Schweiz:In europäischer Umarmung

Gerade war der Alpenstaat noch leuchtendes Vorbild für EU-Kritiker, jetzt avanciert er zum europäischen Musterland. Es läuft wieder ziemlich rund zwischen Brüssel und Bern.

Von Charlotte Theile

Es war nur ein kurzer Besuch, den Jean-Claude Juncker am Donnerstag in Bern absolvierte, Fotos, Pressekonferenz, Mittagessen. Für die Schweiz aber könnte es der Beginn einer neuen Ära sein. Jahrelang war zwischen Bern und Brüssel nichts vorangegangen, doch auf einmal ist die Stimmung gelöst. Die Schweiz hat die vor fast vier Jahren beschlossene Zuwanderungsinitiative so umgesetzt, dass die europäische Personenfreizügigkeit nicht gefährdet ist. Damit ist nicht nur der größte Streitpunkt zwischen Bern und Brüssel vom Tisch. Die Schweiz, gerade noch Vorbild für alle möglichen abtrünnigen Staaten Europas, ist plötzlich ein Land, mit dem sich EU-Kommissionspräsident Juncker gern zeigt.

Er sei mit Freude angereist, ließ er die Gastgeber wissen. Er lobte das Wetter, sprach von "großer Sympathie" und einem "Freundschaftsvertrag", den man in den nächsten Monaten unterzeichnen werde. Seht her, schien Juncker den EU-Skeptikern sagen zu wollen: So geht es auch!

Die Schweiz ist wieder einmal Musterland, dieses Mal aber nicht für Staaten, die sich von Brüssel lossagen wollen, sondern für die EU selbst. Die Botschaft, die von dem Treffen in Bern ausgeht, ist klar: Wer die Regeln der Union nicht infrage stellt, kann mit Entgegenkommen rechnen. Vor allem, wenn das Land bereit ist, einen Beitrag zu leisten. Wie die Schweiz, die gerade ihre Zahlungen nach Osteuropa für weitere zehn Jahre verlängert hat.

Im Gegenzug konnte Bundespräsidentin Doris Leuthard ihren Landsleuten ein paar handfeste Ergebnisse präsentieren. Die Schweiz kann jetzt in den Handel mit Treibhausgasemissionen einsteigen. Auch in anderen Feldern, etwa in der Infrastruktur und auf dem Finanzmarkt, gibt es Fortschritte. Für die Schweizer Wirtschaft sind das gute Nachrichten.

Alles bewege sich nun in die richtige Richtung, sagte Juncker

Noch wichtiger aber ist das Signal aus Bern an die EU. Mit der Schweiz, diesem ewigen Sorgenkind Europas, gibt es nun Vereinbarungen, die auch für Firmen, Forscher und Beamte in anderen Ländern attraktiv sein dürften. Kein Wunder, dass es Juncker bei seinem Besuch nicht schwerfiel, die Souveränität des kleinen Landes zu unterstreichen. Er mische sich nicht in innenpolitische Fragen ein, sagte der Kommissionspräsident. Die Schweizer, seit jeher auf ihre Eigenständigkeit bedacht, hören so etwas gerne.

Juncker sprach von der "richtigen Richtung", in die sich nun alles bewege. Damit meinte er längst nicht nur die Schweiz. Wirtschaftlich gehe es den Ländern der Union heute deutlich besser als noch vor einem Jahr. Das Wachstum sei nicht nur positiv für Europas Arbeitnehmer, sondern auch "besser als das der USA", wie er betonte. Auch für die eher EU-kritischen Schweizer Medien hatte Juncker einen Seitenhieb übrig. Er "tue es sich jeden Tag an", diese Publikationen zu lesen, und sei immer wieder überrascht. Er habe nie verstanden, wie man die Dinge so kompliziert machen könne, sagte der EU-Kommissionspräsident. Anders gesagt: Die Schweizer sähen Probleme, wo keine seien.

Jetzt, wo es zwischen Bern und Brüssel wieder rundzulaufen scheint, ist für ihn alles ganz einfach. Ganz so, als hätte es die vergangenen Jahre nie gegeben, in denen die Schweiz zum leuchtenden Vorbild von Rechtskonservativen und EU-Kritikern avanciert war. Die Schweiz sei zwar nicht Mitglied der EU, sagte Juncker jetzt, aber "sie gehört doch zu Europa".

Bundespräsidentin Leuthard lauschte seinen Ausführungen mit unbewegtem Gesicht. Sicher ist: Die Rechtskonservativen, die in der Schweiz die stärkste Partei stellen, werden sich diese Umarmungsstrategie nicht lange gefallen lassen. Innenpolitisch ist Brüssel nach wie vor nicht gerade populär. Die nächste Anti-EU-Abstimmung wird für 2018 erwartet.

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