Schweiz:Hundert Tage für ein Asylverfahren

Dübendorf 09 04 2014 Gripen Notwendigkeit oder Luxus Polit Streitgespräch Balthasar Glättli l

Der Grünen-Abgeordnete Balthasar Glättli ist im Nationalrat auch für Ausländerpolitik zuständig. Er überzeugte viele Schweizer mit seinem Eintreten für die Asylrechts-Reform.

(Foto: imago/EQ Images)

Beschleunigte Bearbeitung von Asylanträgen: Eine Reform in der Schweiz wird in ganz Europa beachtet.

Von Charlotte Theile, Zürich

Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ist eigentlich Erfolge gewöhnt. Erst bei der Nationalratswahl im Herbst 2015 wurde sie wieder einmal stärkste Partei der Schweiz. Seither läuft es an den Wahlurnen aber eher bescheiden: Nach dem Nein zur Durchsetzungsinitiative zur Abschiebung krimineller Ausländer Ende Februar gab es auch am Sonntag einen Misserfolg für die Partei. Eine Initiative, die dem Straßenbau mehr Steuergeld sichern sollte, scheiterte genauso wie das Referendum gegen die Asylgesetzgebung, die unter anderem eine Beschleunigung der Verfahren bringen soll. 67 Prozent der Stimmberechtigten votierten für das Gesetz. Die Niederlage kommt für die Partei nicht überraschend.

Alle Umfragen hatten eine hohe Zustimmung für die Reform vorhergesagt - und selbst die SVP, sonst bekannt für engagierten Wahlkampf, hatte kaum etwas dagegen unternommen. Schließlich handelt es sich um eine Reform, die konservative Politiker in ganz Europa beobachten. Im vergangenen Jahr hatten sich auch mehrere Politiker der bayerischen CSU auf den Weg nach Zürich gemacht, wo das neue Gesetz bereits getestet wurde. Viele von ihnen zeigten sich beeindruckt - besonders von der Geschwindigkeit, die von den Schweizern bei der Bearbeitung der Asylanträge vorgelegt wurde. Künftig soll ein Großteil der Verfahren innerhalb von 100 Tagen abgeschlossen sein, Dublin-Verfahren sollen noch maximal 140 Tage in Anspruch nehmen dürfen.

Auch die SVP hatte zuvor stets eine Beschleunigung der Asylverfahren gefordert.

CSU-Politiker informierten sich in Zürich über einen Testlauf des neuen Gesetzes

Damit die Verfahren rechtsstaatlich korrekt ablaufen, sollen Asylbewerber eine kostenlose Rechtsvertretung erhalten. Wegen dieser "Gratis-Anwälte" hatte die SVP das Referendum gegen das neue Gesetz angestrebt. Dabei kommt auch von links Kritik an den Rechtsbeiständen: Da sie einen Pauschalbetrag erhalten, seien sie daran interessiert, dass die Verfahren schnell abliefen - und würden sich im Zweifel zu schnell mit einer Abschiebung abfinden. Zudem hätten die Rechtsvertreter durch den enormen Zeitdruck des Verfahrens zu wenig Möglichkeit, auf komplizierte Fälle einzugehen.

Um die Reform logistisch möglich zu machen, will die Schweiz die Asylsuchenden in Bundeszentren unterbringen. In der Vergangenheit hatten Bürgerproteste und Unstimmigkeiten zwischen nationaler und lokaler Politik beim Bau einzelner Bundeszentren Probleme gemacht. Der Aufbau einer solchen Infrastruktur wird mit 550 Millionen Franken, etwa 500 Millionen Euro, veranschlagt. Der Bundesrat geht davon aus, diese Kosten durch kürzere Verfahren und in der Folge kürzere Aufenthalte langfristig einsparen zu können.

Die Ergebnisse des Testbetriebs in Zürich liefern dem zuständigen Staatssekretariat für Migration Argumente: Dort wurden die Asylverfahren 40 Prozent schneller durchgeführt, die Beschwerdequote sank um 33 Prozent. Selbst schwierige Fällen dauerten im Schnitt 46 - statt wie vorher 173 Tage. Dahinter steht ein koordiniertes Zusammenspiel von Dolmetschern, Behördenvertretern und Anwälten. Den kostenlosen Rechtsschutz für Flüchtlinge wertet das Staatssekretariat als "Schlüssel für die Beschleunigung". Wenn die Asylbewerber juristisch beraten würden, würde "Rechtstaatlichkeit, Effizienz, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Asylverfahrens" erhöht. Ein Problem wird auch das neue Verfahren nicht beheben können: Um Flüchtlinge zurücksenden zu können, ist die Schweiz auf die Kooperation anderer Länder angewiesen. 2015 hatte die Schweiz in mehr als 17 000 Fällen einen Dublin-Staat um Rückübernahme ersucht. Nur 2461 Personen wurden einem Dublin-Staat überstellt.

Im Zürcher Testbetrieb hatte die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Rechtsberatung der Asylbewerber unterstützt. Die Aktivisten, welche die Flüchtlingspolitik ihres Landes sonst oft kritisch sehen, lobten nun auch die Reform als "breit abgestützten Kompromiss". Die Asylbewerber würden zu Beginn des Verfahrens über den Prozess informiert und bekämen durch die schnelleren Verfahren die Möglichkeit, sich rasch zu integrieren. Balthasar Glättli, Abgeordneter der Grünen im Nationalrat, sagte einen Satz, der viele Schweizer überzeugt haben dürfte: "Als syrischer Flüchtling würde ich Ja stimmen. Als Flüchtling aus einem Land mit wenig Chancen auf Asyl würde ich Nein stimmen." Claude Longchamp, der oberste Meinungsforscher des Schweizer Fernsehens, lobte am Sonntag: "Zum ersten Mal haben wir wieder nüchtern über eine Asylfrage debattiert.

Trotz des klaren Ausgangs des Referendums wird es noch einige Zeit dauern, bis das Gesetz auch in Kraft tritt - das Staatssekretariat für Migration geht vom Jahr 2019 aus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: