Schmiergeldaffäre bei der Fifa:Warum Blatter von Korruption gewusst haben muss

Endlich ist auch vor Gericht erwiesen, was viele ohnehin schon ahnten: Der langjährige Präsident des Weltfußballverbandes, João Havelange, und sein Ex-Schwiegersohn, Ricardo Teixeira, ließen sich schmieren. Damit wird immer unglaubwürdiger, dass Sepp Blatter nie etwas von den Zahlungen mitbekommen hat - doch der Fifa-Boss regiert nach seinen eigenen Regeln weiter.

Thomas Kistner

Am Mittwochabend schickte der Fußball-Weltverband Fifa einen Jubelschrei in die Welt hinaus. "Fifa begrüßt Bundesgerichtsurteil betreffend Veröffentlichung der ISL-Einstellungsverfügung", war der viersprachig verfasste Pressetext (hier als PDF zum Nachlesen) überschrieben. "Die Fifa ist erfreut" hieß es, dass das brisante Papier endlich "veröffentlicht werden kann". Doch die Partystimmung am prunkvollen Fifa-Stammsitz auf dem Zürichberg wirkte irritierend.

Denn die Fifa hatte sich gegen die Offenlegung dieses Dokuments bis Ende 2011 vehement juristisch gewehrt - dann entschied das Obergericht im Kanton Zug auf Freigabe; der letzte Segen des Bundesgerichts war absehbar. Kalkuliert auf Außenwirkung wirkte die Jubelstimmung aber auch, weil völlig rätselhaft ist, warum die Fifa Sätze wie diesen künftig überall lesen will: "Nicht in Frage gestellt werden kann, dass die Fifa Kenntnis von Schmiergeldzahlungen an Personen ihrer Organisation hatte."

So ist der Vorgang exemplarisch für die Politik der Fifa in der heiklen Causa: Gerät sie mit dem Rücken an die Wand, setzt eine fulminante Vorwärtsverteidigung ein. Im Mai 2010 hatte die Zuger Strafjustiz ein Verfahren gegen zwei korrupte Fifa-Funktionäre sowie die Fifa selbst eingestellt, nachdem die drei Parteien strafrelevante Vorwürfe akzeptiert und insgesamt 5,5 Millionen Franken Wiedergutmachung bezahlt hatten. Hintergrund waren Schmiergeldzahlungen der 2001 in Konkurs gegangenen Zuger Sportagentur ISL.

Dass die zwei Brasilianer João Havelange und Ricardo Teixeira zu den Empfängern gehörten, war lange bekannt - nun ist es amtlich. Insgesamt werden im Dokument sogar 16 Geldempfänger aufgelistet, diese Namen bleiben jedoch verklausuliert. Darunter ist der damalige und heutige Fifa-Vorstand Nicolás Leoz. Der 83-Jährige wurde jüngst als Präsident des südamerikanischen Fußballverbands im Amt bestätigt. Auf Lebenszeit.

Von schmutzigen Deals zahlreicher Mitglieder seines Fifa-Vorstandes will Sepp Blatter nie etwas bemerkt haben. Weder als hauptamtlicher Chef der Fifa (er war Generalsekretär von 1981 bis 1998) noch als Präsident seit 1998. Auf dem Fifa-Thron hatte Blatter seinen Mentor Havelange abgelöst; der Brasilianer führte die Fifa von 1974 bis 1998. "In der Fifa gibt es keine Korruption", war ein Interview Blatters mit der Schweizer Weltwoche betitelt.

Das war im Dezember 2010, sieben Monate, nachdem die Fifa als Mitbeschuldigte im ISL-Komplex 2,5 Millionen Franken Wiedergutmachung hatte zahlen müssen, um eine Verfahrenseinstellung zu ermöglichen. Sie war ja selbst zur Beschuldigten geworden, denn sie hatte weder gegen korrupte Funktionäre durchgegriffen noch dafür gesorgt, dass diese den Schaden am Fußball kompensieren mussten.

Wer also steht als verantwortliche Person hinter der Fifa, die nur "subsidär", wie es in der Verfügung heißt, also hilfsweise beschuldigt wurde: "Wird in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtung (...) ein Verbrechen oder Vergehen begangen und kann diese Tat keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden, so wird das Verbrechen oder Vergehen dem Unternehmen zugerechnet." Die Fifa musste zahlen, weil ihr der "Organisationsmangel" vorgeworfen wurde. Hat Blatter diesen Mangel herbeigeführt, der den Weltfußball Millionen kostete? Die Antwort lässt sich aus dem Papier herleiten.

