Schweiz entscheidet über Maut und Mindestlohn:Volksabstimmung statt Hinterzimmer

Schweizer Volksentscheid zur Pkw-Maut

Die Schweizer dürfen unter anderem über eine Erhöhung der Pkw-Maut abstimmen.

(Foto: dpa)

Managergehälter, Betreuungsgeld, Pkw-Maut: Was Politiker in Deutschland hinter verschlossenen Türen auskungeln, entscheiden die Schweizer Bürgerinnen und Bürger kommenden Sonntag selbst. Abgestimmt wird über mehrere radikale Vorschläge - die auch die Deutschen betreffen werden.

Von Wolfgang Koydl, Zürich

Mindestlohn, Betreuungsgeld, Pkw-Maut: Sie gehören zu den Themen, die Deutschland derzeit beschäftigen und die bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin heiß debattiert werden. Auch die Schweiz diskutiert über diese Fragen, was nicht verwunderlich ist: Wohlhabende postindustrielle Gesellschaften schlagen sich meist mit den gleichen Problemen herum, egal ob sie 80 Millionen Einwohner haben oder nur acht Millionen.

Einen wesentlichen Unterschied freilich gibt es zwischen beiden Staaten: Derweil in Deutschland die Zukunft der Beschäftigungs-, Familien- und Verkehrspolitik von Parteivertretern hinter verschlossenen Türen ausgekungelt wird, befinden in der Schweiz die Bürgerinnen und Bürger selbst darüber. Am kommenden Sonntag stimmen die Eidgenossen über mehrere Vorlagen ab, die weitreichende politische und wirtschaftliche Konsequenzen haben können - auch über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus.

Radikaler Vorschlag zur Vermögensumverteilung

Die größte publizistische Aufmerksamkeit, auch im Ausland, erweckt fraglos die sogenannte 1:12-Initiative. Was nach dem Ergebnis eines Freundschaftsspieles zwischen dem FC Bayern München und einem Kreisligisten klingt, entpuppt sich als einer der radikalsten Vorschläge zur Vermögensumverteilung, die seit dem Fall des Kommunismus vor mehr als 20 Jahren irgendwo in Europa gemacht wurden. Die höchsten Gehälter in einem Unternehmen sollen nicht mehr als das Zwölffache des niedrigsten Lohnes betragen. Millionenvergütungen in den Vorstandsetagen von Banken und Großfirmen wäre damit gesetzlich ein Riegel vorgeschoben.

Angeregt wurde die Initiative von den Schweizer Jungsozialisten, die von der sozialdemokratischen Mutterpartei, den Gewerkschaften und den Grünen unterstützt werden. Die bürgerlichen Parteien sowie Arbeitgeber- und Gewerbeverbände haben für ihre Gegenkampagne sogar den Popanz drohender Planwirtschaft aus der Abstellkammer der Geschichte hervorgeholt und abgestaubt. Ihnen war ein Schrecken in die Glieder gefahren, als in frühen Umfragen Gegner und Befürworter der 1:12-Initiative in etwa gleichauf lagen. Und unvergessen ist die knappe Zweidrittel-Mehrheit, mit der die Schweizer im Frühjahr die sogenannte Abzocker-Initiative billigten. Sie legt die Höhe von Managergehältern und -Boni in die Hände der Aktionäre.

Mittlerweile hat sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht. Eine Mehrheit dürfte den radikalen Vorstoß der Jusos nun ablehnen - wegen der, wie Beobachter meinen, in der eidgenössischen Gesellschaft tief verwurzelten Abneigung gegen zu viel Staat. Denn bei einer Annahme der Initiative würden die niedrigsten und höchsten Vergütungen in privaten Unternehmen letztlich vom Gesetzgeber geregelt, und nicht von den Sozialpartnern. Für die überwiegende Mehrheit schweizerischer Konzerne, deren Lohndifferenzial ohnehin weit unter dem Verhältnis eins zu zwölf liegt, würde die Neuerung zudem nur zusätzliche Bürokratie und staatliche Kontrolle bedeuten.

Gleichstellung von Familienmodellen

Einen Schrecken erlebte das politische Establishment auch im Zusammenhang mit der Familieninitiative. Sie ist von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) lanciert worden und zielt - ähnlich wie das deutsche Betreuungsgeld - auf die Gleichstellung von Familien, die ihre Kinder zu Hause großziehen und nicht auf Kindertagesstätten angewiesen sind.

Zunächst zeichnete sich eine deutliche Mehrheit für die SVP-Initiative ab. Mittlerweile ist die Zahl der Befürworter jedoch rapide geschwunden: Immer mehr Wähler teilen die Ansicht, dass die vermeintliche Gleichstellung beider Familienmodelle in Wirklichkeit berufstätige Frauen diskriminiert. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob ein derart breit gestreutes Steuergeschenk überhaupt finanzierbar ist.

Vignette könnte teurer werden

Um Finanzen geht es auch bei der dritten Abstimmung, die auch im benachbarten Ausland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird: eine Anhebung des Preises für die Autobahn-Vignette von derzeit 40 auf 100 Franken im Jahr. Regierung und Parlament haben die Preissteigerung schon beschlossen, nun muss das Volk sie billigen - oder verwerfen.

Befürworter und Gegner halten sich in etwa die Waage, wobei deutliche regionale Unterschiede zutage treten. So lehnt eine deutliche Mehrheit der Tessiner höhere Straßenbenutzungsgebühren ab. Auch in der französischsprachigen Westschweiz hält sich die Begeisterung in Grenzen. Die Deutschschweizer andererseits wären tendenziell mit den Mehrkosten einverstanden, wenn mit dem Erlös die Infrastruktur der Kantonalstraßen und Autobahnen verbessert würde. Sollte die teure Vignette an der Stimmurne durchkommen, würde sie zum ersten Mal um eine Zwei-Monats-Plakette ergänzt, die vor allem für Transitreisende gedacht ist. Sie würde 40 Franken kosten.

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