Schweden vor der Wahl:Die Zeiten der stabilen Mitte sind vorbei

Schweden vor der Wahl: Die Umfragen sprechen dafür, dass in Schweden bald wieder ein Sozialdemokrat regiert: Herausforderer Stefan Löfven bei einer Debatte im Schwedsichen Fernsehen.

Die Umfragen sprechen dafür, dass in Schweden bald wieder ein Sozialdemokrat regiert: Herausforderer Stefan Löfven bei einer Debatte im Schwedsichen Fernsehen.

(Foto: AP)

Regiert in Schweden künftig wieder ein Sozialdemokrat? Herausforderer Stefan Löfven liegt in Umfragen knapp vorne. Doch die Aussichten sind nicht gerade rosig: Die Koalitionsbildung wird schwierig, und selbst dann reicht es womöglich nur für eine Minderheitsregierung. Ein Grund sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Es gibt zwei Dinge, die Stefan Löfven am meisten fürchtet, so spotten seine Kritiker. Erstens: Dass er die Wahl nicht gewinnt. Zweitens: Dass er sie gewinnt. Der Journalist Pontus Mattsson erklärt den Gund: "Löfven läuft Gefahr, ein sehr schwacher Ministerpräsident zu werden."

Die Schweden wählen am Sonntag ein neues Parlament und der Sozialdemokrat Löfven möchte den Konservativen Fredrik Reinfeldt als Ministerpräsident ablösen. Die Umfragen sprechen dafür, dass ihm das gelingt. Der linke Block, das sind Sozialdemokraten gemeinsam mit Grünen und Linken, führt etwa sechs Prozentpunkte vor Reinfeldts bürgerlichem Lager. Zum strahlenden Sieger macht das Löfven trotzdem noch nicht. Die Zahlen zeigen nämlich auch: Die Sozialdemokraten konnten sich seit der Wahl 2010 nicht verbessern. Damals kassierten sie mit 30,7 Prozent eines der schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte - und blieben in der Opposition. Jetzt liegen sie in vielen Umfragen sogar noch leicht darunter.

"Die Wähler stimmen nicht für Löfven. Es ist eher so, dass sie gegen die Regierung stimmen", sagt Stig-Björn Ljunggren, politischer Autor und Sozialdemokrat. Die Schweden möchten einen Wechsel. Und das heißt: Zurück zu den Sozialdemokraten, die diesmal versuchen werden, eine Regierung zu bilden.

Die meiste Zeit der vergangenen hundert Jahre haben die Sozialdemokraten das Land regiert - und zwar ohne Koalitionspartner. Obwohl sie im Parlament oft nicht die Mehrheit hatten, häufig zwischen 40 und 50 Prozent lagen, bildeten sie wechselnde Allianzen mit Grünen, Liberalen, der bürgerlichen Zentrumspartei. "Und wenn sie mal keine andere Unterstützung fanden, konnten sie immer auf die Linke zurückkommen", sagt Nicholas Aylott, Dozent für Politikwissenschaft an der Uni Södertörn in Stockholm. "Es war eine ziemliche komfortable Situation." Die Sozialdemokraten waren stets stärkste Fraktion, die stabile Mitte des Parlaments und die anderen Parteien kreisten um sie herum.

Angewiesen auf Grüne und Linke

Doch diese Zeiten sind vorbei, aus mehreren Gründen. Erstens, weil die Sozialdemokraten immer noch weit von früheren Wahlergebnissen entfernt sind. Zweitens, weil die bürgerlichen Parteien, darunter Liberale und Zentrumspartei, vor zehn Jahren unter dem damaligen Herausforderer Reinfeldt eine konservative Allianz gebildet haben. Sie fallen damit als potentielle Unterstützer für eine sozialdemokratische Regierung erst einmal aus. Drittens: Weil die Sozialdemokraten, wenn die Umfragen Recht behalten, stärker denn je auf die Grünen angewiesen sein werden - und vermutlich auch auf die Linke.

