Schwarz-grüne Koalition in Hamburg:Mehr als eine Vernunftehe

Am Sonntag stimmt die Hamburger GAL über über das erste schwarz-grüne Bündnis auf Länderebene ab - das Maß, in dem sich die Grünen hier von der SPD verabschieden, dürfte Sozialdemokraten weit über Hamburg hinaus irritieren.

Jens Schneider

Vasco Schultz lacht wie einer, dem vor dem Abschied nur noch Spott und Häme bleiben. Jeder seiner Sätze klingt wie ein böser Nachruf auf eine Partei, die jetzt endgültig nicht mehr seine ist. "Es ist ein bisschen wie eine Massenpsychose", sagt der 31-jährige Student der Wirtschaftsinformatik über die Befindlichkeit vieler Parteifreunde in der Hamburger GAL. Geradezu verblendet kommen viele ihm vor, sobald es um die Koalition mit der CDU geht. "Die wollen das jetzt einfach gut finden."

Schwarz-grüne Koalition in Hamburg: Mehr als nur eine Vernunftehe: Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Christa Goetsch (GAL)

Mehr als nur eine Vernunftehe: Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Christa Goetsch (GAL)

(Foto: Foto: AP)

Am Sonntag will die GAL über die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene abstimmen. Schultz hätte für diese Zäsur gern einen Showdown heraufbeschworen. Als die Partei den Einstieg in die Koalitionsgespräche beschloss, begann er, Unterschriften zu sammeln.

Er wollte, dass über den Koalitionsvertrag die Basis in einer Urabstimmung befindet. Schultz hätte nur von zehn Prozent der Mitglieder die Unterschriften gebraucht und hat sie doch nicht zusammenbekommen. Vor zwei Wochen blies er die Aktion ab. "Es wird keine große Schlacht mehr geben", sagt er.

Noch in den vergangenen Wochen haben führende Hamburger Grüne stets zu großer Vorsicht gemahnt. Was immer mit der CDU vereinbart werde, stehe unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch ihre Basis. Sie warnten nicht nur pro forma. Eine Mitgliederversammlung der Grünen konnte früher unberechenbar sein. Vorsorglich hat die GAL den Saal in Hamburg-Wilhelmsburg für Sonntag von Mittag an für sieben Stunden reserviert.

Doch niemand rechnet mit einer spannenden Saalschlacht über den vermeintlichen Verrat grüner Werte. Verwundert nimmt auch die Parteispitze wahr, wie glatt es läuft. So soll der historische Augenblick aussehen?

In den internen Debatten seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben sich kaum Kritiker zu Wort gemeldet. Wenige kennt man in der Parteispitze mit Namen. Eine prominente Front von Gegnern gibt es nicht. Vasco Schultz, bis vor kurzem Kreisvorsitzender in Hamburg-Wandsbek, zählt zu den wenigen bekannteren Gegnern der schwarz-grünen Verbindung, die sich am Sonntag zu Wort melden wollen.

Das sei er sich schuldig, sagt er und beklagt, der Koalitionsvertrag enthalte zu wenig Konkretes. Über 400mal stehe da das Wort "sollen", mit dem nur gute Absichten bekundet würden. "Ich rechne mit rund 20 Prozent Gegenstimmen", sagt er resigniert, "aber nur wenn es gut läuft für die Gegner."

Zu seinem Eindruck passt die Zuneigung, mit der Grüne und Christdemokraten nach den Koalitionsgesprächen voneinander schwärmen. Vor der Wahl mochte Spitzenkandidatin Christa Goetsch gar nicht nach der schwarz-grünen Option gefragt werden. Zu gefährlich für ihre Wahlaussichten erschien schon das gedankliche Spiel mit der Option. Für sie sollte es darum gehen, Ole von Beust als Ersten Bürgermeister abzulösen. Jetzt ist sie mit der herzlichen Feststellung zitiert worden, an Beust seien nur die hanseatisch blauen Anzüge richtig CDU.

Mehr als eine Vernunftehe

Das klingt nicht mehr nach einer Notlösung und ist auch mehr als eine Vernunftehe. Ein bisschen wird die Grünen-Spitze ihre Innigkeit mit der CDU, die so fair und offen verhandelt habe, wie sie es von der SPD nicht gekannt hätten, am Sonntag verbergen müssen, um die Basis nicht zu irritieren. Schon jetzt fällt auf, wie einig sich viele Christdemokraten und Grüne intern in der Ansicht sind, dass Hamburgs SPD sich erst richtig erneuern müsse, bevor man mit ihr regieren könne. Das Maß, in dem sich die Grünen hier von der Bindung an die SPD verabschieden, dürfte Sozialdemokraten weit über Hamburg hinaus irritieren.

Selbst über das Kohlekraftwerk Moorburg erwarten die meisten für Sonntag keinen großen Streit mehr. Vor der Wahl hat die GAL versprochen, dass sie den Weiterbau nicht mitmachen werde. Jetzt gibt es dazu nur einen kargen Absatz im Koalitionsvertrag. Die GAL-Chefin und designierte Senatorin Anja Hajduk wird über die endgültige Genehmigung des Kraftwerks entscheiden.

Großes Vertrauen in Hajduks Geschick

Es wird ein Rechtsstreit mit dem Betreiber Vattenfall erwartet, mit offenem Ausgang. Umweltorganisationen wie Greenpeace genügt das nicht. "Wir finden den Koalitionsvertrag unausgereift", sagt Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid und nennt Moorburg "eine Schicksalsfrage der Grünen". Sie müssten nachverhandeln: "Entweder ohne Kohle oder ohne Ole", sagt Smid.

In der Partei wird das nicht mehr von allen so grundsätzlich gesehen. Viele wünschten der künftigen Senatorin Hajduk jetzt einfach den besten Anwalt im Streit mit Vattenfall, sagt die frühere Abgeordnete Katja Husen. Die Partei habe großes Vertrauen in Hajduks Geschick.

Und jenseits der Moorburg-Frage werde wahrgenommen, was die GAL der CDU generell an Zugeständnissen abgerungen habe. Der Koalitionsgegner Schultz ätzt schon jetzt. Das Kraftwerk werde gewiss kommen. Nachdem die Grünen im Wahlkampf vor der Energiepolitik des Herrn "Kohle von Beust" warnten, könnten sie demnächst ja "Kohle von Anja" plakatieren.

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