Schleswig-Holstein:Nordisch bitter

Lesezeit: 3 min

Die SPD ist nach der Wahl gedemütigt. Nur die neue Stärke der Grünen könnte sie an der Macht halten.

Von Peter Burghardt und Thomas Hahn, Kiel

Was würde Ralf Stegner am Tag nach dem Desaster twittern? Welches Lied? Der SPD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein empfahl in seinem täglichen Frühstücksmusik-Tweet am Montag dann die Nummer "Questions" von Manfred Mann's Earth Band aus dem Jahre 1976, als Helmut Schmidt noch Bundeskanzler war. Der Titel drängte sich auf, denn tatsächlich gibt es nun viele Fragen im nördlichsten Bundesland, nicht zuletzt an die SPD. Warum haben sie so fulminant die Wahl verloren? Gibt der noch amtierende Ministerpräsident Torsten Albig nach der Klatsche auf? Oder hoffen sie allen Ernstes auf eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP, obwohl eindeutig Daniel Günther und die CDU gewonnen haben?

Die Küstenkoalition aus Rot, Grün und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) jedenfalls ist Geschichte, das bedauern die Beteiligten. Denn sie fanden sich gut als aktives Linksbündnis mit der einzigen Minderheitenpartei einer deutschen Landesregierung, und das nicht nur, weil sie ihre Macht genossen, sondern weil sie die Zusammenarbeit als selten harmonisch und konstruktiv empfanden. Alle drei Parteien haben schwer zu tragen am Misstrauensvotum gegen ihr Schaffen.

Vor allem natürlich die SPD, der große Wahlverlierer. "Bitterer Wahlabend im Norden", schrieb Stegner in der Nacht zuvor. "Alle Wahlziele verfehlt." Trotzdem: "Der Gerechtigkeitskurs war richtig", glaubt er. Anderntags dann: "Guten Morgen aus Berlin" statt wie sonst aus Bordesholm, wo er wohnt. In Berlin tagte der Bundesparteivorstand, dem Stegner als Vize angehört. Im Kieler Landeshaus stand er mit einem selbst für seine Verhältnisse besonders grimmigen Blick neben Torsten Albig, der die Niederlage nach allgemeinem Befinden vorneweg zu verantworten hat.

Alle Ziele verfehlt: Ministerpräsident Torsten Albig (re.) und Landesparteichef Ralf Stegner auf der so genannten Wahlparty der SPD. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Sein Wahlkampf galt als zu lasch, um den fast manisch aktiven Rivalen Daniel Günther zu bremsen. Auch in der NDR-Wahlarena, beim einzig direkten Duell, bot er ihm zu wenig Paroli. "Die Ursachen für die Wahlniederlage liegen bei uns in Schleswig-Holstein", erkannte Albig am Wahlabend. Das sehen Bundes-SPD und Basis ähnlich. Die Gründe? "Hausgemacht", sagt ein erprobter Sozialdemokrat zu später Stunde bei der Wahlparty in einem Kieler Schuppen mit dem passenden Namen "Räucherei". "Die Leute wollen umworben werden", das war nicht Albigs Talent. Als Synonym für sein Ungeschick gilt der Titel Bunte. In der Illustrierten plauderte er über seine gescheiterte erste und die neue Ehe. FDP-Mann Wolfgang Kubicki vermutete schon vor der Abstimmung, die Kommentare würden ihn bei Frauen mindestens zehn Prozent kosten.

Dennoch gab Albig jetzt bekannt, dass er dabei wäre, wenn er noch gebraucht würde, was Kubicki aber "nicht vermittelbar" fände. Könnte stattdessen Stegner eine Ampel-Regierung mit Grünen und FDP führen, wie ein SPD-Mann anregte?

Das hängt stark von den Grünen ab. Auch sie drückte der Abschiedsschmerz, obwohl sie mit fast 13 Prozent zu den Gewinnern gehörten. Die Grünen und ihre Spitzenkandidatin Monika Heinold, 58, wirkten bei ihrer Wahlparty beschwingt. Aber wenn man Monika Heinold auf das Ergebnis ansprach, redete sie wieder von dem "weinenden Auge", mit dem sie auf das Ende der Küstenkoalition schaue.

Vor fünf Jahren hatten die Grünen der SPD einen Vertrag abgerungen, der eine grüne Handschrift trug. Sie bekamen das Finanzministerium, in dem die frühere Erzieherin Heinold über eine gezielte Ausgabenpolitik die sozialpolitischen Vorstellungen der Grünen umsetzen konnte; indem sie zum Beispiel Geld für mehr Lehrerstellen locker machte. Und sie bekamen eine Art grünes Superministerium für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und ländliche Räume, in dem der populäre Robert Habeck die ökologische Erneuerung des Landes vorantreiben konnte. So viele Hebel hätten sie gerne in der Hand behalten. Sie wissen, dass sie in jeder anderen Koalition härter darum ringen müssen. Und sie wissen, in welcher Konstellation sie weniger Widerstand zu erwarten haben. Monika Heinold sagte: "Eine Ampelkoalition scheint deutlich besser zu passen." Habeck sagte: "Der Weg nach Jamaika ist weit."

Beim SSW stand Spitzenkandidat Lars Harms aufrecht im Schatten seiner Enttäuschung und nahm seine Partei raus aus allen Spekulationen: "Für uns geht es in die Opposition." Die Partei der deutschen Dänen galt mit ihrer skandinavischen Konsenskultur als ausgleichende Kraft im Verein mit SPD und Grünen. Darauf waren sie stolz. Aber offensichtlich konnten sie ihre Verdienste im Wahlkampf nicht gut vermitteln: 1,3 Prozentpunkte verloren sie von ihrem Ergebnis von 2012 (4,6).

Die Grünen haben es in der Hand, wenigstens eine Küstenkoalition light aufrechtzuerhalten. Mit FDP statt SSW. Es könnte sein, dass die Kraft der Grünen die gedemütigten Roten in Schleswig-Holstein an der Macht hält.

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: