Schweiz:Im Schweizer Kanton Wallis gelten eigene Regeln

Traditional Swiss wooden houses chalets in the Alpine village Grimentz Valais Wallis Switzerla

Typisch trutzige Holzhäuser im alten Teil des Walliser Bergdorfs Grimentz

(Foto: imago/alimdi)

Die Walliser gelten den "Üsserschwiizern" als Sonderlinge. Sie wurden als Letzte Teil der Eidgenossenschaft, bis heute haben sie der Verfassung nicht zugestimmt. Wahlkampf macht man hier am besten mit Wölfen.

Von Charlotte Theile, Sitten

Fragt man Schweizer nach dem Kanton Wallis, bekommt man ziemlich sicher eine Räuberpistole zu hören. Zum Beispiel jene von Christian Varone, dem Polizeichef des kleinen Kantons. Varone verbrachte im Sommer 2012 ein paar Tage in türkischer Untersuchungshaft. Der Jurist hatte in der Nähe einer archäologischen Fundstätte einen Stein aufgesammelt, als Erinnerungsstück für daheim. Beim Flughafenzoll war man wenig amüsiert, 2013 wurde Varone von der türkischen Justiz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Ganz anders die Reaktion daheim im Wallis: Ein Urlaubsmissgeschick, fand man dort - und beließ Varone im Amt. "Mehr muss man über diesen Kanton eigentlich nicht wissen", sagt ein Schweizer Journalist achselzuckend über sein Berichtsgebiet.

Das Wallis hat in der Schweiz einen Sonderstatus. Die gut 300 000 Einwohner, die zum Teil französisch und zum Teil einen selbst für Deutschschweizer schwer verständlichen, höchstalemannischen Dialekt sprechen, sind dem Rest des Landes suspekt. Eine gewaltige Bergkette versperrt den Weg nach draußen, drinnen lernte man, sich selbst zu helfen. Das Wallis war Anfang des 19. Jahrhunderts das letzte Gebiet, das der Eidgenossenschaft beitrat - und bis heute haben die Walliser der Schweizer Verfassung nicht zugestimmt. Alle außerhalb der Kantonsgrenzen werden als "Üsserschwiizer" (Außerschweizer) oder gleich "Grüezini" bezeichnet. Und draußen, im Rest der Schweiz? Dort hat man akzeptiert, dass im Wallis andere Regeln gelten. Dass es immer Geschichten wie jene vom Polizeichef gibt - oder auch: die der Wölfe.

Wölfe symbolisieren alles, was die Walliser allgemein stört

Jetzt, wo sich der Sommer ankündigt, sprechen wieder alle über die Tiere, man kann mit ihnen im Wallis so zuverlässig Politik machen wie in den USA mit Waffengesetzen oder in der Außerschweiz mit der Einwanderung von Ausländern. Laura Schmid, die für die Umweltorganisation WWF das deutschsprachige Oberwallis betreut, kommt selbst aus dem Kanton und kann ihre Landsleute erst einmal gut verstehen: Nicht wenige halten Schafherden, zehn bis 15 Tiere, nicht als Beruf, sondern als Hobby. So kleine Herden mit Hunden oder Zäunen vor dem Wolf zu schützen, ist aufwendig.

Zudem symbolisieren die Wölfe alles, was die Walliser, so ganz allgemein, stört: Die Rückkehr der einst ausgerotteten Tiere wird seit Ende der 1990er-Jahre durch die zuständigen Stellen in Bern unterstützt, Grundlage sind internationale Verträge. "Besonders im Oberwallis, wo verhältnismäßig viele Menschen seit Generationen Schafe halten, empfindet man das als Einmischung von außen, als Fremdbestimmung", sagt Schmid. Ihre Argumentation, der Wolf leiste einen Beitrag zu einem gesunden, ausgeglichenen Ökosystem, stößt hier auf taube Ohren.

Ein politisches Duell: Der Verlierer droht dem Sieger vor Kameras

Dass eine Mehrheit der Schweizer für den Wolf ist, erklärt man sich im Wallis damit, dass die Städter romantisierte Vorstellungen von Natur haben und das echte Leben in den Bergen nicht kennen. Fast alle Walliser Politiker setzen sich für den Abschuss der Tiere ein, besonders die regierende, wertkonservative CVP hat immer mal wieder mit Plakaten wie "Schafe statt Wölfe" für sich geworben oder kaum verhohlen zur Wilderei aufgerufen: "Sehen, schießen, schaufeln, schweigen", sagte ein CVP-Politiker vor einigen Jahren in die Kameras des lokalen Fernsehsenders. Dass immer wieder Wölfe voller Schrotkugeln im Wald oder in der Rhone gefunden werden, erstaunt da wenig. Wilderer haben hier kaum etwas zu befürchten.