Vor allem die Grünen, die zur drittstärksten Fraktion werden könnten, wollen Gegenleistungen für ihre Unterstützung, eine Regierungsbeteiligung, Ministerposten. Doch in wichtigen Punkten sind sie sich nicht einig mit den Sozialdemokraten - zum Beispiel bei der Zukunft von Schwedens Atomkraftwerken. Oder in Verteidigungsfragen. Und noch größer sind die Differenzen der Sozialdemokraten mit der Linkspartei.

Rechtspopulisten verändern Parteienlandschaft

Das ist nicht noch alles: Selbst wenn sich Sozialdemokraten, Grüne und Linke einigen, wird es knapp für sie, die 50 Prozent zu erreichen. Das heißt, sie müssen sich als Minderheitsregierung im Parlament um weitere Verbündete bemühen. "Es wird sehr viel schwieriger werden, verschiedene Partner zu balancieren", sagt Aylott, der eine neue Phase der Stagnation befürchtet. Auch die bisherige Regierung unter Fredrik Reinfeldt hatte im Parlament in den vergangenen vier Jahren keine Mehrheit mehr hinter sich. Sie sei dadurch stark eingeschränkt gewesen. "Es gab keine einzige wichtige Reform, die sie durchs Parlament gebracht haben", sagt der Politikwissenschaftler.

Zwei Blöcke also, links und rechts, bürgerlich und rot-rot-grün, beinahe ein Zwei-Parteien-System, also, sagt Aylott. Und trotzdem erreicht keine der beiden Seiten eine Mehrheit. Wie kann das sein?

Vor vier Jahren hat sich etwas Grundlegendes verändert: Den Schwedendemokraten gelang der Einzug ins Parlament. Die Partei hat rechtsextreme Wurzeln, ist einwanderungsfeindlich und steht abseits beider Blöcke im Parlament. Auch wenn die Parteiführung inzwischen eine moderatere Politik verfolgt und rechtsextreme Mitglieder aus der Partei verbannt hat, möchte keine der anderen Parteien mit den Schwedendemokraten zusammenarbeiten. Die Regierung hat sich immer wieder bemüht, den Stimmen der Schwedendemokraten keinen Einfluss zu geben und andere Allianzen zu suchen.

Dennoch: Weil Reinfeldts Koalition im Parlament zuletzt keine eigene Mehrheit mehr hatte, war sie darauf angewiesen, dass die Oppositionsparteien nicht im Block gegen sie stimmten. Das machte sie - wenn auch ungewollt - immer wieder von den Schwedendemokraten abhängig, die sich häufig auf die Seite der Regierung stellten.

Löfven hofft auf wechselnde Kooperationen

Es wird künftig noch schwieriger werden, sie zu ignorieren. Die Schwedendemokraten steuern auf einen Stimmanteil von 10 Prozent zu. Damit sie keinen Einfluss auf die Wahl des Ministerpräsidenten durch das Parlament nehmen können, hat Regierungschef Reinfeldt seinem Herausforderer Löfven einen Vorschlag gemacht: Die Seite, die stimmenmäßig unterlegen ist, toleriert den Kandidaten des gegnerischen Blocks. Damit würde irrelevant, für oder gegen wen die Schwedendemokraten stimmen.

Löfven ist auf dieses Angebot bisher nicht eingegangen, vermutlich weil er die Idee von zwei Blöcken grundsätzlich ablehnt. Er möchte wieder dahin zurück, dass die Sozialdemokraten sich wechselnde Partner über Blockgrenzen hinweg suchen können. Bisher hat er auch keine Koalitionsaussage gemacht, die Grünen lediglich einen "natürlichen" Partner genannt.

Er hofft weiterhin darauf, auch mit Liberalen und Zentrumspartei kooperieren zu können. Diese weisen das seit Wochen vehement von sich. Schließlich sind sie derzeit Mitglieder einer bürgerlichen Regierungskoalition. Experten rechnen jedoch damit, dass sie sich längerfristig wieder den Sozialdemokraten annähern könnten - vor allem dann, wenn Schweden andernfalls in wichtigen Fragen nicht handlungsfähig oder von den Stimmen der Rechtspopulisten abhängig wäre.

Der Politologe Aylott geht davon aus, dass die Block-Politik in Schweden wird lockerer wird. "Es wäre eine große Veränderung im schwedischen Parteiensystem."

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