Schweigepflicht:Aggressive Fantasien

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Die Psychiaterin Iris Hauth ist seit 18 Jahren Chefärztin im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus in Berlin. Außerdem ist sie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. (Foto: oh)

Psychiaterin Iris Hauth spricht über das oft schwierige Verhältnis von Schweigepflicht und Bürgerpflicht. Die aktuelle Debatte hält sie für problematisch.

Interview von Kim Björn Becker, München

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will zur Verhinderung von Gewalttaten künftig Ärzte stärker in die Pflicht nehmen. Hintergrund ist, dass sowohl der Münchner Amokläufer vom 22. Juli als auch der Selbstmordattentäter von Ansbach zuvor in psychiatrischer Behandlung waren. Gemeinsam mit der Bundesärztekammer will der CDU-Politiker nach Wegen suchen, wie Mediziner verhindern können, dass auffällige Patienten für andere zur Gefahr werden. Anders als ursprünglich angekündigt, soll die ärztliche Schweigepflicht dabei aber gewahrt bleiben. Die erfahrene Psychiaterin Iris Hauth sieht in dem Vorhaben des Ministers dennoch ein Risiko für den Erfolg psychiatrischer Behandlungen in Deutschland.

Frau Hauth, hatten Sie schon einmal einen Patienten, der im Gespräch mit Ihnen eine Straftat angekündigt hat?

Iris Hauth: Ich bin seit 35 Jahren Psychiaterin und hatte tatsächlich einmal so einen Fall. Das war ein Mann, der mir sehr deutlich sagte, dass er eine Prostituierte umbringen wolle.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe die Drohung ernst genommen und die Polizei gerufen. Den Patienten habe ich derweil in einer geschützten Station der Klinik untergebracht, ein anderer Arzt hat sich ununterbrochen um ihn gekümmert. Bevor die Beamten kamen, habe ich dem Patienten mitgeteilt, wie ich entschieden hatte, um eine allzu große Überraschung zu vermeiden. Ich habe ihm gesagt, dass das nötig ist, um ihn und die Frau zu schützen.

Der Bundesinnenminister will gemeinsam mit Ärzten überlegen, wie die Bürger besser vor gewalttätigen Menschen geschützt werden können. Zugleich soll die Schweigepflicht nicht aufgeweicht werden. Kann das funktionieren?

Das kann man erst sagen, wenn konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen. Die derzeitige Rechtslage ist eindeutig. Wenn ein Arzt glaubt, dass sein Patient andere in Gefahr bringen wird, ist er schon heute verpflichtet, etwas dagegen zu unternehmen. Er kann sich dann über die Schweigepflicht hinwegsetzen und zum Beispiel die Polizei alarmieren, ohne dass er dafür bestraft wird.

Also müsste man gar nichts ändern?

Ich finde es vor allem problematisch, dass nach Ereignissen wie denen der vergangenen Wochen ein Generalverdacht gegen psychisch Kranke aufkommt. Da wird unterstellt, dass sie prinzipiell eine Gefahr für die Umwelt darstellen. Das mag in sehr wenigen und besonderen Einzelfällen stimmen, doch von der großen Mehrheit der Patienten geht überhaupt keine Gefahr aus, allenfalls bei Suizidalität für sich selbst. Wenn man nun nach einem Mittelweg sucht, mit dem die Schweigepflicht zwar nicht formal, aber vielleicht de facto aufgeweicht wird, erreicht man damit am Ende nur, dass diese Menschen gar nicht mehr zum Arzt gehen. Viel besser wäre es, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten zu stärken. Und das bedeutet, dass es in der Regel vertraulich bleiben muss, wenn der Patient seinem Therapeuten von seinen Fantasien erzählt.

Wo ist der Unterschied zwischen einer solchen Fantasie, die vertraulich bleiben soll, und einer Drohung, die zum Handeln zwingt?

Aggressive Fantasien kennen wir alle. Wenn man frustriert oder auf jemanden wütend ist, dann entlastet man sich damit. Bei manchen Menschen steigert sich diese Fantasie aber spürbar. Dann kommt es für den Arzt darauf an herauszufinden, ob es bestimmte Anlässe gibt. Vielleicht wird deutlich, dass sich der Patient von einer Person gedemütigt fühlt. Hat der Therapeut den Eindruck, dass die Gewaltfantasie sehr konkret ist und der Patient einen drängenden Impuls spürt, sie auch umzusetzen, muss er etwas tun. Dazu verpflichtet ihn das Gesetz. Aber alles das setzt voraus, dass der Arzt im Gespräch diese Informationen bekommt. Und die hat er nur, wenn es ausreichend Vertrauen zwischen ihm und dem Patienten gibt. Bluttests und Kernspin-Scans helfen jedenfalls nicht weiter.

Der Ruf nach einer weniger strikten Schweigepflicht kam schon nach dem Germanwings-Absturz im vergangenen März auf. Da wurde offenbar, dass der Pilot, der den Absturz herbeiführte, psychisch krank war. Sind solche Vorschläge Ausdruck eines veränderten Sicherheitsbedürfnisses der Gesellschaft?

Vermutlich. Es ist ja auch legitim, dass die Politik darauf reagiert und nach Lösungen sucht, das ist ihre Aufgabe. Problematisch wird es nur, wenn damit eine wichtige Grundlage in der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Gefahr gebracht wird. Da ist de Maizière mit seiner ursprünglichen Forderung über das Ziel hinaus geschossen.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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