Auch was das politische Personal angeht, leistet sich das Wallis einige Exoten. Der Erfolg von Oskar Freysinger, derzeit noch Mitglied der fünfköpfigen Kantonsregierung und verantwortlich für das Ressort Bildung und Justiz, ist außerhalb des Kantons schwer zu erklären. Der Schriftsteller und Liedermacher Freysinger politisiert am rechten Rand der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP. Sowohl die Reichskriegsflagge in seinem Büro als auch seine Besuche bei Rechtsextremen in ganz Europa haben ihm nicht viel anhaben können. Zu Fall gebracht hat den 56-jährigen Gymnasiallehrer etwas anderes: Er hat die Christdemokraten der CVP, die den katholischen Kanton seit Generationen mehrheitlich regieren, angegriffen.

Christophe Darbellay, lange Jahre Präsident der nationalen CVP und ebenfalls Walliser, hat zwar bei den Staatsratswahlen im März einen der fünf Regierungssitze erlangt. So richtig genießen kann er seinen Triumph aber nicht: Bei der Abstimmung wurden einige Dutzend Wahlzettel entwendet, die SVP hat Beschwerde wegen Wahlbetrugs eingereicht. Freysinger, der vor vier Jahren noch das beste Ergebnis erzielt hatte, nennt seine Heimat jetzt "Bananenrepublik". Ob ihm das Verfahren um die etwa 70 gefälschten Wahllisten helfen wird, ist fraglich: Freysinger fehlten ganze 2000 Stimmen, um in den Staatsrat zu kommen. Da ihm in Zukunft 80 000 Franken (etwa 75 000 Euro) jährliche Rente zustehen, könnte er eigentlich befreit durchatmen. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Darbellay rechnet damit, dass der abgewählte Freysinger ihm die Geschäfte im Mai nur unwillig übergeben wird - dabei hatten Freysinger und er im Wahlkampf einen Nicht-Angriffs-Pakt vereinbart, man rechnete ja damit, weiter kooperieren zu müssen. Doch dieser Deal hielt nicht: Das Wallis erlebte einen der schmutzigsten Wahlkämpfe aller Zeiten, Darbellays uneheliches Kind spielte eine Hauptrolle.

Es geht die Legende, der Wolf sei kein heimisches Tier im Wallis

Am Wahlabend des 5. März schritt Freysinger, begleitet von seinen drei Kindern, durch die regnerische Altstadt des Hauptortes Sitten. Er gab ein Interview nach dem anderen, zunehmend gereizt reagierte er auf die Fragen der Reporter nach seinen zum Teil offen rechtsextremen "externen Beratern", von denen sich einer sogar mit der Waffen-SS verglichen hatte. Als er schließlich auf Darbellay traf, eskalierte die Situation fast: Freysinger trat dicht an Darbellay heran und zischte seinem Gegenüber etwas zu - so leise, dass nur sein französischsprachiger Gegner verstehen konnte, was er sagte. Die Kameras fingen exzellente Bilder ein: Es sah aus, als drohe Freysinger dem deutlich größeren Darbellay, nie wieder auch nur in die Nähe seines Hauses zu kommen. Heute sagt Darbellay, es tue ihm "menschlich leid" für seinen Konkurrenten. Dass die Wahl wiederholt werden muss, glaubt er nicht. 70 Wahlzettel, das sei zwar ärgerlich, aber na ja.

Im Rest der Schweiz würde man wohl sagen: typisch Wallis. Inzwischen ist die Aufregung um die Wahl und den Betrug vorbei. Dafür werden die Walliser bald über eine Initiative abstimmen, die eins der liebsten Gerüchte der Wolfsgegner aufgreift. Sie heißt: "Für einen Kanton Wallis ohne Großraubtiere". Darin heißt es, Einfuhr und Freilassen von Raubtieren wie Luchs, Bär oder Wolf solle verboten werden. Die Initiative der CVP spielt damit auf eine alte Legende an: Dass die Wölfe nicht selbst den Weg in den Kanton gefunden hätten, sondern dass das böse Tier von außen eingeschleppt worden sei.

WWF-Geschäftsführerin Laura Schmid hält dem einen Satz entgegen, der nicht nur für die Tiere, sondern für den ganzen Kanton gelten könnte: "Es wäre viel gewonnen, wenn die Menschen verstehen würden, dass der Wolf ein heimisches Tier ist."

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