Schließung des US-Konsulats in Lahore:Nötige Vorsicht oder nervöse Überreaktion?

Die USA ziehen wegen einer "konkreten Terror-Bedrohung" die Mitarbeiter ihres Konsulats im pakistanischen Lahore ab. Wie ernst die Gefahr wirklich ist, ist schwer abzuschätzen. Während viele US-Botschaften weltweit geschlossen bleiben, werfen Kritiker dem Weißen Haus vor, zu nervös reagiert zu haben. Dies habe al-Qaida einen unötigen Propaganda-Erfolg beschert.

Ein Überblick von Matthias Kolb

Warum ziehen die USA Mitarbeiter ihres Konsulats in Lahore ab?

Da Anschläge zu befürchten seien und eine "konkrete Bedrohung für das Konsulat" bestehe, hat das US-Außenministerium am Donnerstag alle verzichtbaren Mitarbeiter ihrer Vertretung in Pakistans zweitgrößter Stadt Lahore abgezogen. Die Angestellten wurden in die Hauptstadt Islamabad gebracht; zurück bleibt nur eine Notbesetzung. Zudem wurde eine Reisewarnung veröffentlicht, in der es wörtlich heißt: "Mehrere ausländische und einheimische Terroristengruppen stellen eine potenzielle Gefahr für US-Bürger in ganz Pakistan dar."

Besteht ein Zusammenhang zur Schließung von US-Botschaften weltweit?

Hierüber gibt es bislang keine Klarheit. Der Nachrichtensender CNN, der zuerst über den Abzug von Diplomaten aus Lahore berichtet hatte, zitiert zwei anonyme Beamte. Während einer einen Zusammenhang zur Anfang August verkündeten Schließung von etwa 20 US-Botschaften in aller Welt bestreitet, sagt der andere: "Wir prüfen noch, ob eine Verbindung besteht. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich dies weder ausschließen noch bestätigen."

Aus Angst vor Anschlägen des Al-Qaida-Netzwerks halten viele US-Vertretungen in Nordafrika, dem Nahen Osten sowie in Staaten wie Jemen oder Bangladesch bis zum heutigen Tag ihre Türen geschlossen; zudem wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. In Pakistan konnten die US-Diplomaten bisher jedoch ungestört arbeiten.

Welche Rolle spielt Pakistan für al-Qaida?

In Pakistan, dem Nachbarland Afghanistans, hatte sich Al-Qaida-Gründer Osama Bin Laden jahrelang versteckt gehalten, bevor ihn US-Spezialeinheiten im Mai 2011 in Abbottabad fanden und töteten. Noch heute wird vermutet, dass sich mehrere Mitglieder der Führungsspitze des Terrornetzwerks in Pakistan aufhalten. Lahore, im Nordosten Pakistans nahe der Grenze zu Indien gelegen, gilt als Basis der Terrorgruppe Lashkar-e-Tajiba sowie anderer radikaler Organisationen.

Die Provinzregierung des Punjab, wo Lahore liegt, habe in dieser Woche die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, hieß es bei CNN weiter. Die Verwaltung habe Geheimdienstberichte über mögliche Terrorbedrohungen erhalten. Zuletzt war es vor allem in Quetta, der Hauptstadt der Region Baluchistan, zu Gewalttaten gekommen: Am Donnerstag hatte ein Selbstmordattentäter bei der live im Fernsehen übertragenen Beerdigung eines Polizisten 30 Menschen mit in den Tod gerissen. Bei einem Anschlag auf einen früheren Minister kamen kurze Zeit später mindestens neun Menschen ums Leben.

Noch hat es keine Anschläge gegeben - hat Washington überreagiert und al-Qaida einen Propaganda-Erfolg beschert?

In den vergangenen Tagen wurde wiederholt Kritik an der Entscheidung der Obama-Regierung laut, so viele Botschaften in muslimisch geprägten Ländern zu schließen. Der Vorwurf: So habe Washington den Terroristen einen unnötigen Propaganda-Erfolg beschert. In entsprechenden Online-Foren posten Dschihadisten Nachrichten wie "Gott ist groß. Amerika lebt wieder im Terrorzustand und hat Angst vor al-Qaida", während Diplomaten im Schutz der Anonymität der New York Times zuraunen, dass das Weiße Haus übertrieben reagiert habe.

In einem ungewöhnlich harschem Ton wirft die jemenitische Regierung Washington vor, die Schließung der Botschaft sowie das Ausfliegen der US-Diplomaten "nütze nur den Extremisten". Den Behörden in Sanaa sei es gelungen, mehrere Anschlagsversuche von al-Qaida zu verhindern - eine Behauptung, die sich nur schwer überprüfen lässt.

