Jakobskreuzkraut in Schleswig-Holstein:Vergiftete Wiesen

Schafe in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holsteins Nutztiere werden durch das Jakobskreukraut bedroht.

(Foto: dpa)
  • In Schleswig-Holstein schafft der Naturschutz auch Platz für eine Natur, die Schaden anrichten kann.
  • Auf den Felder wächst das Jakobskreuzkraut, eine giftige Pflanze, die für Nutztiere zur Gefahr wird. Für ihre Bekämpfung gibt es keine Pauschallösung.
  • Der grüne Landwirtschaftsminister Robert Habeck setzt sich für einen staatlich regulierten Naturschutz ein.

Von Thomas Hahn, Glücksburg/Ostsee

Der Landwirt Dirk Herrmann zeigt auf sein Feld, das auf der Halbinsel Holnis am Hügel liegt. Hier wächst das Gift, hier kann er nichts mehr tun. Seit Jahrzehnten hat er die paar Hektar in der herben, friedlichen Landschaft an der Ostsee von seinem Vetter gepachtet, dem Besitzer der Gaststätte "Fährhaus" weiter unten am Hügel. Herrmann könnte hier Heu ernten für seinen Pferdehof im Glücksburger Ortsteil Drei, direkt am Strand der Flensburger Förde. Aber seit das Land Schleswig-Holstein die Felder als Naturschutzgebiet ausgewiesen hat, geht das nicht mehr. Denn seither wuchert hier ungehindert das Jakobskreuzkraut, eine dürre, anspruchslose Pflanze, die so giftig ist, dass sie Pferde umbringen kann.

Dirk Herrmann beugt sich tief übers grobe Gras. Das Kraut blüht erst im Juni, jetzt, im März, muss man noch genau hinschauen, um es zu sehen, aber er muss nicht lange suchen. "Da ist was", sagt Herrmann. Er zeigt auf eine faltige, dunkelgrüne Blattrosette. Das ist der Feind, gegen den der Landwirt Herrmann nicht mehr gewinnen kann, weil er hier überall in der Erde schlummert, und weil das Gesetz eine schnelle Abhilfe verbietet. Unten an der Förde besitzt er auch Flächen, mit dem gleichen Problem. "Für mich ist das wie eine Enteignung", sagt Herrmann. "Ich habe nichts gegen Naturschutz. Bloß: Diese Sache mit dem Jakobskreuzkraut ist ein bisschen aus dem Ruder gelaufen."

Verschiedene Interessen auf engstem Raum

Diese Sache mit dem Jakobskreuzkraut ist mehr als nur ein Ärgernis für stolze Landwirte. Sie steht für das Dilemma eines Kampfes, der seit Jahren heftiger wird. Sie ist das Lehrstück über den vergeblichen Versuch der Menschen, eine Balance in der Natur herzustellen, die mit dem Fortschritt der Industriegesellschaft verloren gegangen ist. Es geht um die Frage, wie man eine Umwelt so aufteilen kann, dass darin von der satten Blumenwiese bis zur einträglichen Energiewirtschaft alles seinen Platz bekommt. Und im kleinen Bundesland Schleswig-Holstein kann man dieses Lehrstück besonders gut beobachten, weil die verschiedenen Interessen hier auf engstem Raum aneinandergeraten.

Robert Habeck sitzt an einem Konferenztisch im Kieler Landeshaus und hat seinen Kopf auf die Hand gestützt. Der Minister Habeck von den Grünen ist so etwas wie der erste Moderator dieses Kampfes, denn in seinem Ministerium sind alle Themen gebündelt, die das Land zerreißen: Landwirtschaft, Umwelt, Energiewende. Die Themen spielen ineinander, aber sie konkurrieren auch, und Habeck hat ein sehr klares Bewusstsein dafür, dass sein Ringen um die bestmögliche Lösung für diverse Interessengruppen allenfalls die zweitbeste Lösung hervorbringt.

Wanderung auf dem Deich

Auf den satten Wiesen Schleswig-Holsteins sprießt das Jakobskreuzkraut und droht, Nutztiere zu vergiften. Der Mensch ist daran nicht unschuldig.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

"Schleswig-Holstein wird intensivst genutzt", sagt er. Es soll für so vieles Platz sein: für Windräder, die saubere Energie produzieren. Für Maisfelder im Dienste der Biogasanlagen. Für Stromtrassen. Für die Lebensmittelproduktion. Für den Autobahnausbau. Für Natur-, Tier- und Artenschutz. Da sind Konflikte programmiert. Wer es sich einfach machen wollte, ordnete alles der Industrie unter. Aber das will Habeck nicht, also verfolgt er die Strategie eines staatlich regulierten Naturschutzes. Dazu gehört auch, dass es Flächen gibt, auf denen Ackerbau mit pflügen, düngen und spritzen verboten ist wie auf Herrmanns Wiesen am Hügel von Holnis.

Außerdem kauft die Stiftung Naturschutz, eine hundertprozentige Tochter der Landesregierung, Flächen, um dort die Natur im Sinne der Artenvielfalt mehr oder weniger sich selbst zu überlassen. Das Problem dabei: Dieser Naturschutz schafft auch Platz für eine Natur, die Schaden anrichten kann. Zum Beispiel für das einheimische Jakobskreuzkraut, das auf den Äckern der Landwirte nie eine Chance bekäme. Es breitet sich rapide aus.

