Schweiz:Das Volk am Zug

Die Schweizer stimmen über das Gehalt ihres Bahnchefs ab. Und über die Frage, wie viel Profit Unternehmen der öffentlichen Infrastruktur wie Post und Bahn eigentlich machen dürfen.

Von Charlotte Theile

Vielleicht sind es 555 Franken, die am Ende den Unterschied machen. 3655 Franken, umgerechnet fast 3300 Euro, kostet das Abonnement, mit dem man ein Jahr in der Schweiz Zug fahren kann. 555 Franken mehr als 2010. Eine Preisentwicklung, die viele Schweizer wütend macht. Besonders, wenn sie sehen, was die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) jährlich an Gewinn ausweisen: im Schnitt 300 Millionen Franken. Bei zwei weiteren bundesnahen Betrieben ist es ähnlich: Der Kommunikations-Anbieter Swisscom "macht durch Höchsttarife von sich reden" und schreibt Milliardengewinne. Die Schweizer Post? Entfernt Briefkästen, schließt Filialen, "macht Riesengewinn".

So zumindest steht es im Abstimmungsbüchlein, dass den Schweizern vor einigen Tagen zugestellt wurde. Ein Zusammenschluss von Verbraucherschützern will die öffentliche Infrastruktur umkrempeln - und zwar radikal. Im vorgeschlagenen Gesetzestext heißt es, der Bund dürfe in der Grundversorgung nicht länger "nach Gewinn streben", keine fiskalischen Interessen mehr verfolgen. Am 5. Juni kommt die Vorlage zur Abstimmung.

Peter Salvisberg, Journalist bei der Verbraucherzeitschrift K-Tipp, hat die Initiative mit auf den Weg gebracht. Er sieht Gewinne in der Grundversorgung als unzulässige Konsumentensteuer an: "Ein Millionär zahlt gleich viel für den Zug wie ein Habenichts. Und beide subventionieren damit die Staatskasse." Ende der 1990er-Jahre wurden Post, Swisscom und SBB aus der Verwaltung ausgegliedert. Seither profitiert der Staat als Haupteigentümer von den Gewinnen, die die früheren Staatsbetriebe abwerfen.

In der Schweizer Politik konnten die Initiatoren nicht landen: Die Regierung empfiehlt den Bürgern, mit Nein zu stimmen. Im Parlament konnten die Initiatoren keinen einzigen Abgeordneten überzeugen. Eine derart einhellige Ablehnung ist selten. Man brauche die Dividende der Betriebe, heißt es aus der Politik. Zudem würde das vorgeschlagene Gesetz die Wettbewerbsfähigkeit von Swisscom, SBB und Post schwächen. Umfragen dagegen räumen den Verbraucherschützern gute Chancen ein. 58 Prozent der Schweizer planen, am 5. Juni mit Ja zu stimmen.

Populär dürfte eine zweite Forderung der Initiatoren sein: Die Löhne der gut 100 000 Angestellten von Swisscom, SBB und Post sollen nicht höher liegen dürfen als das, was ein Schweizer Minister verdient. Im Moment sind das 430 000 Euro im Jahr. Der CEO der Swisscom verdient 1,6 Millionen Euro. Insgesamt sollen 40 Manager in den Betrieben das Gehalt ihrer Vorgesetzten in der Regierung übertreffen. Dies sei notwendig, um im Wettbewerb um die besten Köpfe mithalten zu können, argumentiert der Bundesrat.

Sollte der Vorstoß Erfolg haben, würden sich wohl viele internationale Beobachter die Augen reiben: Die Internetgeschwindigkeit der Schweiz gilt als vorbildlich, das Netz der Poststellen ist eines der dichtesten in Europa. Die SBB erreichen beim "Railway Performance Index" der Boston Consulting regelmäßig den ersten Platz, gelten als eine der pünktlichsten Bahnen der Welt. Am 1. Juni werden sie am Gotthard feierlich den längsten Eisenbahntunnel der Welt eröffnen. Ein paar Tage später könnte die gute Laune fürs Erste vorbei sein.

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