Schwarz-gelbe Gesundheitspolitik:Die Kopfpauschale - lebende Leiche

Der Gesundheitskompromiss der Koalition vertagt den Streit nur und schafft neue Probleme: Die Klage über fehlende soziale Balance wird deutlich lauter werden.

Guido Bohsem

Die Kopfpauschale ist tot - Horst Seehofer hat sich durchgesetzt. So kann man das sehen, denn mit der Vereinbarung der schwarz-gelben Koalition zur Gesundheitspolitik wird es so bald keine Änderungen an der Finanzierung der Krankenkassen geben. Ganz so wie der CSU-Chef es wollte, kommt es in dieser Wahlperiode nicht zu einem System von Kopfpauschalen, in dem jeder unabhängig von seinem Einkommen den gleichen Beitrag für die Krankenkasse zahlt.

Koalition verständigt sich auf Gesundheitsreform

Philipp Rösler kann mit Fug und Recht behaupten: Es lebe die Kopfpauschale.

(Foto: dpa)

Es lebe die Kopfpauschale - das wiederum kann Philipp Rösler mit Fug und Recht behaupten. Denn der FDP-Mann setzte deutlich mehr von seinen Ideen durch, als es lange den Anschein hatte. Nachrichten über einen K.o. des Gesundheitsministers waren reichlich übertrieben. Mit der grundsätzlichen Verständigung auf einen Sozialausgleich für die Zusatzbeiträge hat er sich die Option für einen mittelfristigen Einstieg in die Kopfpauschale gesichert.

Was folgt daraus? Der zentrale gesundheitspolitische Streit der Koalition, er ist auf später vertagt. Wem das seltsam bekannt vorkommt, der muss sich keine Sorgen um seinen Geisteszustand machen. Es ist richtig, dass der neue Zustand von Schwarz-Gelb dem Zustand von Schwarz-Rot gleicht, als jene frühere Koalition sich nach Monaten des Streits für den Gesundheitsfonds entschied. Zufrieden war keiner, aber für den Moment reichte es jedem.

Vertagt ist aber nicht aufgehoben. So wie Rösler für die Folgen des alten Kompromisses Verantwortung übernehmen musste, wird die Regierung, die er angehört, die Verantwortung für den jüngsten übernehmen. Denn dass der Minister mit einem Krankenkassendefizit von elf Milliarden Euro konfrontiert wurde, geht auf Entscheidungen der großen Koalition zurück. Dass er nun gezwungen war, diese Finanzlücke in einer Notoperation zu schließen, kann man ihm schwerlich anlasten. Kritisieren muss man freilich seinen mangelnden Willen, im System zu sparen. Beitragserhöhungen sind stets der einfachste Weg aus der Misere, weil die Beitragszahler keine Lobby haben. Das ist bei Ärzten, Apothekern, Krankenhäusern, Pharmaherstellern und natürlich auch bei Kassen anders.

Der nächste Gesundheitsminister (vielleicht ja sogar Rösler selbst) wird also die Folgen der neuen Regelung ausbaden müssen, und die sind nicht ohne. Was als Sozialausgleich für den Zusatzbeitrag ausgeheckt wurde, birgt politisches Nitroglyzerin. Der Staat schätzt dazu das erwartete Defizit aller Krankenkassen und ermittelt, wie hoch der Zusatzbeitrag wäre, den ein Versicherter nun zu zahlen hätte. Übersteigt dieser Rechenwert zwei Prozent seines Bruttoeinkommens, gibt es einen Ausgleich. Aber: Wie hoch die tatsächliche Prämie bei der Krankenkasse eines Versicherten ist, spielt gar keine Rolle. Das kann zu der absurden Situation führen, dass ein Versicherter den Sozialausgleich auch dann erhält, wenn seine Kasse gar keinen Zusatzbeitrag erhebt. Das Gleiche gilt für den Bezieher einer Mini-Rente, der in Wirklichkeit von hohen Zinserträgen oder Mieteinnahmen lebt.

Solche Ungereimtheiten mag man noch ausbügeln können. Die neue Regelung durchzuhalten wird viel schwieriger. Spätestens wenn das Defizit wieder in den zweistelligen Bereich steigt, wird sich die Regierung der Frage stellen müssen, warum dafür die Kassenmitglieder eigentlich alleine zahlen müssen. Die Klage über eine fehlende soziale Balance, sie wird deutlich lauter werden. Und das alles, um ein System zu etablieren, das die Mehrheit der Deutschen ablehnt und das in dieser Form seine unbestreitbaren Vorteile nicht ausspielen kann. Wie schon 2009 wird zumindest die CSU im Jahr 2013 wieder Wahlkampf gegen die eigenen Beschlüsse führen. Und schließlich: Wenn es der schwarz-gelben Koalition schon nicht gelingt, eine Kopfpauschale zu etablieren, welcher politischen Kombination sollte es denn eigentlich gelingen?

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