Schlechtes Abschneiden der SPD:Drei Lehren aus der Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Torsten Albig hat es in fünf Jahren als Ministerpräsident versäumt, sein Land zu prägen, da hilft auch der neue SPD-Chef nichts. Für Häme ist es allerdings zu früh.

Kommentar von Detlef Esslinger

Normalerweise passiert so etwas nicht. Normalerweise gerät ein Ministerpräsident bei seiner ersten angestrebten Wiederwahl nicht in die Gefahr, ernsthaft um sein Amt fürchten zu müssen. Überdruss bei den Wählern stellt sich meistens erst später ein. In Kiel war dies am Sonntag anders. Egal, welche Koalition demnächst aus dem Ergebnis dieser Landtagswahl erwachsen wird: Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), seit 2012 im Amt, ist erledigt. Gewonnen hat sein CDU-Kontrahent Daniel Günther - ein Mann, der bis vor einem halben Jahr noch gar nicht wusste, dass er als Kontrahent überhaupt gebraucht würde. Wie ist so etwas möglich?

Hannelore Kraft wird nun zittern in Nordrhein-Westfalen

Am Schleswig-Holsteiner Ergebnis sind drei Aspekte interessant. Erstens, wie es zustande kam, zweitens, was es für die Bundestagswahl bedeutet und drittens, was es über die Stabilität einer Demokratie offenbart. Zum Ersten: Ministerpräsident Albig hat in fünf Jahren im Amt das Kunststück fertiggebracht, nicht als prägende Figur der Landespolitik wahrgenommen zu werden. Diese Leerstelle war so offensichtlich, dass sie sogar von einem CDU-Landesvorsitzenden gefüllt werden konnte, der Vorsitzender nur deshalb wurde, weil in den vergangenen fünf Jahren vier Vorgänger aufgegeben hatten; der letzte vor einem halben Jahr. Günther brauchte nur manierlich und aggressiv, aber nicht verletzend aufzutreten. Und wie es ihm gelang, seinen notorisch intriganten Landesverband so schnell hinter sich zu bringen, das muss er noch einmal in Ruhe erzählen.

Heißt dies zugleich, dass der Martin-Schulz-Effekt vorbei ist - ja, dass dieser Begriff eines Tages zu einem Synonym für einen Effekt werden könnte, der gar nicht erst eintritt, wie jemand neulich schrieb? Für solche Häme ist es zu früh. Im Bund bedeutet der Schulz-Effekt für die SPD: nach wie vor Umfragewerte um die 30 Prozent. Vor dem Wechsel von Sigmar Gabriel zu dem langjährigen EU-Parlamentspräsidenten an der Parteispitze war die SPD stets Richtung 20 Prozent getaumelt. Der Sonntag lehrt jedoch, dass der Schulz-Effekt zumindest nicht so stark ist, dass er mittelmäßige Regierungschefs noch durchs Ziel brächte. Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen dürfte jetzt zittern; nächsten Sonntag ist sie dran.

Kassiert sie, in der Herzkammer der SPD, ein Ergebnis wie Albig, kann sich jeder Sozialdemokrat ausmalen, was das für die Bundestagswahl bedeuten wird. Wenn es der SPD in NRW nicht gelingt, ihre Klientel zu mobilisieren, kann es keinen Kanzler Schulz geben. Darüber hinaus bietet Schleswig-Holstein einige Erkenntnisse über die Stabilität der Demokratie. Die Debatte dort wird seit Jahrzehnten in barschem Ton und mit maximaler Zuspitzung geführt; der Antagonismus zwischen dem linken und dem sogenannten bürgerlichen Lager wird gepflegt wie ein Deich; in beiden Lagern übrigens. Man mag dies als nervend, als hohl und vielleicht sogar als irgendwie altmodisch empfinden.

Doch das Wesen dieser Konfrontation ist, dass die Akteure zwar höchsten Wert darauf legen, Repräsentanten eines Lagers zu sein - aber auch darauf, dass sich ihre beiden Lager auf ein- und demselben Grund befinden. Der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner twitterte am Sonntag, ein Wahltag sei ein "Festtag der Demokratie". Hätte man mit diesem Etikett am Sonntag den Ton in Frankreich getroffen? Oder im Dezember in Österreich, bei der Präsidentenwahl? In den USA, im November? In anderen Ländern geht es derzeit weniger darum, die Demokratie zu feiern, sondern darum, sie vor den Zündlern zu retten. Diese Frage stellt sich in Deutschland nirgends; nicht einmal im Osten steht die angebliche Alternative für Deutschland vor den Toren der Macht.

Seit Wochen war klar, dass es für die AfD in Kiel nicht darum gehen würde, wie viele Mandate sie wohl erobern würde. Für diese Zündler ging es nur darum, überhaupt in den Landtag zu kommen. Dies zeigt: Wo die Debatte schroff, aber demokratisch geführt wird, wo das eine Lager die Regierung und das andere die Opposition stellt, wo fast jede Partei eloquente und polarisierende Spitzenleute hat - dort kommen relativ wenige Bürger auf die Idee, alle Parteien seien vom selben Geblüt. Stegner von der SPD, Wolfgang Kubicki von der FDP, Robert Habeck von den Grünen verkörpern mehr Alternative, als man in einem kleinen Land wie Schleswig-Holstein vielleicht sogar erwarten mag. Und dieser CDU-Sieger namens Günther darf nun zeigen, was er draufhat; unter Umständen, die jedoch nicht dieselben bleiben können wie bisher. Mögen die Bürger auch klare Lager schätzen - gewählt haben sie einen weiteren Landtag, in dem nur eine lagerübergreifende Koalition eine Mehrheit haben wird.

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