Proteste gegen Sarkozys Rentenreform:Frankreichs Schüler an der Front

Sie sind jung, sie sind wütend, und sie sind zahlreich: Bei den Demonstrationen gegen Sarkozys Rentenreform sind die Schüler und Studenten in vorderster Reihe mit dabei. Frankreichs Jugend fühlt sich abgehängt.

Angelika Hild

Massira Baradji ist erst 19, und doch ist der Gymnasiast im letzten Schuljahr vielbeschäftigt: Seit Beginn der Schülerproteste gegen die geplante Rentenreform kommt der Präsident der FIDL, neben der UNL Frankreichs größte Schüler-Gewerkschaft, kaum zur Ruhe. Baradji organisiert die Proteste mit, gibt Interviews und wirbt für eine Forderung, die gerade aus dem Mund eines jungen Erwachsenen reichlich rückständig klingt: dass alles beim Alten bleibt. Baradjis Meinung: "Wir haben schon Ghetto-Gymnasien und Ghetto-Vorstädte. Ich will nicht auch noch ein Renten-Ghetto."

Studenten protestieren gegen die Rentenreform in Paris

"Zornige Gymnasiasten" demonstrieren in Paris gegen die geplante Rentenreform der Regierung von Nicolas Sarkozy. Hunderte Schulen wurden zeitweise blockiert, außerdem beteiligen sich sechs Universitäten an den Protesten.

(Foto: action press)

Wie er denken Tausende französischer Schüler und Studenten, die in den vergangenen Tagen gegen die Rente mit 62 auf die Straße gegangen sind - dabei wiederholt Frankreichs Jugendminister Marc-Philippe Daubresse immer und immer wieder, das Gesetzesvorhaben sei doch gerade "eine Reform für die jungen Leute". Aber die sind anderer Ansicht. Das "Renten-Ghetto" steht symbolisch für die Angst, später zu einer wachsenden sozialen Randgruppe zu gehören, die den Lebensstandard der Elterngeneration nicht mehr erreicht: "Wir haben es beim Eintritt ins Berufsleben viel schwerer, und jetzt müssen wir auch noch länger auf die Rente warten. Das ist ungerecht", findet Baradji.

Für deutsche Ohren klingt die Rentenreform zunächst moderat. Von 60 auf 62 Jahre soll das Mindestalter steigen, ab dem französische Arbeitnehmer in Zukunft in Rente gehen können. Die Sache hat allerdings einen Haken: Bis dahin müssen die Arbeitnehmer mindestens 41,5 Jahre in die Rentenkassen eingezahlt haben. Wer nicht auf die vorgeschriebenen Beitragsjahre kommt, wird daher künftig genau wie in Deutschland beim Renteneintritt nicht mehr 65, sondern 67 Jahre alt sein.

Dass die 67 die neue Marke wird, davon ist FIDL-Präsident Baradji überzeugt: "Es schafft doch keiner von uns, 41,5 Jahre am Stück zu arbeiten", sagt er. "Dazu finden wir viel zu spät einen festen Job." Die précarité, die Unsicherheit besonders der jungen Erwachsenen im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft, ist in Frankreich längst ein geflügeltes Wort. Fast ein Viertel der unter 25-Jährigen ist arbeitslos, gegenüber 8,8 Prozent in Deutschland.

Neben der Aussicht auf eine längere Lebensarbeitszeit schwingt bei den Protesten der Jugendlichen also auch viel Frust über ihre aktuelle Situation mit - und die Angst, dass sie künftig noch schwerer Arbeit finden, wenn die älteren Beschäftigten zwei Jahre länger im Berufsleben bleiben: "Das ist doch logisch. Die Stellen werden später frei, und wir haben noch weniger Chancen auf einen Job", sagt Baradji.

"Warum bringt man nicht erst einmal die Jungen in Arbeit?"

Die Forderung der jungen Erwachsenen ist daher einfach: "Wir wollen, dass die Rente mit 60 bleibt." Wie das finanziert werden soll? Baradji schlägt einen höheren Beitragssatz zur Rentenversicherung für Reiche vor. Viel mehr fällt ihm dazu allerdings auch nicht ein. Außer, dass es eine Rentenreform geben müsse, die "nicht nur auf dem Rücken der Angestellten ausgetragen wird". - "Die arbeitslosen Jugendlichen wollen arbeiten, die Älteren, die kurz vor der Rente stehen, nicht mehr. Warum bringt man nicht erst einmal die Jungen in Arbeit?", will er wissen.

"Nach den Ferien sind wir zurück"

"Ni des bambins, ni des pantins", weder Kinder noch Hampelmänner - das ist eine Parole, die die Jugendlichen während der Proteste häufig rufen. Sie wollen ernst genommen werden, denn "schließlich betrifft uns die Reform ganz besonders", so Baradji. Ihn ärgert, dass Sarkozy "nicht auf die Jugendlichen und die Bevölkerung hört." Und er wehrt sich gegen den Vorwurf aus Sarkozys Regierung, die Schüler ließen sich von den Gewerkschaften oder anderen Parteien instrumentalisieren: "Wir lassen nicht zu, dass man uns manipuliert nennt oder dumm. Wir können durchaus selbständig denken."

Gerade deshalb ärgern ihn die casseurs, jugendliche Randalierer, die die Proteste missbrauchen, um Schaufenster einzuschlagen oder Polizisten anzugreifen. "Wir rufen zu friedlichen Demonstrationen auf", versichert er. "Randale bringt nichts. Das liefert nur ein schlechtes Bild von uns ab."

Wenn heute die Proteste gegen die Rentenreform weitergehen, will Baradji wieder vorne mit dabei sein: Die Schüler planen eine Großdemonstration vor dem Parlamentsgebäude, wo über die Reform beraten wird. Der heimlichen Hoffnung der Sarkozy-Regierung, die Proteste mögen mit Beginn der Herbstferien auslaufen, erteilt Baradji eine Absage: "Nach den Ferien sind wir zurück."

Vielleicht erinnert er sich auch an die Schüler- und Studentenproteste vor zwei Jahren, als die französische Regierung eine Arbeitsmarktreform, die den Kündigungsschutz für junge Arbeitnehmer praktisch abgeschafft hätte, nach der Verabschiedung wieder zurücknahm. Allerdings will sich die Sarkozy-Regierung diesmal nicht erweichen lassen. Massira Baradji, so scheint es, wird noch lange vielbeschäftigt bleiben.

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