Schottland, Wales und Nordirland:Unvereinigtes Königreich

Torn Union Jack flag flying

Der Union Jack, die Fahne Großbritanniens, vereint Elemente der englischen, schottischen und nordirischen Flaggen.

(Foto: Ian Nolan/Getty Images/Cultura RF)
  • Das Brexit-Referendum offenbart ein tief gespaltenes Land.
  • In England setzten sich die EU-Gegner durch. In Schottland und Nordirland sieht die Lage anders aus.
  • Schottland will in der Europäischen Union bleiben. Und bringt ein neues Unabhängigkeitsreferendum ins Spiel.

Von Esther Widmann

Das EU-Referendum hat nicht nur schwerwiegende Folgen für die Einheit der EU. Es zeigt auch, wie fragil die Einheit im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ist.

Nordirland

Das Referendumsergebnis offenbart ein tief gespaltenes Land: Während sich in England in den meisten, wenn auch nicht allen, Wahlkreisen die EU-Gegner durchsetzten, votierten die Menschen in Nordirland mehrheitlich für den Verbleib. Der Stellvertretende Erste Minister von Nordirland, Martin McGuiness, fordert eine Abstimmung: Da die Menschen sich dort mehrheitlich für die EU ausgesprochen haben, müssten sie als Teil des Vereinigten Königreiches gegen ihren Willen aus dem Staatenbund austreten. Von Sinn Féin, einer der Regierungsparteien in Nordirland, hieß es, das Ergebnis stützte die Argumentation für ein vereintes Irland, das als Ganzes zur EU gehört. Wie wahrscheinlich das ist, lässt sich noch nicht absehen. Auch in Nordirland haben in einigen Wahlkreisen die Wähler für den Austritt gestimmt. In dem Land, das vom historischen Konflikt zwischen Unionisten und Anhängern eines einigen Irland geprägt ist, fühlen sich viele Menschen als Briten.

Schottland

Eindeutiger ist die Lage in Schottland: Dort stimmten die Menschen in jedem einzelnen Wahlbezirk für den Verbleib in der EU. Von 2 679 513 abgegebenen gültigen Stimmen waren 1 661 191 für "Remain" - das sind genau 62 Prozent.

"Es ist klar, dass die Menschen in Schottland ihre Zukunft in der EU sehen", sagte deshalb Nicola Sturgeon in einer Ansprache. Sie ist Erste Ministerin von Schottland und hält damit das höchste politische Amt in dem Landesteil inne. Schottland hat ein Parlament und einige Rechte, ist aber insgesamt von der Regierung in London abhängig. Sturgeon hatte 2014 die Kampagne für die Unabhängigkeit Schottlands angeführt und das Referendum darüber knapp verloren. Nach Vorstellung der schottischen Nationalisten sollte das unabhängige Schottland Mitglied der EU sein. Damals war eines der Argumente gegen die Unabhängigkeit Schottlands die Einheit des Königreiches. Und immer wieder betonte Premier Cameron, ein zweites Referendum über die schottische Unabhängigkeit werde es nicht geben.

Nun sagt Sturgeon am Freitagmittag, wenige Stunden nach Bekanntwerden des Brexit-Votums, Schottland habe nicht die Absicht, gegen seinen Willen aus der EU auszuscheiden. Deshalb solle es innerhalb der kommenden zwei Jahre, vor dem Abschluss der Austrittsverhandlungen mit der EU und damit vor dem Austritt, ein neues Referendum geben. Vor der EU-Abstimmung hatte sich Sturgeon immer nur zögerlich dazu geäußert. Nun wird sie deutlich: Es sei "sehr wahrscheinlich", dass es ein neues Referendum geben werde.

Auch Angus Robertson, Fraktionschef der Scottish National Party in Westminster, sagt, das Ergebnis könnte eine "Verfassungskrise" auslösen, die zu einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum führen könne.

Wales

In Wales ist die Unabhängigkeitsbewegung traditionell viel weniger stark als in Schottland. Das Land hat auch im Zuge der Dezentralisierung von 1998 "nur" eine gesetzgeberisch nicht vollwertige Nationalversammlung bekommen; erst seit 2011 darf das Gremium auch bestimmte Gesetze beschließen. Den meisten Menschen in Wales macht das offenbar nicht viel aus, sie wählen (Welsh) Labour. Nur die Partei Plaid Cymru ("Partei von Wales") bringt Forderungen nach einem eigenständigen Staat vor. In der walisischen Nationalversammlung hat sie allerdings nur zwölf von 60 Sitzen inne, ist also wesentlich schwächer als die Scottish National Party in Schottland. Mit ihr teilt sie aber die Überzeugung, dass das Land - als unabhängiger Staat - Mitglied der EU sein sollte.

Vom Referendums-Ergebnis ist man bei Plaid Cymru deshalb nicht begeistert. Parteichefin Leanne Wood nannte den Freitag einen "dunklen und ungewissen Morgen". Es sei klar, dass das Vereinigte Königreich nicht in seiner derzeitigen Form weitermachen könne. Wales werde bald "Westminster vollständig ausgeliefert" sein - dem wolle die Partei "robust" entgegenwirken. Das impliziert natürlich ein Streben nach Unabhängigkeit. Doch anders als Schottland stehen die Waliser keineswegs hinter einer EU-Mitgliedschaft: Nur fünf von 22 Wahlkreisen haben sich dafür ausgesprochen. Carwyn Jones, Erster Minister von Wales und Mitglied von Welsh Labour, hatte ebenfalls die Remain-Kampagne unterstützt. Er will nun vor allem die finanziellen Arrangements mit London neu verhandeln. Auch wenn die Menschen so unterschiedlich abgestimmt hätten: Ganz Wales müsse über seine Zukunft nachdenken und sich vereinen. Die Einheit des Königreiches erwähnte er nicht.

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