Der Seeadler bedient sich im Karpfenteich

"Ja", sagt Habeck, "mehr Natur zuzulassen bedeutet auch, Dinge zuzulassen, die in die Zivilisation im engsten regulierten Rahmen nicht reingehören." Der Wolf ist zurück und macht den Leuten Angst. Der Seeadler hat sich erholt und bedient sich in den Karpfenteichen. Nonnengänse fressen an der Küste die Felder leer. Und auf den Wiesen wächst ein Gift.

Was ist der richtige Naturschutz? Die Natur ist wohl zu sehr aus den Fugen geraten, als dass es auf diese Frage noch eine Antwort gäbe. Aber die Meinungen darüber sind vielfältig, Habeck bekommt Gegenwind von allen Seiten. Wenn man durch Schleswig-Holstein reist und mit Akteuren des Naturschutzes spricht, trifft man auf viel Widerspruch und Kritik.

In Flintbek, beim Landesjagdverband, beklagt Präsident Klaus-Hinnerk Baasch mit ruhiger Stimme die verlängerten Schonzeiten, weil die Jäger dadurch kaum noch ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen könnten, das Gleichgewicht zwischen den Tierarten herzustellen. "Über die Ziele sind wir uns einig", sagt Baasch, "aber die Einschränkung der Jagd führt zu weniger Biodiversität, Naturschutz und Tierschutz." In Neumünster, beim Naturschutzverband Nabu, sitzt der Landesvorsitzende Hermann Schultz und erklärt sachlich, dass ihm eben diese neue Schonzeit-Verordnung zu jägerfreundlich und damit zu naturfeindlich sei. Zu Habeck sagt er: "Er hat sich intensiv den erneuerbaren Energien verschrieben. Das ist gut. Aber er hat dabei zu sehr den Schutz der Natur aus den Augen verloren."

Bienen könnten Gifte in den Honig einbringen

Jakobskreuzkraut in Schleswig-Holstein: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Und in Quern berichtet das Ehepaar Gabriele und Gerhard Wegner für den Nordangler Imkerverein von wachsendem Unmut. "Wir dachten, Naturschutz wäre für uns", sagt Gabriele Wegner, "wir dachten: blühende Landschaften." Und jetzt? Blüht auf den Naturschutzflächen das Jakobskreuzkraut. Es besteht die Gefahr, dass die Bienen leberschädigende Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in den Honig einbringen - wenn auch nur in den, der im Sommer nach der Blüte des Krauts entsteht; der Hauptanteil der gesamten Honigernte in Schleswig -Holstein fällt im Frühjahr an.

Untersuchungen der Landesregierung haben bestätigt, dass Honig aus Gebieten mit viel Jakobskreuzkraut in Einzelfällen zu hohe PA-Werte aufweist. Zu hohe PA-Werte bedeuten: Der Honig darf nicht in den Handel. Die Imker müssen ihre Sommerernte für teures Geld analysieren lassen oder sie vorsorglich abschreiben. Manche Imker überlegen schon, ihre Bienenstände aufzugeben. Denn das Kraut ist zäh. Es lässt es sich nicht einfach wegmähen oder ausreißen. "Managementfehler", schimpfen die Wegners, allzu sorglos habe die Regierung Naturschutz betrieben. Sie fordern eine Lösung - allerdings nicht irgendeine. "Spritzmittel wollen wir auch nicht, denn das schadet den Bienen." Stattdessen? Notfalls die Naturschutzflächen umbrechen und neu bestellen mit einer speziellen Einsaat von Wildpflanzen, die das Kraut verdrängen. "Dann muss das einmal sein", sagt Gabriele Wegner, "aber das ist ein Heiligtum, das ist so was von schwer zu erreichen."

Vorerst sieht das Jakobskreuzkraut wie der Gewinner aus

"Die Jakobskreuzkraut-Problematik ist drückend in vielerlei Hinsicht", sagt Habeck, "es gibt nicht die Pauschallösung." Sein Ministerium hat einen runden Tisch gebildet dazu. Es gibt abgestimmte Bekämpfungsmaßnahmen, ein Heft mit Empfehlungen zum Umgang mit der Pflanze, fortlaufende Expertisen. Die Raupe des Blutbären könnte helfen, die frisst das Kraut - es ist nur eine Hoffnung. Vorerst sieht die giftige gelbe Blume wie die Gewinnerin aus. "Aber Jakobskreuzkraut mit massenhaft Chemie zu spritzen und damit die Naturschutzarbeit von Jahrzehnten kaputt zu machen - so weit gehe ich dann auch nicht. Wir müssen permanent nach weiteren Wegen suchen", sagt Habeck.

Dirk Herrmann wird nicht laut, wenn er schimpft. "Man ist schon ärgerlich", sagt er. Er besitzt auch Felder, die er in seinem Sinne bewirtschaften darf. Die anderen allerdings sind Brachen mit Meerblick. Herrmann mäht sie regelmäßig, weil er den Anblick einer verwildernden Landschaft nicht mag, er lässt seine Kunden darauf reiten. Mittlerweile kommt auch der Schäfer nicht mehr wegen des Krauts. Und sein Bemühen um Entschädigung war erfolglos. Dirk Herrmann könnte das Land aufgeben, aber das will er auch nicht . "Ich möchte Zugang zum Wasser haben", sagt er trotzig. Es wirkt fast so, als wolle er sein Land vor dem Naturschutz schützen.

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