Schuldenkrise in Griechenland:Proteste gegen Sparpaket eskalieren - 80 Verletzte in Athen

Drinnen debattieren die Abgeordneten - draußen tobt der Straßenkampf: Die Abstimmung des griechischen Parlaments über das umstrittene neue Sparpaket wird von gewaltsamen Auseinandersetzungen begleitet. Zehntausende protestieren vor dem Parlamentsgebäude gegen die Sparmaßnahmen. Aus verschiedenen Stadtteilen Athens werden Brände gemeldet. Im Inneren des Parlamentsgebäudes geht das Ringen um das Sparpaket weiter.

Die gewalttätigen Proteste gegen die Sparpolitik der Regierung in Griechenland weiten sich aus. Die Zahl der Verletzten stieg nach Angaben des Rettungsdienstes auf 80, darunter 30 Polizisten. Mehrere Geschäfte und eine Bankfiliale standen in Flammen.

Schuldenkrise in Griechenland: Ausschreitungen in Athen: Mehrere Geschäfte und eine Bankfiliale stehen in Flammen, die Polizei geht mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.

Ausschreitungen in Athen: Mehrere Geschäfte und eine Bankfiliale stehen in Flammen, die Polizei geht mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.

(Foto: AFP)

Die Unruhen hattem am Nachmittag begonnen. Mehr als 100.000 Demonstranten waren auf dem Athener Syntagma-Platz vor dem Parlament zusammengekommen, um gegen die Beschlüsse zu protestieren. Etwa 100 von ihnen warfen Flaschen, Steine, Geröll und Rauchbomben auf die Sicherheitskräfte. Diese setzten wiederum Tränengas ein. Friedliche Demonstranten suchten in nahegelegenen Seitenstraßen Zuflucht.

Wenige Stunden später weiteten sich die Unruhen auf umliegende Straßen aus. Mindestens zehn Gebäude gingen in Flammen auf. Auf Fernsehaufnahmen war ein Eckgebäude zu sehen, das lichterloh brannte. Feuerwehrleute versuchten, die Flammen unter Kontrolle zu bringen. Ob sich jemand in den brennenden Gebäuden aufhielt, war zunächst unklar.

Während die Proteste auf den Straßen eskalieren, debattieren die Abgeordneten im Parlament über den Sparplan. Eine Entscheidung wird für Mitternacht erwartet. Die Zustimmung ist Voraussetzung für ein zweites Hilfspaket. Ohne weitere Milliardenhilfen aus dem Ausland droht Griechenland die Staatspleite

Dramatischer Appell von Papadimos

Vor der entscheidenden Abstimmung warb der griechische Regierungschef in einem dramatischen Appell an seine Landsleute um Zustimmung zu den Einschnitten in Sozialleistungen: "Wir sind nur einen Atemzug von Ground Zero entfernt", sagte Lukas Papadimos. Trotz zahlreicher Abweichler wird eine Mehrheit für die von Konservativen und Sozialisten getragene Regierung erwartet. Unter anderem sollen bis 2015 rund 150.000 Staatsdiener entlassen werden und der Mindestlohn von 751 auf 568 Euro sinken. Außerdem soll Staatsbesitz verkauft werden.

Eine Staatspleite mit unabsehbaren Folgen will Papadimos um jeden Preis vermeiden. Ein solches desaströses Abenteuer würde zu einem ökonomischen Kollaps und einer sozialen Katastrophe aus Arbeitslosigkeit und Armut führen, warnte er in seiner TV-Ansprache.