Viele offene Fragen

Bruce Riedel, Terrorismus-Experte der Denkfabrik Brookings Institution, wundert sich im Gespräch mit der New York Times über die neue Argumentation: "Lange hat die Regierung den Eindruck vermittelt, dass al-Qaida besiegt sei oder kurz vor dem Ende stehe. Jetzt frage ich mich, warum uns ein abgehörtes Gespäch zwischen zwei ihrer Anführer so besorgt?"

Andere US-Experten verteidigen das Vorgehen der Obama-Regierung. Sie habe in diesem Fall nicht anders handeln können, sagt etwa der frühere Heimatschutzminister Michael Chertoff dem Nachrichtensender CNN: "Wer das Leben von Amerikanern schützen muss, sieht diese Meldungen anders als Journalisten".

Will McCants vom Center for Naval Analyses führt noch einen Punkt an: "Die Regierung will kein zweites Bengasi erleben, deswegen geht sie auf Nummer sicher." Im libyschen Bengasi waren im September 2012 vier Amerikaner, darunter Botschafter Chris Stevens, getötet worden, weshalb die Republikaner dem Weißen Haus seit Monaten Versagen vorwerfen. Obama sowie die frühere Außenministerin Hillary Clinton seien für den Tod der Amerikaner verantwortlich und versuchten nun, dies zu vertuschen.

Ist mittlerweile mehr über den Auslöser der Schließungsaktion bekannt? Oder sollte die globale Terrorwarnung nur vom Snowden-Fall ablenken und den Wert der Geheimdienstarbeit betonen?

Wie schwierig es für Journalisten und andere Beobachter ist, die genaue Gefährdungslage sowie die politische Motivation der Terrorwarnung abzuschätzen, haben wir bei Süddeutsche.de bereits vor einigen Tagen erörtert.

Bisher gilt noch immer das abgehörte Gespräch zwischen Al-Qaida-Chef Zawahiri und Nasser al-Wuhaischi, dem Chef des Netzwerks auf der arabischen Halbinsel, als wichtigster Grund für die Terrorwarnung. Dabei wurde angeblich über einen großen Anschlag gegen Amerika gesprochen. Der frühere CIA-Mitarbeiter Bruce Riedel weist in einem Gastbeitrag darauf hin, dass es völlig normal sei, dass sich der Al-Qaida-Chef mit den diversen Statthaltern austausche - dies habe Bin Laden ebenfalls getan.

Die Website The Daily Beast berichtete jüngst unter Berufung auf einen Geheimdienstmitarbeiter, an besagtem Gespräch hätten sich neben Zawahiri und dem Jemeniten Wuhaischi auch Vertreter der nigerianischen Boko Haram, der afghanischen Taliban sowie von Al-Qaida im Irak beteiligt. Allerdings können die beiden Autoren nicht genau erklären, ob dieser angebliche Terrorgipfel über Telefon oder nicht eher über ein Webforum stattfand. Insofern muss dieser Bericht - wie so viele andere - mit der nötigen Skepsis bewertet werden.

Guido Steinberg, Terrorismus-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, überzeugt das Argument der "Ablenkung von der Causa Snowden" nicht. Er sagte jüngst in einem Zeitungsinterview, dass die US-Behörden nicht ohne Grund Angst in der eigenen Bevölkerung verbreiten und auch nicht - durch die Schließung der Botschaften - die Funktionsfähigkeit der amerikanischen Außenpolitik beeinträchtigen würden. Irgend etwas müsse also dran sein. In Steinbergs Augen werde eher eine andere, unfreiwillige Botschaft gesendet: "Mir scheint, die Schließung der Botschaften basiert auf einer Vermutung und ist ein Zeichen für die Hilflosigkeit der Amerikaner".

So bleibt wahrscheinlich wenig anders übrig, als der Einschätzung des Al-Qaida-Kenners und ZEIT-Journalisten Yassin Musharbash zu folgen: Die kursierenden Berichte ließen sich nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, sondern nur auf ihre Plausibilität. Und in dieser übersichtlichen Lage sei es wohl am besten abzuwarten, bis sich einige Dinge klären würden.

Linktipp: Wieso das Terrornetzwerk al-Qaida weiterhin eine reale Gefahr darstellt, beschreibt SZ-Kommentar Tomas Avenarius in diesem Kommentar.

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