Darin heißt es, dass "unter anderem vom ehemaligen Finanzchef der Fifa bestätigt wurde, dass eine für Havelange bestimmte Zahlung der (ISL, d. Red.) über eine Million Franken irrtümlicherweise direkt auf einem Fifa-Konto eingegangen sei, wovon nicht nur er, sondern (...) auch P1 Kenntnis gehabt hätten." Die anonymisierte Person P1 ist also Zeuge dafür, dass eine Million für Havelange bei der Fifa gelandet war, von wo sie eilig weitergeleitet wurde. P1 wurde auch 2009 vom Staatsanwalt zur "Informationsrunde" geladen.

Dort erfuhr er, dass der "objektive Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung erfüllt" sei. Es sei zu beraten, ob das Strafverfahren gegen die Fifa als Unternehmen "und/oder gegen die natürlichen Personen, welche die formelle Verantwortung für das Vorgehen der Fifa tragen" zu eröffnen sei.

Der ominöse Name "P1"

Schließlich taucht P1 als Unterzeichner eines Millionenvertrages mit der ISL am 12. 12. 1997 auf. "Unterzeichnung seitens der Fifa: Beschuldigter Havelange und P1", heißt es dort. Dieser Marketingvertrag findet sich in der Anklage der Zuger Staatsanwaltschaft von Februar 2007 gegen sechs ISL-Manager wegen Untreue-Delikten, hier heißt es: "Unterzeichnung seitens der Fifa: João Havelange, Joseph Blatter".

Joseph Blatter und Joao Havelange

Der eine wurde geschmiert, der andere wusste davon: Fifa-Boss Sepp Blatter (re.) und sein Vorgänger João Havelange.

(Foto: dpa)

Donnerstagnachmittag bestätigt die Fifa plötzlich, was durch die Medien zu geistern beginnt: Blatter ist P1. Fünf Fragen an Blatter, heißt der Pressetext diesmal. Es ist die nächste Vorwärtsverteidigung. Ob er Bescheid wusste, fragt ihn sein Pressekorps: "Wovon?", erwidert Blatter, "dass Provisionen gezahlt wurden?" Damals sei das nicht strafbar gewesen. Man könne die Vergangenheit "nicht mit den Maßstäben von heute messen, sonst endet man bei der Moraljustiz." Er könne nicht von einem Delikt gewusst haben, das keines war.

"Selbstbedienungsmentalität war auch in den Neunzigerjahren Selbstbedienungsmentalität", sagt Sylvia Schenk. Die Sportbeauftragte von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International zeigte sich am Donnerstag "regelrecht geschockt von Blatters Aussagen". Es ging damals nicht um Strafrechtliches, so Schenk, sondern um "Millionen, die von Ehrenamtlichen in die eigene Taschen gescheffelt wurden, mit Blatters Wissen, wie er nun zugibt."

Das aber sei auch damals schon "zivilrechtlich nicht in Ordnung" gewesen. Genau das ist nun das Problem der neuen Fifa-Reformgruppe, die der Compliance-Experte Mark Pieth aufgestellt hat. Der Kriminologe steht selbst in der Kritik für das bisher zahnlose Projekt - eine Selbstreinigung, die unter Blatters Regie ablaufen soll.

Dass Blatter informiert war über korrupte Praktiken in der Fifa, dass er die Zahlung von "Provisionen", wie er Schmiergelder bis heute nennt, an Fußballfunktionäre geduldet hat - das muss nun Kernthema der Reform sein. Die soll ja nicht strafrechtliche Aspekte der Fifa/ISL-Affäre erhellen, sondern dem Weltverband eine Geschäftsmoral geben.

Ob das unter Führung des Mannes noch machbar ist, der korrupte Funktionäre schützte und die Fifa eine dubiose Rolle spielen ließ, für die sie Millionen zahlen musste, ist fraglich. Der Ball liegt bei Pieth: Zum Wohle des Spiels, lautet das Motto der Fifa. Kann Blatter noch der Mann sein, die dies Motto symbolisiert?

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