Bundesregierung setzt Athener Parlament unter Druck

Auch namhafte Mitglieder der Bundesregierung erhöhten massiv den Druck auf Athen, dem Sparpaket zuzustimmen. Wichtige Minister stellten am Wochenende klar, dass sie notfalls auch einen Staatsbankrott des Euro-Partners hinnehmen würden.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) drohte den Griechen offen mit dem Ende der Solidarität. Die Rettung Griechenlands sei schwieriger als die deutsche Vereinigung, sagte Schäuble der Welt am Sonntag. Das Land dürfe nicht zu einem Fass ohne Boden werden: "Deswegen müssen die Griechen endlich den Boden einziehen. Dann können wir auch etwas reintun." Bisher ist Deutschland mit 15 Milliarden Euro an der Stabilisierung des Landes beteiligt. Auf die Frage, ob auch ein Austritt Griechenlands aus dem Euro denkbar sei, antwortete Schäuble: "Das haben die Griechen alles selber in der Hand."

Von Vizekanzler Philipp Rösler kamen ähnliche Töne: Der FDP-Chef und Wirtschaftsminister sagte der ARD-Sendung Bericht aus Berlin: "Wir können und wollen auch nur noch helfen, wenn es entsprechende Gegenleistungen auf griechischer Seite gibt." Von den Griechen würden belegbare Anstrengungen erwartet. Mit Blick auf eine mögliche Pleite sagte er: "Der Tag X verliert zunehmend an Schrecken."

Sein Parteifreund und Außenminister Guido Westerwelle sagte dem Spiegel: "Vorleistungen kann es nicht mehr geben. Jetzt zählen nur noch Taten." Nur wenn die Weichen nachhaltig richtig gestellt würden, könne Griechenland mit deutscher Unterstützung rechnen.

In Deutschland sind nur noch 27 Prozent der Menschen überzeugt, die Griechen bemühten sich ernsthaft, die im Gegenzug vereinbarten Sparmaßnahmen umzusetzen.

CSU-Chef Horst Seehofer regte in der Welt am Sonntag Volksabstimmungen über deutsche Hilfen für die Währungsunion an. Dem Spiegel sagte er, die Maximalhaftung Deutschlands bei der Euro-Rettung von 211 Milliarden Euro dürfe nicht überschritten werden. Neben dem Parlamentsbeschluss ist eine weitere Voraussetzung für Anschlusshilfen ein Forderungsverzicht der privaten Gläubiger Griechenlands. Sie sollen dem Land 100 Milliarden Euro erlassen, um seine Schuldentragfähigkeit zu verbessern. Nach Angaben von EU-Währungskommissar Olli Rehn ist die Vereinbarung fertig; sie soll aber erst im Gesamtpaket verabschiedet werden.

US-Multimilliardär Soros kritisiert Merkels Krisenmanagement

Die Sparauflagen für die überschuldeten Euro-Länder, die maßgeblich von Deutschland vorangetrieben werden, sind seit Monaten umstritten. Der US-Multimilliardär und Spekulant George Soros warf Kanzlerin Angela Merkel vor, sie wiederhole die Fehler, die Amerika 1929 in die große Depression gestürzt hätten. Die Konjunktur in den Krisenstaaten müsse mit Finanzspritzen belebt werden, anstatt die Regierungen zum Sparen zu zwingen, sagte er dem Spiegel. Das verstehe Merkel nicht.

Nicht nur in Griechenland, wo es immer wieder zu gewaltsamen Protesten kommt, begehrt die Bevölkerung gegen die Sparpolitik auf. In Portugals Hauptstadt Lissabon gingen am Samstag mehr als 100.000 Menschen auf die Straßen. "Wir müssen den Strick um unseren Hals loswerden", forderte der Vorsitzende der größten Gewerkschaft CGTP, Armenio Carlos. Kommende Woche prüfen IWF, EZB und EU erneut, ob die Regierung die Sparauflagen erfüllt. Die Ausgabenkürzungen und Steuererhöhung haben das Land in eine tiefe Rezession mit Rekord-Arbeitslosigkeit gestürzt.

Auch im Nachbarland Spanien, das bisher keine Finanzhilfen erhält, wächst der Unmut gegen die Sparpolitik. Der Chef der Gewerkschaft UGT, Candido Mendez, sagte, die Arbeitsmarktreform werde die Arbeitslosigkeit von 5,3 auf sechs Millionen treiben. Für die kommenden Wochen kündigte er eine Protestserie an.

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