontroverse Abstimmung zeigt: Die Deutung führt in die Irre. Eine klare Mehrheit der Schweizer hieß nämlich auch im Einklang mit dem Establishment im Bundesrat Menschen willkommen, die seit Generationen im Land wohnen, aber keinen Pass haben. Eine Entscheidung, die sich wohltuend von einer migrationskritischen bis fremdenfeindlichen Haltung abhebt, die in vielen Ländern zu sehen ist - und mit der auch in der Schweiz seit Jahrzehnten Wahlen gewonnen werden.

Bei Volksabstimmungen verlieren die Populisten - ein Lehrstück

Nein, Volk und Elite lassen sich in der Schweiz offenbar nicht mehr so leicht gegeneinander ausspielen. Diesen Gegensatz nutzt sonst die rechte Schweizer Volkspartei (SVP) gerne aus. Jetzt stand sie gleich zweimal auf der Seite der Verlierer - auch weil sie ihren Anhängern in unteren Einkommensklassen schwer vermitteln konnte, warum sie zugunsten von internationalen Holding-Gesellschaften höhere Steuern zahlen sollen.

Immer wieder setzt die Schweiz politische Trends. Sollte es dieses Mal auch so sein - und dafür spricht, dass die Populisten der SVP nun die dritte große Niederlage in einem Jahr erlitten haben -, dann sind die Voten mitnichten ein Zeichen für eine Anti-Establishment-Haltung. Viel eher lässt sich das Gegenteil belegen: Die Schweizer haben genug von der überzeichneten Politik der SVP und deren schrillen Kampagnen. Wer mit Burkas vor den Enkeln italienischer Einwanderer warnt, darf sich nicht wundern, wenn er an der Urne abgestraft wird.

Selbst das Nein zur Steuerreform ist kein plumpes Protest-Signal. Es drückt ein Unbehagen aus, an dem in diesen Tagen keiner vorbeikommt. Immer mehr Menschen in der Schweiz haben genug von einer Politik, die sich von internationalen Unternehmen treiben lässt und darauf setzt, dass sich der Steuerwettbewerb für die Bürger auszahlen wird. Die Schweizer, die von dieser Politik lange profitiert haben, scheinen die Gleichung zu hinterfragen - und reagieren allergisch auf Schönfärberei: Nach der letzten Abstimmung zur Unternehmensbesteuerung war der Bundesrat im Nachhinein wegen irreführender Zahlen gerügt worden. Daran erinnerten sich viele. Ähnliches konnte man in Graubünden beobachten: Bis in die Bergdörfer hat sich herumgesprochen, wie bei olympischen Spielen zuletzt die Kosten explodiert sind.

Die Schweiz sendet damit ein ganz neues Signal aus: Offenbar steigt die Bereitschaft, sich kritisch und hämefrei mit Politik auseinanderzusetzen. Davon können sowohl die etablierten Kräfte als auch deren Gegner profitieren. Für Populisten allerdings wird es ungemütlich.

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