Schulz gegen Merkel:Kampf um die Kanzlerschaft - Schulz' Lobeshymne auf den kleinen Mann

Parteitag der Bocholter SPD

Ist personifizierte Verheißung: Martin Schulz.

(Foto: Ina Fassbender/pa)

In Leipzig versucht der SPD-Kanzlerkandidat, den verglommenen Mythos Sozialdemokratie wieder anzufachen. Will er die Wahl gewinnen, muss er den Osten von sich überzeugen.

Von Ulrike Nimz

Der Kandidat kommt spät, aber als er kommt, wird er begrüßt wie ein Popstar, mit Sprechchören und Bad in der Menge. Fast 80 Minuten spricht Martin Schulz bei seinem Wahlkampfbesuch in Leipzig. Seine Rede ist eine Hymne auf den kleinen Mann, in der das Wort "verbessern" oft vorkommt. Das Wörtchen "wie" nur selten.

Mit dem Kunstkraftwerk hat sich Schulz einen symbolträchtigen Ort ausgesucht. Einst brannten hier Kohleöfen, bewacht von Kesselwärtern und Aschemännern. Hier wurde Wasser erhitzt und in die umliegenden Industriebetriebe gepumpt. 1992 stillgelegt, war das Heizwerk lange nur eine weitere Ruine in der postsozialistischen Messestadt. Jetzt veranstalten sie hier Vernissagen, der ganze Stadtteil ist eine Hipstermeile.

Kohle zu Kunst - dieses Gebäude ist, wenn man so will, eine Chiffre für die Aufgabe, die Schulz nun vor sich hat. Den verglommenen Mythos Sozialdemokratie wieder anfachen, zu etwas Neuem formen, das auch die Jugend begeistert. Gefühlt liegt das Durchschnittsalter an diesem Nachmittag dann auch bei unter 30. Das Warm-up lässt sich an wie ein Sonderpädagogik-Seminar. Auf Pappe soll die Jugend schreiben, was sie bewegt, was sie sich wünscht: bezahlte Praktika, Integrationskurse und "Würselen ist überall", liest man da.

Die SPD muss im Osten zulegen, wenn sie die Wahl gewinnen will

Noch sieben Monate sind es bis zur Bundestagswahl, Martin Schulz ist früh in den Wahlkampf gestartet. Er weiß, dass es eine Weile brauchen wird, den Osten auf seine Seite zu ziehen. Die Lage ist so: Im Norden und Westen Deutschlands schöpft die Partei ihr Wählerpotenzial weitgehend aus, im Süden war zuletzt kaum etwas zu holen. Und der Osten? Liegt brach. Hier muss die SPD zulegen, will sie die Wahl gewinnen.

Schulz hat in Königs Wusterhausen an den Einlegesohlen gerochen, die sie dort in Akkordarbeit stanzen. Er hat die HNO-Ambulanz der Uniklinik in Halle besucht. Dieser Kanzlerkandidat, so könnte die Botschaft lauten, ist ein Mann ohne Angst vor fremdem Mief, mit einem Riecher für den volksnahen Auftritt. Seine Leipziger Rede ist ein Rundumschlag: 24 Milliarden Haushaltsüberschuss? Investieren - in den digitalen Ausbau, in Bildung, in Schulen, in die Pflege, in mehr Polizei, in den Kampf gegen den Terror. "Die Menschen erwarten keine schwer verständlichen Konzepte, sondern, dass wir ihr Leben konkret verbessern", ruft Schulz und erntet Applaus, der nur einmal dürftig ausfällt: als er einräumt, Anhänger des 1. FC Köln zu sein.

Die Kernkompetenz der SPD sei es doch, die Menschen zusammenzuführen. Sie sei - trotz allem, trotz Agenda 2010 - die Partei der Arbeit. Das ist der Punkt, an dem Martin Schulz die Stimme hebt, die Faust auf und nieder geht. Da ist Nachdruck nötig.

In Leipzig ziehen noch die alten SPD-Botschaften

Man hat ihn schon einmal so reden hören. 2013 haben die Sozialdemokraten in Leipzig ihren Bundesparteitag abgehalten. Es war das große Wundenlecken nach der Bundestagswahl, die Partei hatte das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit eingefahren. Sigmar Gabriel wurde als SPD-Vorsitzender wiedergewählt, und Schulz bewarb sich mit einer Brandrede für das Amt als EU-Kommissionspräsidenten: "Sie muss reformiert werden. Sie muss verbessert werden. Sie ist weder sozial gerecht, noch ist sie effektiv", donnerte Schulz damals den Genossen entgegen und meinte die Europäische Union.

Heute könnte dieser Satz ohne Weiteres für die SPD gelten. Vor allem hier, im mittleren Osten, wo der Ofen so gut wie aus ist für die Genossen. Während die Partei in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die Ministerpräsidenten stellt, erreichte sie in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zuletzt nur niedrige zweistellige Ergebnisse. Hier können sie einen guten Kesselwärter gebrauchen. Seit Beginn des Jahres sind allein in Sachsen mehr als 230 Menschen der SPD beigetreten, hauptsächlich in den Großstädten.

Martin Schulz wird einen Grund gehabt haben, warum er nach Leipzig gereist ist und nicht nach Dresden. Leipzig gilt als Wiege der Sozialdemokratie, mit Burkhard Jung sitzt seit mehr als zehn Jahren ein SPD-Mann im Rathaus, und Fremdenfeinde haben hier nie darüber hinwegtäuschen können, was sie sind: in der Minderheit. Nein, Schulz hat hier nichts zu befürchten, die alten Botschaften ziehen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, sichere Arbeitsplätze, gleiche Renten in Ost und West - so etwas hört man gern im Niedriglohnland Sachsen.

Und so muss der Kandidat kaum mehr tun, als die einende Kraft der Sozialdemokratie beschwören und die AfD geißeln, jene, die "die Axt an die Wurzeln der Demokratie legen". Von denen ist heute glücklicherweise niemand da. Vor ein paar Tagen jedoch war Schulz schon einmal in Leipzig, hat sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen. Als er durch die Fußgängerzone ging, sollen vereinzelt Rufe laut geworden sein: "Volksverräter!" Eine Schmähung, mit der sonst vor allem die Kanzlerin bedacht wird. Vielleicht ist das kein schlechtes Zeichen.

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